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Ja zu abgesicherten Übergängen in Rente – Nein zur Flexi-Rente

Positionspapier,

Die Große Koalition hat erneut die Chance vertan, um älteren Beschäftigten zu ermöglichen, gesund und sozial abgesichert in Rente zu gehen. Weil die Regelaltersgrenze von künftig 67 Jahren viel zu hoch liegt, werden immer mehr Ältere Schwierigkeiten haben, ohne Abschläge in Rente gehen zu können. Ihre Rente kann um bis zu 14,4 Prozent niedriger ausfallen. Zugleich wurden die Bedingungen für einen vorzeitigen Rentenübergang in den vergangenen Jahren deutlich verschärft: Ende 2015 lief die Förderung der Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit aus, die Altersrenten für Frauen sowie für Arbeitslose und bei Altersteilzeit wurden für die Jahrgänge ab 1952 abgeschafft. In Zukunft kann in der Regel niemand mehr vor dem 63. Geburtstag in Rente gehen. Die Fraktion DIE LINKE kritisiert diese Ausrichtung in ihrem Positionspapier.

Bewertung der Vorschläge des Flexirentengesetz

1.  Einleitung

Bereits mit der Verabschiedung des Rentenpaktes im Juli 2014 hatte die Große Koalition eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um einen neuen rechtlichen Rahmen für „ein flexibleres Weiterarbeiten bis zur Regelaltersgrenze von künftig 67 Jahren“ zu schaffen sowie ein „attraktives Weiterarbeiten“ danach zu befördern. Die Flexirente war eine Konzession der SPD an den Wirtschaftsflügel der Union. So wollte sie sich die Zustimmung zum Rentenpaket und vor allem zur „Rente ab 63“ sichern. Diese Entscheidung kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mit der Überschrift: „Die Koalition macht die Rente mit 70 attraktiver“. Lange hat es gedauert: Mit über einjähriger Verspätung hatte eine Arbeitsgruppe der Koalition im November 2015 ihren Abschlussbericht vorgelegt. Die Flexirente soll Anfang 2017 in Kraft treten.

1.1.           Kurzbewertung

Die Große Koalition hat erneut die Chance vertan, um älteren Beschäftigten zu ermöglichen, gesund und sozial abgesichert in Rente zu gehen. Weil die Regelaltersgrenze von künftig 67 Jahren viel zu hoch liegt, werden immer mehr Ältere Schwierigkeiten haben, ohne Abschläge in Rente gehen zu können. Ihre Rente kann um bis zu 14,4 Prozent niedriger ausfallen. Zugleich wurden die Bedingungen für einen vorzeitigen Rentenübergang in den vergangenen Jahren deutlich verschärft: Ende 2015 lief die Förderung der Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit aus, die Altersrenten für Frauen sowie für Arbeitslose und bei Altersteilzeit wurden für die Jahrgänge ab 1952 abgeschafft. In Zukunft kann in der Regel niemand mehr vor dem 63. Geburtstag in Rente gehen. Zudem wertet das sinkende Rentenniveau die Rentenansprüche deutlich ab. Der vorzeitige Rentenbeginn wird so zusätzlich erschwert.

Entscheidend für die Erwerbsbeteiligung im Alter sind die gesundheitlichen Voraussetzungen, die betriebliche Personalpolitik sowie die Arbeitsmarktintegration älterer Beschäftigter. Schon heute gelingt der Übergang in Rente nicht reibungslos. Für Beschäftigte mit besonders belastenden Tätigkeiten oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien führt dieser Weg in eine Sackgasse. Hartz IV oder eine oftmals viel zu niedrige Erwerbsminderungsrente sind die Folge. Altersarmut und der Bezug von Grundsicherung sind dann faktisch vorprogrammiert.

2.  Die Regelungen im einzelnen

Im Kern beinhaltet die Flexirente zahlreiche Änderungen im Rentenrecht. Teilrente und Hinzuverdienst sollen flexibler und individuell miteinander kombinierbar werden. Vollrentner*innen sind künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig bis sie die Regelaltersgrenze erreichen. Nach Erreichen der Regelaltersgrenze besteht zukünftig die Möglichkeit, auf die bestehende Versicherungsfreiheit zu verzichten. Der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung für Beschäftigte jenseits der Regelaltersgrenze entfällt dann. Versicherte können früher und flexibler als bisher zusätzlich Beiträge in die Rentenversicherung einzahlen, um Rentenabschläge auszugleichen. Neue Regelungen im Bereich der Prävention und der Rehabilitation sollen die Leistungen der Rentenversicherung zur Teilhabe stärken.

2.1.           Flexiblere Teilrenten und Vereinfachung der Hinzuverdienstgrenzen

Versicherte können vor Erreichen der Regelaltersgrenze Altersrenten nicht nur als Vollrenten, sondern auch als Teilrenten zu zwei Dritteln, zur Hälfte oder zu einem Drittel beziehen. Zugleich wird durch die bisherigen Hinzuverdienstgrenzen sichergestellt, dass die Kombination aus Rente und Erwerbsarbeit nicht zu einer finanziellen Besserstellung gegenüber der vorhergehenden „vollen“ Erwerbsarbeit führt. Übersteigt das Einkommen jedoch den „zulässigen Hinzuverdienst“, wird automatisch eine kleinere (Teil-)Rente gezahlt – im Extremfall entfällt der Rentenanspruch sogar vollständig.

Der Bezug einer Teilrente und längeres Arbeiten – in der Regel in Teilzeit – soll für mehr Beschäftigte attraktiver werden. Dazu soll der Hinzuverdienst kalenderjährlich und nicht wie bisher monatsweise geprüft werden. Neben einer Vollrente sollen 6 300 Euro (z. B. regelmäßiges monatliches Einkommen von 525 Euro) anrechnungsfrei bleiben. Liegt das Jahreseinkommen über 6 300 Euro, sollen künftig 40 Prozent auf die Monatsrente angerechnet werden. Liegt das Gesamteinkommen aus Rente und Lohn (brutto) über dem neuen „Hinzuverdienstdeckel“, wird der übersteigende Betrag voll auf die Rente angerechnet. Die Altersrente kann auch hier vollständig entfallen.

Auf den ersten Blick erhöht die flexible Regelung von Teilrente und Hinzuverdienst die Attraktivität einer Weiterbeschäftigung in Teilzeit nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Doch tatsächlich kommt es zu einem Rollentausch. Bisher stand die (Teil-)Rente als Lohnersatzleistung im Vordergrund. Sie wurde durch einen Hinzuverdienst ergänzt. Jetzt wird die Teilzeitarbeit zur Haupteinkommensquelle, die durch die (Teil-)Rente „aufgestockt“ wird. Für die Versicherten sind damit zahlreiche Risiken der sozialen Absicherung verbunden. Auch mit der neuen Regelung fallen für die vorgezogene Altersrente lebenslange Abschläge in Höhe von 0,3 Prozent pro Monat an. Erkrankt die/der Teilzeitrentner*in für längere Zeit oder entfällt das Erwerbseinkommen, erhalten sie lediglich die kleinere Teilrente. Grundsicherung im Alter kann nicht bezogen werden. Es bleibt nur die Sozialhilfe. Sie unterliegt strengeren Regeln der Einkommens- und Vermögensanrechnung.

2.2.           Leitbild arbeitende Rentner*innen

Unabhängig von der Regelaltersgrenze sind Rentner*innen mit einer Altersvollrente bisher versicherungsfrei. Zukünftig soll für beschäftigte Rentner*innen vor der Regelaltersgrenze generell Versicherungspflicht gelten. Sie können Beiträge an die Rentenversicherung abführen wie (auf Antrag) pflichtversicherte Selbstständige. Ihre Rentenansprüche erhöhen sich so weiter. Der Vollrentenbezug bleibt bis zu einer Hinzuverdienstgrenze von 6 300 Euro im Jahr bestehen.

Auch Rentner*innen nach der Regelaltersgrenze waren bisher stets versicherungsfrei. Sie konnten ihre Rentenansprüche trotz Beschäftigung nicht erhöhen. Zwar zahlten Arbeitgeber ihren Anteil an die Sozialkassen. Dieser wirkte sich ebenfalls nicht rentensteigernd für die/den beschäftigten Rentner*innen aus. Diese Reglung sollte bisher vor allem Wettbewerbsverzerrungen auf dem Arbeitsmarkt vermeiden. Beschäftigte Rentner*innen können nun gegenüber ihrem Arbeitgeber auf die Versicherungsfreiheit verzichten (sogenanntes „Opt-in“). Zahlen sie eigene Beiträge, wirken sich auch die Arbeitgeberbeiträge rentensteigernd aus. Zugleich werden die Arbeitgeber finanziell entlastet. Ihr Beitrag zur Arbeitslosenversicherung entfällt. Die Regelung ist zunächst bis 2021 befristet.

Im Grundsatz ist die Rente eine Lohnersatzleistung im Alter. Durch die Rentenkürzungen der vergangenen 15 Jahre wird es für viele Rentner*innen immer schwieriger, von ihrer Rente sorgenfrei zu leben. Mittlerweile haben fast eine Million Menschen ab 65 Jahren neben ihrer Rente einen Minijob. Erwerbsarbeit im Rentenalter wird zum neuen gesellschaftlichen Leitbild. Wessen Rente nicht reicht, wird weiterarbeiten müssen. Das erhöht nicht nur den Druck auf Ältere zu günstigeren Stundenlöhnen zu arbeiten. Weil der Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung wegfällt, wird die Beschäftigung von Rentner*innen im Vergleich zu jüngeren Beschäftigten deutlich billiger für die Arbeitgeber. Nach Angaben der Bundesregierung gehen der Arbeitslosenversicherung dadurch bis 2021 rund 322 Millionen Euro an Beitragseinnahmen verloren.

Jüngere Beschäftigte schauen in die Röhre. Verlieren sie ihren Job, haben sie es zukünftig noch schwerer, wieder in die Erwerbsarbeit zurück zu finden. Während sich die Arbeitgeber einerseits seit Jahren über den Fachkräftemangel beschweren, haben sie auf der anderen Seite bisher viel zu wenig für alters- und altengerechte Arbeitsplätze getan. Als Belohnung dürfen sie sich jetzt die Rosinenstückchen am Arbeitsmarkt herauspicken.

2.3.           Beitragszahlung zum Ausgleich von Abschlägen

Bereits heute besteht bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze die Möglichkeit, Rentenabschläge für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente durch Zahlung zusätzlicher Beiträge auszugleichen. Auch (mehrere) Teilzahlungen sind möglich, wenn zum Beispiel nur einen Teil der Abschläge ausgeglichen werden soll. Dies war bisher erst ab dem 55. Lebensjahr möglich.

Mit der geplanten Neuregelung soll es bereits ab einem Alter von 50 Jahren möglich sein, Rentenabschläge auszugleichen. (Mehrere) beliebige Teilzahlungen werden dagegen nicht mehr möglich sein. Lediglich zwei Teilzahlungen pro Kalenderjahr sind zukünftig noch zulässig.

Die bisherige Regelung wird sehr selten in Anspruch genommen. Die Rückkaufkosten sind sehr hoch. Daran dürfte sich durch die um fünf Jahre frühere Möglichkeit der Ausgleichzahlung kaum etwas ändern. Die Menschen können zwar so früher und flexibler ihren Ausstieg aus dem Erwerbsleben planen und die finanziellen Folgen des vorgezogenen Rentenzugangs verringern. Gleichzeitig vergrößert sich auch die Unsicherheit, ob die Beitragszahlungen für den geplanten Rentenbeginn ausreichend sind. So war zum Beispiel im Januar 2007 für eine damals 50jährige Person nicht absehbar, dass die Rentenabschläge bei Rentenbeginn mit 63 durch die schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze nicht 7,2 Prozent sondern 10,5 Prozent betragen würden.

Dabei könnte die Regelung eine echte Alternative zur Privatvorsorge an unsicheren Kapitalmärkten sein. Aufgrund der Niedrigzinsphase steigt die Nachfrage Rentenabschläge durch Einzahlung zu verringern. Dies zeigt das große Vertrauen der Versicherten in die gesetzliche Rentenversicherung.

2.4.           Erweiterte Renteninformation und Rentenauskunft

Bisher erhalten Versicherte ab dem 27. Lebensjahr jährlich eine Renteninformation. Ab dem 55. Lebensjahr wird zudem alle drei Jahre eine umfassende Rentenauskunft erteilt. Zukünftig soll die Renteninformation bzw. Rentenauskunft auch darüber Auskunft geben, wie sich ein frühzeitiger bzw. späterer Renteneintritt auf die Rente auswirkt. Außerdem soll darüber informiert werden, welche Möglichkeiten es für einen Teilrentenbezug gibt und wie Rentenabschläge auszugleichen sind.

Schon heute sind viele Versicherte mit der Komplexität der Informationen überfordert. Mehr Informationen bedeuten auch einen höheren Beratungsaufwand. Dazu braucht die Rentenversicherung Personal und Beratungsstellen. In der Vergangenheit wurden immer mehr Beratungsstellen dicht gemacht. Ein persönlicher Kontakt gerade in ländlichen Regionen wird für viele Versicherte immer schwieriger.

2.5.           Teilhabe am Arbeitsleben und Prävention/Gesundheitscheck

Teilhabeleistungen umfassen Leistungen zu medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen. Sie werden neu strukturiert und sollen zu Pflichtleistungen in der Rentenversicherung werden. Dadurch sollen mehr Versicherte die Möglichkeit haben, ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Wenn die bisherige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt werden kann, soll es möglich sein, einen anderen Arbeitsplatz beim alten bzw. bei einem neuen Arbeitgeber zu erhalten. Das Arbeitsmarktpotential für teilweise erwerbsgeminderte Versicherte soll so besser erschlossen und der Bezug einer Erwerbsminderungsrente vermieden werden. In Modellprojekten soll zudem ab dem 45. Lebensjahr eine umfassende freiwillige, berufsbezogene Gesundheitsuntersuchung getestet werden. Spätere Leistungen zur Teilhabe sollen so vermieden werden. Vor allem Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sollen erreicht werden.

Die Stärkung der Prävention sowie die Bündelung der Teilhabeleistungen begrüßen wir. Leistungsverbesserungen gibt es jedoch nicht. Vielmehr werden die Regelungen umstrukturiert und an die Praxis der Rentenversicherungsträger angepasst. Gut ist, dass die Leistungen zur Prävention und Rehabilitation künftig als Pflichtleistungen ausgestaltet sind. Konsequent wäre es gewesen, den sogenannten „Reha-Deckel“ anzuheben. Der Leistungsumfang richtet sich weiterhin am Budget der Rentenversicherungsträger aus und nicht am tatsächlichen Bedarf. Der Grundsatz „Reha vor Rente“ kann nicht (voll) erfüllt werden.

Viel problematischer ist der verfolgte Ansatz insgesamt: Die Beschäftigten müssen ihr Verhalten ändern, um gesund und erwerbsfähig zu bleiben. Den Arbeitgebern wird keine Verpflichtung auferlegt, für sichere und gesundheitsfördernde Arbeitsplätze zu sorgen. Dabei ist bekannt, dass viele Arbeitgeber gegen Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen. Der Arbeitsplatz muss an den Bedürfnissen der Beschäftigten ausgerichtet sein und nicht umgekehrt. Gesundheitsförderung und Prävention dürfen kein Alibi für Versäumnisse der Arbeitgeber sein. Statt auf das Verhalten der Beschäftigten abzuzielen, ist Gesundheitsförderung konsequent auf die Gestaltung gesundheitsförderlicher Arbeitsbedingungen auszurichten.

3.        Fazit

Im Alter nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern die zeitlichen Freiräume für neue Interessen, für die Familie und eigene Bedürfnisse zu nutzen, ist eine herausragenden Leistung unserer Sozialstaats. Mit dem Konzept der Flexirente gerät dieser gesellschaftliche Konsens ins Wanken. Die Flexirente folgt einem falschen Leitbild. In erster Linie soll Arbeiten nach der Regelaltersgrenze für die Arbeitgeber billiger werden. Sie werden zukünftig bei beschäftigten Rentner*innen jenseits der Regelaltersgrenze von Sozialabgaben entlastet. Es droht nicht nur ein neuer Niedriglohnbereich für Ältere. Arbeiten immer mehr Ältere noch länger, werden für Berufsanfänger die Jobs knapp. Der Druck auf den Arbeitsmarkt wird deutlich erhöht.

Damit Beschäftigte gesund und sozial abgesichert auch vor der Regelaltersgrenze in Rente gehen können, muss der Zugang zu Erwerbsminderungsrenten verbessert, die Zwangsverrentung abgeschafft sowie die geförderte Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit wieder eingeführt werden. So könnten möglichst viele Beschäftigte auch in Branchen erreicht werden, in denen keine tariflichen Altersteilzeitlösungen vorhanden sind. Nicht zuletzt sollte die Rente ab 63 als eigenständige Rentenart erhalten bleiben und auch den zukünftigen Jahrgängen offen stehen.

Die Fraktion DIE LINKE. will weder den arbeitenden Rentner oder die arbeitende Rentnerin noch den rentenberechtigten Beschäftigten zum neuen Leitbild machen. Wir wollen gute und stressfreie Arbeit für alle bis zum Ruhestand. Für all jene, die dann noch weiter arbeiten wollen und können, genügen die heutigen bereits bestehenden finanziellen Anreize.