Der Wirecard-Skandal ist ein Wirtschaftskrimi und der größte Bilanz- und Börsenskandal der jüngeren deutschen Geschichte. Er hat die Schwächen der deutschen Finanz- und Geldwäscheaufsicht schonungslos offengelegt. Deutschland ist ein Paradies für Finanzkriminalität und Geldwäsche. Die Reputation des Finanzplatzes Deutschland wurde nachhaltig beschädigt.
Finanzaufsicht reformieren, Finanzkriminalität unterbinden!
Die politische Verantwortung und auch der Lobbyismus von Kanzleramt und Finanzministerium für Wirecard in China sowie etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse müssen vor der Bundestagswahl in einem Untersuchungsausschuss mit vollständigem Aktenzugang aufgeklärt werden.
Dass staatliche Aufsichtsorgane nicht über die Ressourcen verfügen, eine solche kriminelle Energie wie bei Wirecard aufzudecken, hat den Ursprung in einer Zeit als der „schlanke Staat“ en vogue war. Das zu weit gehende Outsourcing der Bilanzkontrolle an private Wirtschaftsprüfer und die privatrechtliche Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) wurde unter der rot-grünen Bundesregierung und dem damaligen Finanzminister Hans Eichel mit Unterstützung von CDU/CSU und FDP sowie unter Beteiligung des damaligen Bundestagsabgeordneten und heutigen Finanzministers Olaf Scholz ersonnen. Ebenso wurden schon bei Gründung der BaFin (Bundesanstalt für Dienstleistungsaufsicht) im Jahr 2002 zu große Einflussmöglichkeiten für privatwirtschaftliche Akteure geschaffen, indem Verwaltungs- und Fachbeirat mit Vertretern der Privatwirtschaft besetzt wurden. Es ist sinnvoll, wenn diese Fehlentwicklung nun korrigiert wird.Die Linksfraktion hat bereits einen Masterplan [PDF] gegen Geldwäsche mit weitreichenden Reformen bei Bund und Ländern einschließlich der Financial Intelligence Unit (FIU) des Zolls vorgelegt und frühzeitig vor dem Wirecard-Skandal kritische Anfragen zur Aufsicht über Wirecard gestellt.
Die Liste der Versäumnisse der BaFin ist lang: von den Versäumnissen in der Finanzkrise über den P&R-Skandal [PDF] und die kriminellen Cum-Ex-Steuergeschäfte bis zum Wirecard-Skandal.
Im digitalen Zeitalter, in dem Big Techs wie Apple, Google, Facebook, Ant Financial oder Amazon zunehmend unsere Finanzdaten abschöpfen und Zahlungsdienste anbieten, müssen alle finanznahen Geschäfte und Technologien zur Zahlungsabwicklung von der BaFin bzw. der europäischen Finanzaufsicht beaufsichtigt werden. Naheliegend wäre hierbei derzeit die Europäische Zentralbank (EZB) damit zu befassen, doch die Aufsicht muss mittelfristig stärker von der Geldpolitik isoliert werden, um Interessenkonflikte zwischen Aufsicht und Sicherung der Liquidität von Finanzinstituten zu vermeiden.
Zukünftig muss das Prinzip gelten: Die Finanz- und Geldwäscheaufsicht muss im Sinne der Group Compliance aus einer Hand erfolgen. Dies gilt ab einer gewissen Größe auch für die Geldwäscheaufsicht über Unternehmen des Güterhandels, die als Teil ihres Geschäftsmodells auch Finanzgeschäfte betreiben (wie z.B. Siemens oder BMW). So wie der Regierungsbezirk Niederbayern für die Geldwäscheaufsicht über einen Weltkonzern ungeeignet ist, wäre der Bezirk St. Pauli für die Kontrolle des Datenschutzes bei Facebook ungeeignet.
Der Fall Wirecard hat einmal mehr gezeigt, dass der schlanke Staat bei der Finanzaufsicht ein nackter Staat ist und die Integrität des Finanzmarktes untergräbt. Die zunehmende Verlagerung hoheitlicher Aufgaben auf private Wirtschaftsprüfer erzeugt Interessenkonflikte. Eine starke Finanzaufsicht muss ihre Aufgaben auch aus eigener Kraft erledigen können.
Die BaFin braucht daher eine eigene schnelle Eingreiftruppe sowie die personellen und materiellen Ressourcen, um in Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsbehörden und Spezialisten Unternehmen besser durchleuchten zu können. Eine Aufrüstung der BaFin ergibt aber nur Sinn, wenn diese auch ihre Aufsichtskultur radikal ändert. Die BaFin muss endlich auch zu inhaltlich-materiellen Prüfungen statt nur zu formellen Prüfungen von Börsenprospekten befähigt werden. Sie braucht zudem eine Stärkung des Anlegerschutzes sowie einen Finanz-TÜV für Finanzmarktprodukte. Ähnlich wie die britische und die US-Finanzaufsicht sollte die BaFin bessere IT-gestützte Forensik und Top-Experten einschließlich erweiterter Befugnisse bei Verstößen gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften und der Gewinnabschöpfung erhalten.
Auch bei den privaten Wirtschaftsprüfern besteht grosser Handlungsbedarf: Wirtschaftsprüfer dürfen nicht länger gleichzeitig prüfen und beraten. Das Haftungsprivileg der Wirtschaftsprüfer und die bei Fahrlässigkeit geltenden Haftungsgrenze von vier Millionen Euro bei Aktiengesellschaften gehört abgeschafft. Wir brauchen ein Vier-Augen-Prinzip (Joint Audits) sowie eine Pool-Finanzierung der Wirtschaftsprüfer, sodass Unternehmen Wirtschaftsprüfer über ein Umlageverfahren gemeinsam aus einem Topf finanzieren, damit das zu prüfende Unternehmen nicht die Prüfer direkt bezahlt und Interessenskonflikte vermieden werden. Ebenso sollten kartellrechtliche Maßnahmen gegen die marktmächtigen Wirtschaftsprüfungsunternehmen, die sogenannten „Big 4“, geprüft werden. Um effektive Schadensvermeidung durch qualitative Prüfung zu betreiben, braucht es umfassende Reformen und eine gänzlich neue Prüfungsmentalität!
Zu diesem Zweck stellt DIE LINKE. die wichtigsten Maßnahmen zur Reform der Finanzaufsicht, der Wirtschaftsprüfung sowie der Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes vor.
Reformvorschläge:
- Aufsichtsmandat der BaFin an digitale Geschäftsmodelle anpassen und europäische Aufsicht stärken. Statt der künstlichen Trennung zwischen Zahlungsdiensten und technischen Diensten muss das Mandat der BaFin auf alle „finanznahen Dienste“ und großen Konzerne erweitert werden. Auch alle technischen Dienstleister, die wesentlich zur Erbringung von Zahlungsdiensten beitragen, sollten eine Erlaubnis benötigen und einer laufenden Aufsicht unterworfen sein. Es braucht zudem eine starke europäische Aufsicht. Wer unter nationale und wer unter europäische Aufsicht fällt, muss unter anderem am Geschäftsmodell und dem Anteil der grenzüberschreitenden Zahlungstransaktionen festgemacht werden.
- Schnelle Eingreiftruppe in der Bilanzkontrolle: Schaffung eines rechtlichen Rahmens für kurzfristige Sonderprüfungen. Das bisherige zweistufige Prüfungsverfahren über die DPR (Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung) und - im zweiten Schritt – die BaFin hat sich für Sonderprüfungen nicht bewährt. Es braucht ein direktes Durchgriffsrecht der staatlichen Finanzaufsicht, das Einrichten einer „schnellen Eingreiftruppe“ und die Befähigung zu forensischen Prüfungen von Bilanzen. Die BaFin verfügt bislang nicht über die nötige Expertise, da sie Sonderprüfungen im Bereich der Bankenaufsicht und Bilanzkontrolle bisher auf externe Wirtschaftsprüfer ausgelagert hat. Daher muss die Bafin auch personell entsprechend befähigt oder eine Prüfbehörde des Bundes geschaffen werden. Als Vorbild bietet sich hier eine Orientierung am Bundesrechnungshof an, der über exzellente Expertise und qualifizierte Mitarbeiter (mit Wirtschaftsprüferexamen) verfügt.
- Fachpersonal aufstocken und in künstliche Intelligenz investieren. Um die Effektivität der Finanzaufsicht zu steigern, braucht es mehr und spezialisiertes eigenes Fachpersonal. Daneben muss in künstliche Intelligenz investiert werden, um etwa ein digitales Reporting oder forensische digitale Ermittlungsmethoden zu etablieren.
- Die Macht der „Big Four“ brechen. Wirtschaftsprüfer dürfen nicht länger gleichzeitig prüfen und beraten. Das Haftungsprivileg der Wirtschaftsprüfer und die damit verbundene Haftungsgrenze von vier Millionen Euro bei Aktiengesellschaften bei vorliegender Fahrlässigkeit gehören abgeschafft. Wir brauchen ein Vier-Augen-Prinzip (Joint Audits) sowie eine Pool-Finanzierung der Wirtschaftsprüfer, damit nicht das zu prüfende Unternehmen die Prüfer direkt bezahlt und auch mittelständische Wirtschaftsprüfer zum Zuge kommen. Wirtschaftsprüfer sollten alle 3- 5 Jahre rotieren. Die Honorarordnung für Wirtschaftsprüfer ist mit realistischen Ansätzen zu unterlegen, die kein Dumping zu Gunsten der großen Wirtschaftsprüfungskonzerne begünstigen, und die Transparenzpflichten sind zu verbessern. Ferner braucht es ein transparentes und wirksames Qualitätssicherungssystem. Angesichts der starken Marktkonzentrierung und Lobbyaktivitäten sollten auch kartellrechtliche Maßnahmen gegen die sogenannten ‚Big 4‘ geprüft werden. (Antrag: www.fabio-de-masi.de/kontext/controllers/document.php/446.d/e/7bd200.pdf)
- Informationsaustausch verbessern. Es braucht eine bessere Zusammenarbeit und einen schnelleren Informationsaustausch zwischen BaFin und dem Marktwächter Finanzen. Ebenso ist der regelmäßige Austausch zwischen der BaFin und der APAS (Abschlussprüferaufsichtsstelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) zu stärken. Auf all diesen Ebenen ist ein Frühwarnsystem für Marktmanipulation und Verbraucherschutz zu installieren.
- Kontrolle der Mitarbeitergeschäfte schärfen. Die BaFin-Beschäftigten können derzeit in erheblichen Umfang Wertpapiergeschäfte tätigen. Dies schafft erhebliche Anreize für Insidergeschäfte. Die EZB macht hier sehr viel strengere Vorgaben. Künftig sollte es den Mitarbeitern der BaFin nicht gestattet werden, Finanzprodukte (Wertpapiere und Derivate) von und auf Unternehmen, die von der BaFin beaufsichtigt werden, zu erwerben (schwarze Liste). Zusätzlich sind Kopien der Depotauszüge direkt von der Depotbank an den Arbeitgeber zu senden, wie es seit Jahren gängige Praxis in der Finanzwirtschaft ist.
- Mandat der BaFin zum kollektiven Verbraucherschutz stärken. Das bestehende Mandat der BaFin zum kollektiven Verbraucherschutz muss durch Eingriffe in Finanzprodukte in der Realität umgesetzt werden. Zugleich muss das Mandat der BaFin zum „kollektiven Schutz“ vor Finanzkriminalität und Geldwäsche geschärft werden. Der kollektive Verbraucherschutz der BaFin sollte um die Verpflichtung zur Unterstützung von Geschädigten erweitert und ein Verbandsklagerecht erwogen werden. Die BaFin muss gegenüber den Instituten und Unternehmen, die ihrer Aufsicht unterliegen, erforderliche Maßnahmen treffen, um zu gewährleisten, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher Schaden innerhalb laufender Verjährungsfristen verfolgen können. Zu diesem Zweck sollte die BaFin von den betroffenen Unternehmen Auskunft verlangen sowie Maßnahmen anordnen können, die zur Wahrung der Ansprüche und Hemmung der Verjährung notwendig sind. (Antrag: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/086/1808609.pdf)
- Produktaufsicht der BaFin stärken. Jede Geld- und Vermögensanlage sowie jedes Kreditgeschäft ist im jeweils einschlägigen Gesetz zu regulieren und durch ein laufendes materielles Prüfungsrecht (Produktaufsicht) der BaFin zu unterstellen.
- Verbraucherschutz statt Drückerkolonnen. Der provisionsbasierte Verkauf von Finanzinstrumenten sowie der Verkaufsdruck auf Finanzberatung- und Vermittlung durch Vertriebsvorgaben sind zu unterbinden. Stattdessen müssen Honorarberatung und unabhängige Finanzberatung durch Verbraucherzentralen gestärkt werden.
- Finanz-TÜV einführen. Um Finanzmarktstabilität und Verbraucherschutz zu erreichen, sollten vor Zulassung von neuartigen Kapitalanlagen bzw. Finanzinstrumente immer erst der Nutzen bzw. die Unbedenklichkeit geprüft werden. (Antrag: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/165/1916510.pdf)