Konzept für ein Öffentliches Wohnungsbauprogramm
Erfahrungen des Wiener Modells in Deutschland übernehmen
Wir erleben eine neue Wohnungsnot. Bundesweit fehlen mindestens vier Millionen Sozialwohnungen, davon die Hälfte in Großstädten. Tendenz steigend. Betroffen sind vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen, Rentner*innen, Studierende, Alleinerziehende und Empfängerinnen von Sozialleistungen. Doch auch Durchschnittsverdienende und selbst Menschen mit überdurchschnittlichen Einkommen finden in vielen Städten und Ballungszentren kaum noch Wohnungen. Unter der Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt leiden vor allem Migrantinnen und Migranten oder Geflüchtete. Es gibt außerdem einen erheblichen Mangel an barrierefreien Wohnungen für Menschen mit Behinderungen und Seniorinnen und Senioren.
Die Wohnungskrise – ausgelöst durch eine drei Jahrzehnte neoliberaler Politik und die Auswirkungen der Finanzkrise – hat zwei zentrale Gründe: Der noch vorhandene bezahlbare Wohnraum geht durch Mietsteigerungen, Umwandlungen in Eigentumswohnungen und durch auslaufende Mietpreisbindungen von Sozialwohnungen verloren. Gleichzeitig geht der Wohnungsneubau am Bedarf vorbei: Es wird zu teuer, an den falschen Orten und es werden zu viele Eigentumswohnungen gebaut.
Das Scheitern von drei Jahrzehnten marktliberaler Wohnungspolitik
Diese fatale Entwicklung ist die Folge von fast drei Jahrzehnten verfehlter Wohnungspolitik, die zwar viel Geld in die Hand nimmt, es aber falsch ausgibt. Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990 bedeutete das Ende einer Politik, die mit gezielter steuerlicher Förderung und einem hohen Niveau an staatlichen Investitionen einen nicht-profitorientierten Wohnungssektor aufgebaut hat, der fast 20 Prozent aller Mietwohnungen in Deutschland umfasste. Der Ausstieg geschah unter dem Vorwand, zum Wohle der Steuerzahlenden vermeintliche Verschwendungen öffentlicher Mittel zu beenden. Der Markt, so hieß es, könne effektiver und kostengünstiger für den nötigen Wohnraum sorgen.
Das Gegenteil war der Fall. Von den damaligen insgesamt vier Millionen Sozialwohnungen sind heute nur noch rund 1,2 Millionen übrig. Gleichzeitig hat insbesondere in den Städten der Rückgang staatlicher Investitionen dazu geführt, dass sich die Mietentwicklung völlig von den Einkommen entkoppelt hat. Privatisierungen und Deregulierungen haben das Angebot günstiger Wohnungen in öffentlicher oder gemeinwohlorientierter Hand zusätzlich extrem verknappt.
Durch diesen Rückzug des Staates aus der sozialen Wohnungspolitik sind jedoch etwa nicht weniger, sondern erheblich mehr öffentliche Mittel in den Wohnungsmarkt geflossen. Die Steuererleichterungen der 1990er und 2000er Jahre für die Eigenheimzulage und für Sonderabschreibungen privater Investoren waren viermal so hoch wie die Förderung der Wohnungsgemeinnützigkeit. Der Mangel an günstigen Wohnungen hat außerdem zu einer Explosion der so genannten „Subjektförderung“, also der direkten Unterstützung einkommensarmer Menschen bei den Wohnkosten, geführt. Heute geben Bund, Länder und Kommunen rund 17 Milliarden Euro im Jahr dafür aus, um mit der Übernahme von Kosten der Unterkunft und Heizung oder mit dem Wohngeld die teuren Mieten größtenteils privater Anbieter zu subventionieren. Demgegenüber investieren Bund und Länder heute nur etwas mehr als drei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau – Anfang der 1980er Jahre investierte der Bund noch viermal so viel. Im Jahr 2017 sind auf diese Weise nur 26.000 Sozialwohnungen entstanden, während gleichzeitig die Mietpreis- und Sozialbindungen von mehr als 70.000 Sozialwohnungen ausgelaufen sind. Unterm Strich fallen seit 2013 durchschnittlich über 60.000 Sozialwohnungen jährlich weg. Auch am Ende dieser Legislaturperiode wird es deutlich weniger Sozialwohnungen geben als zu Beginn.
Die „Wohnraumoffensive“ der Bundesregierung setzt diesen Kurs mit weiteren Steuergeschenken für die Immobilienwirtschaft (Sonder-AfA) und mit einer neuen Eigenheimzulage (Baukindergeld) fort. 1,5 Millionen Neubauwohnungen sollen in der laufenden Wahlperiode erreicht werden, 350.00 bis 400.000 Wohnungen im Jahr. Die von der Regierung beschlossene Sonder-AfA – also bedingungsloser Neubau ohne soziale Bindung und die Förderung von Wohneigentum, bei der Besserverdienende ausdrücklich eingeschlossen sind – wird weitere Mietensteigerungen und den Wohnraummangel nicht verringern. Im Gegenteil: die soziale Spaltung in den Städten wird weiter vertieft. Schon heute leben Jung und Alt, Arm und Reich immer seltener Tür an Tür. Verheerend ist die Situation für Studierende. Sie finden immer seltener bezahlbaren Wohnraum. Nur eine von elf Studierenden findet Platz in einem der öffentlich geförderten Studierendenwohnheime. Stattdessen sind Studierende Zielgruppe für Vermarkter privater Kleinst-Apartments zu horrenden Preisen geworden, die sich nur Wohlhabende leisten können.
Um die Wohnungskrise abzuwenden, ist es höchste Zeit für eine Kehrtwende. Dabei sind der Einsatz für niedrige Mieten und für einen besseren Schutz der Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zentral. Gleichzeitig muss aber auch neu und vor allem bezahlbar und nicht zuletzt auch verstärkt barrierefrei gebaut werden.
Wohnen als Daseinsvorsorge: Investitionen zahlen sich aus
Einen anderen Weg hat die Stadt Wien gewählt. Seit fast einem Jahrhundert setzt die dortige Politik konsequent auf den öffentlichen und den genossenschaftlichen Wohnungsbau sowie auf die Förderung langfristig gebundener Sozialwohnungen. Dadurch leben heute zwei von drei Wienerinnen in einer der insgesamt rund 420.000 Gemeinde- oder Genossenschaftswohnungen. Ihre Mieten lagen im Jahr 2016 mit durchschnittlich 3,97 bis 4,84 Euro nettokalt pro Quadratmeter um rund ein Drittel niedriger als auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt – und weit unter dem Mietniveau, das wir in deutschen Großstädten gewohnt sind. Bei den Neubau- und Neuvermietungsmieten geht die Schere noch weiterauseinander. Dafür wendet die Stadt mit ihren ca. 1,8 Millionen Einwohnerinnen rund 600 Mio. Euro Fördermittel im Jahr auf. Davon fließen rund 80 Prozent direkt in den Wohnungsbau und nur 20 Prozent in die Subjektförderung.
Das ist sinnvoll angelegtes Geld. Das Beispiel Wien sowie zahlreiche Studien mit Vorschlägen für einen neuen öffentlichen, gemeinnützigen Wohnungsbau zeigen, dass sich langfristige staatliche Investitionen in einen öffentlichen, nichtprofitorientierten Wohnungssektor auszahlen. Das ist nicht nur wohnungspolitisch, sondern auch haushaltspolitisch und volkswirtschaftlich sinnvoll.
Bezahlbar bauen in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand
Ein Öffentliches Wohnungsbauprogramm kann jährlich 250.000 Sozialwohnungen mit dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindungen sowie weitere 130.000 Wohnungen im Jahr im kommunalen, genossenschaftlichen oder gemeinwohlorientierten Eigentum schaffen – 1,5 Mio. Neubauwohnungen in vier Jahren mit dauerhaft günstigen Mieten. Ein Rekommunalisierungsfonds stellt zusätzlich Mittel für den Ankauf vorhandener Wohnungen und für Grundstücke bereit.
Ziel des Programms ist es, den Anteil öffentlichen und gemeinwohlorientierten Eigentums an Wohnraum deutlich zu erhöhen, um damit den nicht-profitorientierten Wohnungssektor zu stärken. Durch Zuschüsse und Förderungen sollen Wohnungen für diejenigen gebaut werden, die am meisten darauf angewiesen sind: Menschen mit geringen Einkommen sowie Menschen mit Behinderungen, aber auch für Durchschnittsverdienende und Haushalte aus der Mittelschicht, die keinen Anspruch auf Sozialwohnungen haben und sich die hohen Mieten trotzdem nicht leisten können. Auch die konsequente Ausnutzung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten, wie seit 2016 in Berlin praktiziert, um sich „die Stadt zurückzukaufen“ und Wohnungen wieder in öffentliche und genossenschaftliche Hand zu bringen, trägt dazu bei, die Mietpreisspirale zu durchbrechen. Damit dieser Weg weiter fortgesetzt werden kann, braucht es zum einen deutlich mehr öffentliche Mittel und zum anderen eine rechtliche Stärkung des Vorkaufsrechts für Kommunen und Initiativen der Mieterinnen und Mieter.
Dafür soll die bisherige Forderung nach einer massiven Ausweitung und gemeinnützigen Ausrichtung des sozialen, barrierefreien Wohnungsbaus ergänzt werden um ein Investitionsprogramm für den kommunalen, gemeinnützigen Wohnungsbau. Als Gegenvorschlag zum Baukindergeld und zur geplanten Sonderabschreibung der Bundesregierung formuliert dieses Programm ein konkretes Angebot an städtische Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften und gemeinwohlorientierte Träger und damit eine praktische Perspektive für den Ausbau eines nicht-profitierten gemeinnützigen Wohnungsbausektors.
Von diesem Programm profitieren auch die kommunalen Wohnungsunternehmen in der Fläche. Insbesondere in Ostdeutschland haben diese wegen des Auslaufens der Altschuldenhilfe häufig nur geringe Investitionskraft. Zusätzlich muss in bessere Stadt-Umland-Verbindungen investiert und gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land hergestellt werden. Nur so kann das weitere Ausbluten des ländlichen Raums verhindert werden. Dies bleibt eine Herausforderung, die mittelfristig zu lösen ist.
Ein Öffentliches Wohnungsbauprogramm des Bundes
Mit dem Öffentlichen Wohnungsbauprogramm legt die Fraktion DIE LINKE, im Bundestag ein Konzept für eine soziale Wohnungsbaupolitik und damit eine konkrete Alternative zur verfehlten Politik der Bundesregierung vor. Das Öffentliche Wohnungsbauprogramm des Bundes soll einen Umfang von zehn Milliarden Euro im Jahr haben, über mindestens zehn Jahre laufen, und folgende Maßnahmen beinhalten:
- 5 Milliarden Euro
für den Sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau. Mitfinanziert durch die Länder in gleicher Höhe können jährlich 250.000 Sozialwohnungen mit dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindungen entstehen. Dabei muss ein bedarfsgerechter Anteil barrierefreier Wohnungen entstehen. - 5 Milliarden Euro
für ein Investitionsprogramm für den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau.
Davon sollen vier Milliarden Euro als Zuschüsse an kommunale Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder an andere gemeinwohlorientierte Träger, wie zum Beispiel Mietshäusersyndikat und Studentenwerk, fließen. Durch die Übernahme von 50 Prozent des Eigenkapitalanteils können jährlich bis zu 130.000 Wohnungen in öffentlicher bzw. nicht-profitorientierter Hand mit Mieten in Höhe von rund 6 bis 7,50 Euro/m² entstehen. - Eine Milliarde Euro fließt in einen Rekommunalisierungs- und Bodenfonds, der den Kommunen den zusätzlichen Ankauf von Grundstücken und Wohnungen ermöglicht. So können sie Bauland für den bezahlbaren Wohnungsbau zur Verfügung stellen und den Anteil öffentlicher und gemeinnütziger Wohnungen erhöhen, um auf diese Weise dämpfend auf die Mietentwicklung einzuwirken.
Die zusätzlichen Investitionen können durch Einsparungen beim Baukindergeld und bei der Sonder- Afa, durch das aktuell steigende Steueraufkommen, sowie durch die auf diese Weise mittelfristig sinkenden Ausgaben für das Wohngeld und die Übernahme von Kosten der Unterkunft nach SGB II und XII finanziert werden.
Zusätzlich können Maßnahmen zur Bekämpfung von Spekulation mit Wohnraum und Bauland wie die Abschaffung von Share-Deals oder die Abschöpfung von Planungswert- und Bodenpreissteigerungen zur Finanzierung des Programms beitragen.