Positionspapier des Arbeitskreises „Haushalt, Finanzen, Infrastruktur, Umwelt und Wirtschaft“
Verantwortlich: Caren Lay, MdB, Mieten-, bau- und wohnungspolitische Sprecherin
Der Niedergang des Sozialen Wohnungsbaus beschleunigt sich seit vielen Jahren, da mehr Sozialwohnungen aus der Bindung fallen, als neue geschaffen werden. Die Angebotsmieten auf dem freien Markt steigen weiterhin rasant. Bis in die breite Mittelschicht hinein sind immer mehr Haushalte durch ihre Wohnkosten überlastet. Die Inflation verschärfte die Lage jüngst erheblich. Auf der anderen Seite stagniert der Wohnungsbau der Immobilienwirtschaft und ein starker Rückgang an Baugenehmigungen ist zu verzeichnen. Die Wiederbelebung der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen kann der Ausweg und die nachhaltige Lösung sein.
Expert:innen sind sich einig, dass die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit im Jahr 1990 ein schwerer Fehler war. Es folgten die Privatisierung und Finanzialisierung des Wohnungsmarktes und führte in der Konsequenz zur aktuellen Mietenkrise. Auch volkswirtschaftlich hat sich die Abschaffung nicht gerechnet. Wohngeld und Kosten der Unterkunft im Transferleistungssystem sind zu einem teuren Subventionsgeschäft geworden.
Es hat sich herausgestellt, dass eine Wohnungspolitik, die dem renditegetriebenen Markt überlassen wird, nicht geeignet ist, um für ausreichend und langfristig leistbaren Wohnraum zu sorgen.
Mit einer Neuen Wohngemeinnützigkeit soll wieder ein nicht-profitorientierter, gemeinnütziger Sektor auf dem Wohnungsmarkt etabliert werden. Ziel ist es, bezahlbare Wohnungen für Gering- und Durchschnittsverdiener:innen zu schaffen.
Dafür muss ein relevanter Teil des Wohnungsmarktes der Profitlogik entzogen werden. Die Neue Wohngemeinnützigkeit bedeutet außerdem eine Rettung und ein echter Neustart im sozialen Wohnungsbau, da sie dauerhaft günstige Mieten und dauerhafte Belegungsbindungen ermöglicht.
Die Wohngemeinnützigkeit folgt einem einfachen Grundsatz: Wer sich dauerhaft auf Prinzipien einer sozialen Wohnraumversorgung verpflichtet, wird durch Steuervergünstigungen sowie einen bevorzugten Zugang zu Bundesfördermitteln und öffentlichen Grundstücken belohnt.
Die folgenden Eckpunkte sollen für die Neue Wohnungsgemeinnützigkeit gelten:
30 Prozent des Wohnungsmarktes sollen in 10 Jahren gemeinnützig sein
Die Neue Wohngemeinnützigkeit darf kein Nischenprodukt nur für wenige alternative Träger sein. Ein möglichst großer Anteil des Wohnungssektors muss gemeinnützig werden. Während der alten Wohngemeinnützigkeit waren bereits 30 Prozent des Mietwohnungsbestandes gemeinnützig bewirtschaftet. Das muss auch das erste Etappenziel innerhalb der nächsten zehn Jahre sein. Das entspräche heute mindestens 7,5 Millionen Mietwohnungen. Derzeit befinden sich bundesweit insgesamt rund 20 Prozent aller Mietwohnungen in öffentlichem oder genossenschaftlichem Eigentum. Deren Träger sollen sich zuerst unter der Neuen Wohngemeinnützigkeit versammeln und ihren Bestand erweitern. Insbesondere in Großstädten müssen ambitioniertere Ziele verfolgt werden. Perspektivisch muss dort der gemeinnützige Sektor auf mindestens 50 Prozent anwachsen.
Jährlich sollen 100.000 geförderte neue Wohnungen entstehen – durch Neubau oder Umbau von Büro- oder Gewerbeflächen. Die Rückgewinnung von Millionen ehemals gemeinnütziger, sozial- und belegungsgebundener Wohnungen und der Ankauf von Beständen muss als zweites wichtiges Standbein einer Neuen Gemeinnützigkeit in den Fokus rücken. Auch die Wiederbelebung des Werkwohnungsbaus soll ermöglicht werden.
Bund, Länder, Kommunen und Genossenschaften als zentrale Säule der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft
Träger der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sollen öffentliche und kommunale Wohnungsgesellschaften sowie Wohnungsbaugenossenschaften sein. Weitere Träger sind Stiftungen, Kirchen und Mietshäusersyndikate. Die Bundesländer werden ermutigt eigene gemeinnützige Wohnungsgesellschaften (wieder-) aufzubauen. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran und baut die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben BImA zu einer gemeinnützigen Bundesbaugesellschaft um. Neben eigenem Neubau besteht ihre Aufgabe in der Beratung und Unterstützung kleiner gemeinnütziger Wohnungsunternehmen etwa bei Planungsleistung, sowie in der (Re-) Kommunalisierung.
Auch private Unternehmen können Zutritt zur Neuen Wohngemeinnützigkeit erhalten und ihre (Teil-)Bestände eingliedern. Untersagt ist dabei aber die Ausgliederung lediglich der unrentablen Unternehmensteile oder Bestände mit hohem Sanierungsstau in die Gemeinnützigkeit, während der Rest auf dem freien Markt profitorientiert weiterbewirtschaftet wird. Börsennotierte Aktiengesellschaften sind von der Gemeinnützigkeit ausgeschlossen, ihnen wird jedoch ein Transformationskorridor zur Auslösung der Bestände von der Börse und zur Eingliederung in die Wohngemeinnützigkeit angeboten.
Der Zutritt zur Wohngemeinnützigkeit ist freiwillig, jedoch stellen Privilegierung bei Steuern, Kreditvergabe, Fördermitteln und öffentlichen Grundstücken gerade in der gegenwärtigen Lage der Bau- und Wohnungswirtschaft starke Anreize dar.
Ein Zuhause für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen
Die gemeinnützigen Wohnungen sind belegungsgebunden und dienen der Wohnraumversorgung für Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen. Die Einkommensgrenzen orientieren sich an jenen für den Wohnungsberechtigungsschein, die allerdings im Wohnraumförderungsgesetz des Bundes deutlich zu erhöhen und an den aktuellen Einkommensmedian anzupassen sind.
Außerdem werden in den gemeinnützigen Beständen Wohnungen für besondere Bedarfsgruppen, die Einschränkungen beim Zugang zum Wohnungsmarkt oder einen spezifischen Wohnbedarf haben, bereitgestellt. Darunter fallen insbesondere Rentner:innen, von Wohnungslosigkeit bedrohte oder betroffene Personen, Studierende und Auszubildende, Geflüchtete und Menschen mit Behinderung. Bei der Vergabe werden Prioritätenlisten erstellt, auf die soziale Durchmischung ist zu achten. Bewohner:innen, die bei den in die Gemeinnützigkeit überführten Wohnungsunternehmen leben, behalten ihr Wohnrecht.
Die Kostenmiete wieder einführen – keine Profite mit der Miete
Die Miethöhe wird ermittelt nach dem Prinzip der Kostendeckung. Die Kostenmiete setzt sich zusammen aus den Kosten für Herstellung, Finanzierung, Instandhaltung, Betrieb und Verwaltung und enthält zudem eine Investitionsrücklage. Eine Mieterhöhung bei Wiedervermietung ist damit nur bei faktisch gestiegenen dauerhaften Aufwendungskosten möglich. Die Kostenmiete wird damit entkoppelt von den am Markt gebildeten Mieten und dem daran orientierten Vergleichsmietensystem.
Innerhalb eines gemeinnützigen Wohnungsunternehmens werden die Mieten nach Einkommensgruppen gestaffelt. Dabei gilt, dass die Wohnkostenbelastung maximal 30 Prozent betragen darf. Für Haushalte mit geringem Einkommen muss sie niedriger sein. Um die Leistbarkeit in den Mietstufen zu gewährleisten, können gemeinnützige Wohnungsunternehmen eine an diesen Mietstufen orientierte Zuschussförderung beanspruchen. Da die Gemeinnützigkeit auf Dauer gilt, können Unternehmen auch einen längeren Refinanzierungszeitraum zur Amortisierung der Aufwendungskosten festlegen.
Durch die Wiedereinführung der Kostenmiete profitieren nicht nur die Mieter:innen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft, sondern alle Mieter:innen, da sie sich marktkühlend und langfristig preisdämpfend auf die Angebotsmieten auswirken kann.
Privilegien für gemeinnützige Wohnungsunternehmen: Steuererleichterungen, Förderung, Bodenvergabe
Auch gemeinnützig agierende Wohnungsunternehmen sollen wirtschaftlich effizient arbeiten. Als Gegenleistung für die Kostenmiete und die Renditebegrenzung erhalten sie steuerliche Privilegien und werden bei der Vergabe öffentlicher Mittel bevorzugt.
Gemeinnützige Wohnungsunternehmen werden von der Gewerbe-, Körperschafts- und Erbschaftssteuer, sowie von der Grund- und Grunderwerbssteuer befreit und die Umsatzsteuer wird bei Neubau-, Instandhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen erheblich reduziert. Die derzeitigen steuerlichen Schlupflöcher bei Immobilien- und Bodenspekulation sind hingegen flächendeckend abzuschaffen.
Außerdem wird gemeinnützigen Wohnungsunternehmen ein bevorzugter Zugang zu Bundesfördermitteln nach § 104d GG, Landesfördermitteln für die soziale Wohnraumversorgung und zu öffentlichen Grundstücken von Bund, Ländern und Kommunen gewährt.
Gewinnbeschränkung und Reinvestitionspflicht
Da die Gemeinnützigkeit den öffentlichen und nicht den privaten Interessen dienen soll, dürfen erzielte Gewinne nicht privatisiert werden. Um möglichst viele Partner:innen für die Neue Wohngemeinnützigkeit zu gewinnen, soll eine limitierte Gewinnausschüttung, wie auch bei Wohnungsbaugenossenschaften, möglich sein. Sie wird allerdings auf maximal 3,5 Prozent beschränkt. Über die tatsächliche Gewinnausschüttung wird innerhalb der unternehmensinternen Strukturen zur betrieblichen Mitbestimmung demokratisch entschieden. Überschüssige Gewinne müssen zweckgebunden in die Instandhaltung und Sanierung der Wohnungsbestände oder in den Neubau fließen.
Soziale, transparente und gemeinwohlorientierte Betriebsführung
Einer sozialen, gemeinwohlorientierten und transparenten Betriebsführung kommt nach der Erfahrung mit dem Betrugsskandal der „Neuen Heimat“ eine besondere Bedeutung zu. Das erfordert umfassende Rechenschaftspflichten und der öffentlichen Kontrolle der gemeinnützigen Unternehmen. Dies ist ein entscheidender Aspekt für die Neue, im Gegensatz zur historischen Wohngemeinnützigkeit. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen sollen nun einer Vier-Ebenen-Kontrolle unterliegen, um die Erfüllung des gemeinnützigen Zwecks sicherzustellen. Eine weitgehende Mieter:innenmitbestimmung erfolgt durch Mieter:innenräten. Sie sind Teil des Vorstandes und haben Vetorecht. Zweitens sorgen ein öffentlicher Geschäftsbericht sowie die Rechenschaftspflicht über die Verwendung von Fördermitteln und Instandhaltungsreserven für Transparenz. Eine Verbandskontrolle wird drittens für die verbandsinterne Wirtschaftlichkeitsprüfung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen installiert. Die Aufsicht erfolgt viertens durch die jeweiligen Bundes-, Landes- oder kommunalen Parlamente.
Gemeinnützige Unternehmen sollen regional agieren und unterliegen einem Verbot der Konzernbildung. Auch das ist eine Lehre aus der Neuen Heimat. Der Handel mit Wohnungen ist ebenso ausgeschlossen wie die Umwandlung in und der Verkauf von Eigentumswohnungen. Gemeinnützige Wohnungsunternehmen zahlen gute tarifgebundene Löhne und begrenzen Vorstandsgehälter. Boni sind ausgeschlossen.
Klimagerecht Wohnen
Die Neue Wohngemeinnützigkeit soll auch dem sozialen und klimagerechten Umbau des Gebäudebestandes dienen. Energetische Sanierungen wie beispielsweise der Heizungstausch müssen warmmietenneutral ausgestaltet werden. Kosten dürfen also nur in Höhe der Einsparungen bei den Heizkosten auf die Mieter:innen umgelegt werden und nur so lange, bis die Investitionskosten abbezahlt sind. Gemeinnützige Unternehmen erhalten als Gegenleistung staatliche Zuschüsse, die ansonsten nur Selbstnutzer:innen bzw. Kleineigentümer:innen erhalten.
Die Solardachpflicht wird für gemeinnützige Unternehmen eingeführt, von deren Energieerzeugung sollen Mieter:innen unmittelbar profitieren. Bewohner:innen haben das Recht, Balkonkraftwerke zu installieren und halten einkommensabhängige Förderung.
Förderprogramm
Es muss ein Sondervermögen über 100 Milliarden Euro etabliert werden. Der Bund muss sicherstellen, dass in den nächsten fünf Jahren jährlich mindestens 20 Milliarden Euro in den Aufbau eines gemeinnützigen Sektors in der Wohnungswirtschaft investiert werden. Die bisherigen Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau sowie der sozialen Wohnraum- und der Genossenschaftsförderung der Länder sind darin zu integrieren. Die Mittel sollen den gemeinnützigen Neubau und den barrierefreien Umbau fördern, sowie für Rekommunalisierung, einen Bodenfonds und Ankäufe von Sozial- und Belegungsbindungen zum Zwecke dauerhafter Preisbindungen aufgewendet werden.
Zinsvergünstigte Kredite werden aus einem revolvierenden Fonds vergeben, der mit einem Anfangsetat aus Bundesmitteln ausgestattet wird. Rückzahlung und Zinsen werden in diesen revolvierenden Fonds eingespeist, die Kredite wiederum nur für Zwecke der Wohngemeinnützigkeit vergeben.
Für den gemeinnützigen Neubau und die Eingliederung von Beständen in die Gemeinnützigkeit werden Zuschüsse gewährt. Abhängig von der Zielgruppe, für die Wohnungen gebaut oder vermietet werden, erhält das gemeinnützige Unternehmen einen Zuschuss zur Schaffung von Dauerbindungen.
Die Kombination aus Zuschüssen, Steuerprivilegien bei Bauerrichtung und Vermietung, Zinsvergünstigungen und der Ersparnis der Grunderwerbskosten bei Überlassung öffentlicher Grundstücke kann die Aufwendungs- und Finanzierungskosten der Unternehmen erheblich reduzieren und somit Kostenmieten im unteren und mittleren Preissegment ermöglichen.
Mittelfristig sparen Kommunen und Staat massiv Kosten für Wohngeld und Kosten der Unterkunft ein, die bereits vor der letztmaligen Erhöhung über 17 Milliarden Euro jährlich beanspruchten. Dieses Geld ist als Subjektförderung unwiederbringlich verausgabt und subventionierte letztlich die Spekulation mit Wohnraum. Mit der Neuen Wohngemeinnützigkeit kann die Fördersystematik wieder auf eine nachhaltige Objektförderung umgestellt werden.
Berlin, 8. Juni 2023