I. Finanzsektor/Finanzmärkte
Die internationalen Finanzkrisen der vergangenen Jahrzehnte wie auch spektakuläre Zusammenbrüche einzelner Finanzdienstleister (z. B. der jüngste Bilanzskandal Wirecard) zeigen eindrücklich, dass von den Akteuren des Finanzsektors und den von ihnen auf den Finanzmärkten gehandelten Finanzinstrumenten gravierende systemische und einzelwirtschaftliche Risiken ausgehen.
Im Einzelfall werden »nur« Anleger:innen oder Kund:innen um Milliardenbeträge geschädigt und betrogen, im systemischen Fall können Finanzsektorkrisen sogar ganze Staaten und Sozialwesen in den Ruin stürzen.
Noch schlimmer: Gerade von den hochkomplexen Finanzinstrumenten (z. B. Derivaten höheren Grades), von denen im Krisenfall die größten Risiken ausgehen, geht unter »Normalbedingungen« kaum ein merklicher Nutzen für das Gemeinwesen aus. Anders ausgedrückt: Sie sind in hohem Maße verzichtbar. Dieses in komplexen Finanzsystemen angelegte Ungleichgewicht führt unvermeidlich zu einem altbekannten Phänomen: »In Schönwetterphasen werden die Gewinne privatisiert, in der Krise werden die Verluste dann sozialisiert«!
DIE LINKE will den Finanzsektor daher auf eine dienende Funktion für Gesellschaft und Realwirtschaft zurechtstutzen. Die Finanzmärkte sollen in ihrer Dynamik entschleunigt und im Volumen massiv geschrumpft werden. Ohne weitreichende Eingriffe/Regulierung muss jeglicher Versuch einer behördlichen Finanzaufsicht und einer demokratischen Kontrolle des Finanzsektors scheitern.
Finanz-TÜV
In Zukunft sollen daher nur noch solche Finanztransaktionen, -dienstleistungen und -instrumente erlaubt sein, die auch einen gesamtwirtschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Nutzen stiften. Statt wie bisher alle Finanzpraktiken zuzulassen, die nicht ausdrücklich verboten sind, müssen Finanzinstrumente in Zukunft eine ausdrückliche Zulassung durch einen »Finanz-TÜV« erhalten, bevor sie in Umlauf gebracht werden dürfen.[1]
Das Verfahren entspricht dann dem der gesetzlichen Arzneimittelregulierung, wenn Finanzinstrumente zuerst auf ihre Wirksamkeit und ein vertretbares Maß an »Risiken und Nebenwirkungen« geprüft werden. Kein chemisches, pharmazeutisches oder technisches Produkt darf in den Verkehr gebracht werden, ohne dass es behördlich geprüft wurde.
Nach unseren Schätzungen werden dabei mehr als die Hälfte – vielleicht sogar drei Viertel – der Finanzinstrumente den Finanz-TÜV nicht bestehen und vom Markt verschwinden müssen. Gerade solche Finanzinstrumente machen heute – auch wegen ihrer Kurzfristigkeit und ihres schnellen Handelsumschlags – den Großteil der spekulativen Finanzmarktumsätze aus.
Mit der Einrichtung eines obligatorischen Finanz-TÜV, der im Rahmen der (deutschen und bestenfalls europäischen) Finanzaufsichtsbehörden einzurichten ist, muss auch die Kontrolle und Aufsicht über den Finanzsektor verschärft werden.
Neben einem grundlegenden Wandel in der Aufsichtskultur und einer Aufstockung der personellen Kapazitäten gehört dazu eine unmittelbarere, materielle Aspekte (auch hinsichtlich Tragfähigkeitsprüfungen) umfassende Aufsicht über digitale Geschäftsmodelle im Finanzmarkt durch die BaFin sowie eine Verschärfung der Bilanzkontrolle[2] (vgl. Wirecard-Skandal).
Banken
Die Banken sollen auf ein an den Bedürfnissen der Realwirtschaft und der Gesellschaft orientiertes Geschäftsmodell zurückgeführt werden. Zu diesem Geschäftsmodell gehören Angebote im Bereich Zahlungsverkehr und sicherer Ersparnisbildung und die Finanzierung privater und öffentlicher Investitionen. Das spekulative Kapitalmarktgeschäft/ Investmentbanking der Banken soll eingestellt werden.
Im Rahmen einer Schrumpfung des Finanzsektors erscheint die bisherige private Säule profitorientierter Geschäftsbanken als gleichermaßen risikoreich wie verzichtbar. Angestrebt wird daher neben höheren Eigenkapitalanforderungen an die Banken (und der Verhinderung des Kleinrechnens institutsspezifischer Risiken durch Anwendung sogenannter interner Modelle) eine Konsolidierung des deutschen Drei-Säulen-Modells auf eine öffentlich-rechtliche und eine genossenschaftliche Bankensäule, d. h. auf Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken (inklusive Dachinstitute).[3]
Versicherungen
DIE LINKE strebt eine lebensstandardsichernde gesetzliche Rente als Teil einer übergreifenden gesetzlichen Bürger:innenversicherung an. Viele Produkte der privaten Versicherungswirtschaft in der Altersvorsorge würden dadurch obsolet und sollten erst recht nicht länger staatlich gefördert werden (z. B. Riester-Rente). Für bestehende Riester-Verträge fordern wir eine Überleitung in die gesetzliche Sozialversicherung. Gleichzeitig fordern wir von der Versicherungswirtschaft – auch und gerade nach einer langen Phase niedriger Zinsen – die Einlösung der den Versicherungsnehmer:innen zugesicherten Leistungen (Überschüsse, Bewertungsreserven etc.). DIE LINKE kritisiert seit langem, dass im Bereich Lebensversicherungen von der bzw. den Bundesregierungen eher die Interessen der Versicherungsunternehmen und Aktionär:innen als die der Versicherungskund:innen vertreten und befördert werden. Versicherer können ihren Kund:innen nunmehr leichter Geld vorenthalten, seien es die sogenannten Bewertungsreserven oder Mittel aus der Überschussbeteiligung. Die Lebensversicherung erscheint so mehr denn je als eine Art »legaler Betrug«: überteuert, intransparent und nicht verbraucher:innenfreundlich.
Geldwäsche und Finanzkriminalität
In den vergangenen Jahren lüfteten Datenlecks wie die »Panama Papers« oder »Swiss Secrets« den Schleier über der Welt des schmutzigen Geldes. Geldwäsche ist die Kriminalität der Reichen und Mächtigen. Es geht um Korruption, Steuerflucht, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel bis hin zur Finanzierung von Terrorismus. Deutschland darf nicht länger ein Paradies für Geldwäsche, insbesondere im Immobiliensektor, sein.
Dazu muss die Geldwäscheaufsicht gestärkt werden. Das erfordert die frühzeitige Einbindung der Kriminalpolizei und den Ausbau der Financial Intelligence Unit (FIU) zu einer Bundesfinanzpolizei, die Kompetenzen aus Steuerfahndung, Kriminalpolizei und Zoll bündelt.
Daneben ist die Personalausstattung – bei gleichzeitig durch die Gesetzgebung initiierten zunehmenden Verdachtsmeldungen – unbedingt weiter zu optimieren. Nach wie vor besteht hierzu angesichts der schwierigen organisatorischen und fachlichen Lage der FIU Nachholbedarf.
Der »All-Crimes-Ansatz«[4] des § 261 StGB, der seit März 2021 gilt, macht zudem mehr Beschäftigte erforderlich. Deutschland steht hier in Verantwortung einer effektiven Geldwäschebekämpfung und muss den Anforderungen der OECD, dem EU-Recht und der nationalen Gesetzgebung endlich gerecht werden.
Darüber hinaus braucht es einen wirksameren Schutz von Whistleblowern, die Offenlegung verdeckter Eigentumsstrukturen (z. B. in einem wirksamen Transparenzregister mit niedrigeren Meldeschwellen sowie einem zentralen Immobilienregister) und die Verzahnung mit dem Steuerstrafrecht.[5] Bei wiederholter Beihilfe zur Geldwäsche durch Banken und Notare muss die Lizenz entzogen werden. Ebenso braucht es ein Unternehmensstrafrecht.
Europäische Finanzpolitik
Die bislang geplante Europäische Einlagensicherung lehnen wir ab, weil dadurch unweigerlich auch seriöse, realwirtschaftlich-orientierte Banken für die Spekulationsverluste internationaler Investmentbanken geradestehen müssten. Wir sind für eine europäische Einlagensolidarität, aber nur zwischen Einleger:innen von Banken ähnlichen Zuschnitts und Risikoprofils in Europa.
Wir fordern eine Demokratisierung der Europäischen Zentralbank (EZB). Neben dem Ziel der Preisstabilität soll ihr Mandat auch auf Vollbeschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung erweitert werden. Ebenso muss der EZB die Finanzierung von Staatsausgaben ermöglicht werden, damit das künstliche Insolvenzrisiko von Euro-Staaten unterbunden wird. Schon eine Garantie der Staatsanleihen würde diese de facto risikolos machen. Denn die EZB kann als Schöpferin der Währung in Euro niemals pleitegehen. Nur sie kann der Kreditgeber der letzten Instanz sein.
Ein inflationäres Risiko besteht nicht, weil die EZB weiterhin ihrem Inflationsziel von zwei Prozent verpflichtet ist. Großbritannien und Kanada liefern den Beweis, dass das problemlos funktioniert. Dort verkaufen die Finanzminister Anleihen auch direkt an die Zentralbank.
Zur Finanzierung des großen Bedarfs an öffentlichen Investitionen inklusive des ökonomischen Wiederaufbaus Europas nach der Corona-Pandemie und der Energiepreiskrise soll das Instrument von Euro-Anleihen massiv ausgeweitet werden. Wenn die EZB diese Anleihen garantiert, gibt es kein Haftungsrisiko!
Digitalisierung, Fin-Techs und neue Zahlungssysteme
Die Digitalisierung führt auch im Finanzsektor zu grundlegenden Veränderungen und bringt völlig neue Akteure mit sich. Dazu gehören insbesondere die großen Internetkonzerne, die für Ihre Hard- und Softwareprodukte eigene Bezahlsysteme entwickelt haben (z. B. ApplePay, AmazonPay, Ebay-Tochter PayPal u. a.) oder sogar über die Etablierung eigener Parallel-Währungen nachdenken (vgl. Diem-Pläne von Facebook u. a., problematisch sind aber auch andere Kryptowährungen wie BitCoin).
Geld und Währung müssen Teil staatlicher Souveränität bleiben, eine schleichende Privatisierung lehnen wir ab. Innovative Finanz-Technik-Unternehmen (FinTechs) bzw. ihre Plattformen müssen mit ihren Finanzdienstleistungen denselben Regeln und Gesetzen unterworfen sein, wie sie heute für konventionelle Finanzdienstleister (z. B. Banken und Versicherungen) gelten.
Um im Dickicht der neuen Zahlungsinstrumente das Heft nicht aus der Hand zu geben, befürworten wir die Einführung eines »Digitalen Euro« durch die Europäische Zentralbank einführen. Der digitale Euro soll ein von der EZB garantiertes gesetzliches Zahlungsmittel sein, das Privatpersonen in begrenztem Maße und unverzinst auf Girokonten bei der EZB halten können. Nur mit einer öffentlichen Alternative zu den Bezahlsystemen der großen (Internet-)Konzerne und ihrer Daten-Sammelwut lässt sich glaubwürdig ein europäisches Datenschutzniveau durchsetzen.[6]
Nachhaltige Geldanlagen
Im Rahmen des weiter oben skizzierten Finanz-TÜVs können auch die sozialen und ökologischen Folgen von Finanzinstrumenten berücksichtigt werden. DIE LINKE steht der EU-Taxonomie grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Richtig angelegt bietet diese durchaus Chancen zur Finanzierung von mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz.
Positiv ist, dass die Taxonomie eine »öffentliche« verbindliche Klassifikation schafft, was als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit gilt. Dadurch ist sie weitreichender als private Zertifizierungsinitiativen. Dass allerdings Anlagen in Atom- oder Gasenergie an den Finanzmärkten als »nachhaltig« gehandelt und vermarktet werden dürfen, lehnen wir konsequent ab.
Neben ökonomischen und ökologischen und speziell auf die Klimakrise abzielenden Kriterien müssen auch die sozialen Aspekte von Nachhaltigkeit stärker konkretisiert und verbindlich verankert werden. Leitwert sollen die UN Sustainable Development Goals sein. Ansonsten findet ein Greenwashing - und ein Etikettenschwindel aus Anleger:innensicht - statt.
Finanzverbraucherschutz
Der Schutz der Verbraucher:innen vor gefährlichen und ungeeigneten Finanzprodukten wird im Wesentlichen durch den Finanz-TÜV verbessert, weil er nicht nur gesamtwirtschaftlich, sondern auch für Sparer:innen und Anleger:innen einzelwirtschaftlich riskante Finanzinstrumente einschränkt oder gar nicht erst zulässt.
Banken und Finanzdienstleister werden dergleichen verpflichtet, einfachere und sichere Formen der Ersparnisbildung (s. o.) anzubieten und vom Vertrieb riskanter Finanzprodukte Abstand zu nehmen. Der provisionsbasierte Vertrieb von Finanz- und Versicherungsprodukten soll mittelfristig abgeschafft werden.
Eine strenge Deckelung von Provisionen und Zuwendungen kann nur ein Zwischenschritt sein. Im gleichen Zuge sind unabhängige Finanzberatung z. B. durch Verbraucherzentralen sowie die unabhängige Honorarberatung auszubauen und zu stärken. Daneben werden Versicherer und andere Finanzdienstleister dazu verpflichtet, auch unter Niedrigzinsbedingungen die gemachten Garantien und Zusagen ihrer Produkte einzuhalten und z. B. bei klassischen Lebensversicherungen nicht Bewertungsreserven und Überschüsse, die grundsätzlich den Verbraucher:innen zustehen, zu kürzen. Insbesondere fast unregulierte Kapital- und Kreditmärkte, der sogenannte Graue Kapital- bzw. Kreditmarkt, sind einer wirksamen, einheitlichen Finanzaufsicht zu unterstellen und strikt zu regulieren.
40 Prozent der Deutschen haben keine Ersparnisse, auf die sie in Not- und Krisenzeiten zurückgreifen können. Viele müssen dann auf kurzfristige Kredite zurückgreifen, deren Kosten und Zinsen völlig unzureichend reguliert sind und die in eine Ver- und Überschuldungsituation der Menschen führen oder diese verschärfen können. Zum Schutz dieser vulnerablen Verbraucher:innen fordert DIE LINKE eine Deckelung der Dispo- und Überziehungszinsen sowie ein kostenfreies Basiskonto wie es die europäische Zahlungskontenrichtlinie explizit ermöglicht.
Wir wollen außerdem eine deutliche Begrenzung von Vorfälligkeitsentschädigungen bei vorzeitiger Rückzahlung von Darlehen, angemessene Gebühren und Entgelte für Bankdienstleistungen und eine Entkoppelung der Restschuldversicherung von Ratenkrediten.
Kreditwucher durch Kostenkumulationen bei Kettenumschuldungen, hohe Inkassokosten bei Menschen, die nicht sofort zahlen können, und erzwungene Schuldanerkenntnisse bei (Raten-)Zahlungsvereinbarungen müssen gesetzlich verboten werden.
DIE LINKE setzt sich außerdem für einen Ausbau der Schuldnerberatungsstellen der Länder und Kommunen ein, die durch eine gesetzliche Umlage der Darlehensgeber und Inkassounternehmen dauerhaft finanziert werden sollen.
Finanztransaktionsteuer
Wir fordern eine wirksame Finanztransaktionsteuer mit breiter Bemessungsgrundlage.[7] Sie soll bestenfalls weltweit, auf Druck der Bundesrepublik in Europa und ansonsten im nationalen Alleingang eingeführt werden. Da die Finanztransaktionsteuer vor allem kurzfristige Großumsätze mit kleinen Gewinnmargen trifft, leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung und Schrumpfung der Finanzmärkte. Insbesondere der computergestützte Hochfrequenzhandel hat keinerlei Nutzen für die Realwirtschaft – und verbraucht Unmengen an Energie!