Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und ermöglicht, dass Erwerbsarbeit zunehmend zeit- und ortsunabhängig erledigt werden kann. Bedingt durch die Covid19-Pandemie arbeiten mehr Beschäftigte im Homeoffice, also von Zuhause aus. Dies erfolgt derzeit ohne ausreichende gesetzliche Rahmenbedingungen. So droht sich das ohnehin ungleiche Machtverhältnis zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern weiter zu Gunsten der Arbeitgeberseite zu verschieben. Daher ist es notwendig, gesetzliche Schutzrechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auch für digitale Arbeitsformen wie das Homeoffice, zu verteidigen und zu stärken, um die digitale Arbeitswelt im Interesse der Beschäftigten zu gestalten.
Homeoffice für alle?
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigt für den Herbst dieses Jahres ein gesetzlich verankertes Recht auf Homeoffice an. DIE LINKE begrüßt es grundsätzlich, wenn Beschäftigte mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen erhalten und damit auch ein Recht auf Homeoffice - soweit das in ihrem Beruf möglich ist und ihrem Wunsch entspricht. Homeoffice gilt derzeit eher als Arbeitsmodell für Hochqualifizierte und immer noch als Privileg. Beschäftigte mit niedrigen Einkommen oder Qualifikationen haben selten bis keine Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten. Das kann sich durch ein Recht auf Homeoffice ändern. Doch auch im digitalen Zeitalter bleibt der Großteil der Arbeitsplätze an den Betrieb gebunden. Während des Lockdowns aufgrund der COVID19-Pandemie zeigte sich deutlich, dass in vielen Berufen die physische Anwesenheit erforderlich ist, sei es in der Pflege, im Einzelhandel, bei der Polizei, in Schulen und Kitas oder auch im ÖPNV, im Handwerk, in der Gastronomie. Ein Recht auf Homeoffice wird daher immer nur für einen Teil aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umsetzbar sein. Hierzu wollen wir Kompensationsmöglichkeiten diskutieren.
22 Prozent der Beschäftigten in Betrieben mit über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten zumindest gelegentlich im Homeoffice, insbesondere in den unternehmensnahen Dienstleistungen. Doch nur 17 Prozent von ihnen haben hierzu eine vertragliche Regelung. Insgesamt wäre für weitere 30 Prozent der Beschäftigten, die heute ausschließlich im Betrieb arbeiten, Homeoffice theoretisch möglich. Die COVID19-Pandemie drängte viele Beschäftigte ins Homeoffice und wird derzeit von vielen Unternehmen zum Anlass genommen, Homeoffice auszuweiten. Auch die Absicht des Bundesarbeitsministers, den klassischen Büroarbeitsplatz im Betrieb dauerhaft Homeoffice-fähig zu machen, kann eine Entwicklung hin zu mehr Homeoffice beschleunigen. Daher plädiert der DGB für einen gesetzlichen Ordnungsrahmen, um ungeregelte „wilde mobile Arbeit“ einzuschränken. Diese Forderung unterstützt DIE LINKE, damit Homeoffice einen klaren gesetzlichen Rahmen erhält, der sich für die Beschäftigten nicht nachteilig auswirkt und die Grundlage für weitergehende tarifliche und betriebliche Regelungen bildet.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen beim Homeoffice auseinander
Für einige Beschäftigte mag die Vorstellung attraktiv sein, bei freier Zeiteinteilung selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden zu arbeiten, sich Wege zur Arbeit zu ersparen und sich ohne den Trubel des Büros auf die Arbeit konzentrieren zu können. Trotzdem lehnten noch 2016 laut dem Monitor „Mobiles und entgrenztes Arbeiten“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zwei Drittel der Beschäftigten Homeoffice ab. Ein Grund dafür ist der Wunsch nach einer klaren Trennung von Beruf und Privatleben. Die Sorge vor Entgrenzung, dem Verschwimmen von Arbeit und Privatleben, ist durchaus berechtigt. Beschäftigte im Homeoffice leiden deutlich häufiger unter einer hohen Stressbelastung: ständige Erreichbarkeit, erhöhte Flexibilitätsanforderungen, Arbeitsverdichtung bis hin zur kompletten Entkopplung von Arbeit und Betrieb. Die Folgen sind mehr Überstunden, Pausenausfälle und Arbeiten auch im Krankenstand. Beschäftigte im Homeoffice können weniger gut von der Arbeit abschalten und schlafen schlechter. Da Homeoffice in der Regel mit Vertrauensarbeitszeit verbunden ist, werden Überstunden oft nicht erfasst und damit auch nicht vergütet. Auch die tägliche Höchstarbeitszeit sowie Ruhezeiten werden im Homeoffice weniger eingehalten. Daher muss ein Recht auf Homeoffice mit der klaren Absage an die Arbeitgeberverbände verbunden sein, die Tageshöchstarbeitszeit zu streichen und Ruhezeiten zu kürzen.
Homeoffice wird oft als das Instrument für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeführt. Studien belegen mitunter das Gegenteil: Demnach verfestigt Homeoffice die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit innerhalb von Partnerschaften anstatt sie zu vermindern. Denn neben oftmals längeren Arbeitszeiten im Homeoffice stemmen Frauen die Kinderbetreuung und Sorgearbeit häufig zusätzlich. Ohne weitere betriebliche Rahmenbedingungen sowie flankierende gesetzliche Maßnahmen, wie ein Ende des Ehegattensplittings und Kita-Öffnungszeiten, die mit dem Berufsleben der Eltern vereinbar sind, bedeutet Homeoffice für Frauen mit Kindern oft eine Mehrbelastung. Hier dürfen sich Politik und Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung stehlen!
Ein Recht auf Homeoffice ist zu wenig
Homeoffice ist als Arbeitsform bisher ausschließlich und unzureichend unter dem Begriff (alternierende) Telearbeit untergesetzlich in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) geregelt: Er geht von einem vom Arbeitgeber fest eingerichteten Bildschirmarbeitsplatz in den Privaträumen der Beschäftigten aus. Vorrausetzung dafür ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten mit u.a. dem wöchentlichen Umfang von Homeoffice sowie die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Zudem bestehen für Beschäftigte im Unfallversicherungsrecht gravierende Regelungslücken. Anders als am Arbeitsplatz im Betrieb ist beispielsweise der Gang zum Mittagessen, zur Kita sowie zur Toilette während der Arbeitszeit nicht mitversichert.
Um Schutzrechte von Beschäftigten am heimischen Arbeitsplatz zu garantieren, braucht es mehr: Ein Recht auf Homeoffice muss mit einem Recht auf Nichterreichbarkeit am Feierabend und mit einer Anti-Stress-Verordnung verbunden sein. Für eine Umsetzung im Sinne des Arbeitnehmerschutzes braucht es zwingend einen stärkeren Arbeits- und Gesundheitsschutz, ein Beschäftigtendatenschutzgesetz sowie erweiterte erzwingbare Mitbestimmungsrechte für Betriebs- und Personalräte.
Freiwillig und vereinbar mit dem Privatleben
Damit auch Homeoffice „Gute Arbeit“ sein kann, sind grundlegende Dinge für die gesetzliche Ausgestaltung unverzichtbar: Homeoffice muss für die Beschäftigten freiwillig sein und darf nicht vom Arbeitgeber angeordnet werden. Eine Rückkehr an den Arbeitsplatz im Betrieb muss jederzeit möglich sein. Daher muss der Arbeitgeber verpflichtet werden, einen Arbeitsplatz im Betrieb vorzuhalten. Wer von Zuhause aus arbeitet, hat weniger persönlichen Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen und auch zum Arbeitgeber. Für die Beschäftigten kann sich das negativ auf Motivation, Zufriedenheit und Karrierechancen auswirken. Zudem kann Homeoffice zur Entbetrieblichung führen, das heißt den Betrieb als sozialen Ort gefährden: Beschäftigte werden von ihrem Team isoliert; fehlende Kontakte zu Betriebs- und Personalräten sowie Gewerkschaften erschweren die Organisierung von Beschäftigteninteressen. Daher darf Homeoffice nur einen begrenzten Anteil der vertraglichen Arbeitszeit umfassen und nur eine freiwillige Ergänzung zum festen Arbeitsplatz im Betrieb sein.
Eckpunkte für einen Rechtsanspruch auf Homeoffice
- Homeoffice muss für Beschäftigte stets freiwillig bleiben und darf nur eine Ergänzung zum Arbeitsplatz im Betrieb sein.
- Homeoffice darf nur einen begrenzten Teil der vertraglichen Arbeitszeit betreffen.
- Zur Vermeidung einer Verfestigung der ungleichen Sorgearbeit in Familien zu Lasten der Frauen braucht es flankierende gesetzliche Maßnahmen, wie die Beendigung des Ehegattensplittings und berufstaugliche Kita-Öffnungszeiten.
- Die Arbeitsorganisation im Homeoffice einschließlich der Arbeitszeit und des Arbeitspensums ist so zu gestalten, dass psychische und physische Belastungen vermieden werden. Beschäftigte brauchen ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit am Feierabend. Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten müssen in einer Anti-Stress-Verordnung festgeschrieben werden.
- Arbeitszeiten im Homeoffice müssen vollständig erfasst und vergütet werden
- Wiedereinführung der vorgeschriebenen Unterweisung der Beschäftigten zu Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz in die Arbeitsschutzverordnung. Den Beschäftigten sind dabei die Maßnahmen zur Vermeidung von Belastungen zu vermitteln.
- Verlängerung des kompletten Unfallversicherungsschutzes auf das Homeoffice.
- Der Arbeitsplatz im Homeoffice inklusive der Arbeitsmittel muss vom Arbeitgeber gestellt und unterhalten werden. Die Nutzung privater Geräte zur Arbeit im Homeoffice ist grundsätzlich auszuschließen.
- Ein gesetzlicher Beschäftigtendatenschutz, der den Schutz der Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten sicherstellt. Eine lückenlose Überwachung zur Leistungskontrolle von Beschäftigten muss gesetzlich verboten werden.
- Ausweitung der erzwingbaren Mitbestimmungsrechte von Betriebs- und Personalräten, u.a. bei Gefährdungsbeurteilungen, Arbeitsorganisation und Personalbemessung.
- Der Arbeitgeber hat Beschäftigten Unterweisungs-, Schulungs- und Qualifizierungsangebote zur Vermittlung notwendiger Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen von Homeoffice anzubieten und innerhalb der Arbeitszeit zu gewährleisten.