Arbeitskreis III
Wirtschaft, Arbeit, Finanzen
Verantwortlich: Susanna Karawanskij (Sprecherin für Kommunalfinanzen), Richard Pitterle (Steuerpolitischer Sprecher), Dr. Axel Troost (Finanzpolitischer Sprecher)
21. Juni 2016
Eckpunkte zur Ausgestaltung eines Finanz-TÜV
Warum braucht es einen Finanz-TÜV?
Seit nunmehr 2007 steckt das Weltfinanzsystem in einer systemischen Krise. Auslöser waren komplexe Finanzinstrumente (u.a. Collateralized Debt Obligations, CDOs[1]), mit denen Kreditrisiken aus dem US-Immobilienmarkt in so viele unübersichtliche Teile zerlegt wurden, dass beim Platzen der Immobilienblase weder Banken noch Anleger_innen so recht wussten, wie weit sie von Verlusten betroffen waren und ob sie eigentlich schon pleite waren. CDOs stehen seither exemplarisch für den Exzess auf den Finanzmärkten, bei dem mit hohem Aufwand Finanzinstrumente konstruiert werden, die sich unter turbulenten Marktbedingungen als weitgehend unverständlich und komplett unberechenbar herausstellen. Ein wesentliches Problem liegt also darin, dass sich Finanzmärkte im Zuge der Liberalisierung und Aufblähung als immer komplexer und unbeherrschbarer erwiesen haben. Diese Entwicklung gilt es zu bekämpfen und zurückzudrehen.
Auch wenn die Anleger_innen durch die Krise etwas vorsichtiger geworden sein sollten, so sorgt doch gerade das anhaltende Niedrigzinsumfeld dafür, dass sich private und institutionelle Anleger_innen vermehrt für Kapitalanlagen und Finanzinstrumente[2] mit höheren Risiko interessieren, weil konservative Kapitalanlagen inzwischen kaum noch Renditen abwerfen. Es besteht daher erneut die Gefahr, dass zu hohe Risiken eingegangen werden und Anleger_innen auf den kaum regulierten Grauen Kapitalmarkt ausweichen. Unwägbare Risiken drohen darüber hinaus angesichts der angestrebten Wiederbelebung des Marktes von Kreditverbriefungen (sog. „forderungsbesicherte Wertpapiere“). Die EU-Kommission will diese zur Finanzierung von Unternehmen fördern und den rechtlichen Rahmen neu abstecken.[3] Dabei hatten riskante Verbriefungen und deren verbreitete Nutzung zur Spekulation und Verschleierung von bilanziellen Risiken als einer der auslösenden Faktoren zur Finanzkrise entscheidend beigetragen.
Als zentralen Punkt einer grundlegenden Reform der Finanzmärkte hat DIE LINKE schon zu Beginn der Finanzkrise vorgeschlagen, unterschiedliche Typen von Finanzgeschäften und Kapitalanlagen in Zukunft einer Zulassungspflicht zu unterwerfen und dadurch u.a. zu verhindern, dass überkomplexe und gefährliche Finanzinstrumente überhaupt in Umlauf kommen.
Jeder Haarföhn und jedes Telefon muss ausdrücklich von einer Produktprüfungsorganisation zugelassen werden, bevor er/es in den Verkauf geht. Umso mehr gilt dies für Arzneimittel oder komplexe technische Anlagen und Maschinen. Für komplexe Finanzinstrumente gilt dieses Prinzip jedoch immer noch nicht. Stattdessen ist heute beim Vertrieb von Kapitalanlagen bzw. Finanzinstrumenten nach wie vor alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten wurde.
DIE LINKE fordert deshalb eine Verfahrensumkehr: Kapitalanlagen sollen in Zukunft der ausdrücklichen Erstzulassung bedürfen: Wer eine neuartige, noch nicht zugelassene Kapitalanlage in Umlauf bringen will, muss zukünftig einen Zulassungsantrag stellen. Die Beweislast, dass die Kapitalanlage die für die Zulassung notwendigen Kriterien erfüllt, liegt bei den Antragstellern.
Kapitalanlagen werden in der Regel von Finanzdienstleistern (Banken, Vermögensverwaltungs-gesellschaften, Investmentfonds etc.) entwickelt, um sie gewinnbringend an Kund_innen, zum Beispiel Kapitalanleger_innen oder Unternehmen, zu verkaufen. Der Finanz-TÜV zwingt die Finanzdienstleister, die gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Unbedenklichkeit sowie Verbraucherfreundlichkeit eines neuen Kapitalanlageinstruments „nachzuweisen“, bevor sie das entsprechende Produkt in Umlauf bringen dürften. Die Kund_innen erwarten sich hingegen von diesen Kapitalanlagen einen einzelwirtschaftlichen Nutzen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass bei Ausfall einer Kapitalanlage die gebündelten einzelwirtschaftlichen Verluste ihrerseits die systemische Stabilität negativ beeinflussen können.
Kapitalanlagen müssen einfach, verständlich, transparent sein, insbesondere bei den Kosten (Abschluss, Verwaltung, Provision, vorzeitige Kündigung etc.) und vom Risiko beherrschbar. Den Finanzsektor sehen wir als Dienstleister für Realwirtschaft und Gesellschaft. Das Risiko von Fehlentscheidungen gerade für die Verbraucher_innen (aber natürlich auch für professionelle Anleger_innen) muss geringgehalten werden.
Eine Verfahrensumkehr sorgt dafür, dass der Gesetzgeber mit seiner Regulierung nicht immer den permanent den Markt flutenden neuen Kapitalanlagen hinterherhinkt. Es geht also um präventive Regulierung. Dieses Verfahren zur Prüfung und ausdrücklichen Zulassung von Kapitalanlagen bezeichnen wir als Finanz-TÜV.
Das Konzept ist nicht mit den Vorschlägen für so genannte „Marktwächter Finanzmarkt“ zu verwechseln, die seit einigen Jahren sowohl seitens der Bundesregierung als auch einiger Verbraucherschützer fälschlicherweise als Finanz-TÜV bezeichnet wurden. Der „Marktwächter Finanzmarkt“ nahm 2015 seine Arbeit auf. Er soll insbesondere Kapitalanlagen zur Altersvorsorge, Kredite, Versicherungen sowie Produkte des Grauen Kapitalmarkts genauer betrachten. Bei den Verbraucherzentralen angesiedelt, soll er die Erkenntnisse an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) weiterleiten und als Seismograph und Frühwarnsystem fungieren. Aus den Beschwerden bei Verbraucherberatungen und aus Anfragen von Verbraucher_innen sowie aus empirischen Untersuchungen stellt der Finanzmarktwächter Informationen über Fehlentwicklungen zusammen und informiert Aufsichtsbehörden ebenso wie Verbraucher_innen. Es wird nach dem Prinzip „Erkennen, Informieren, Handeln“ gearbeitet. Somit sollen zukünftig „schwarze Schafe“ auf den Finanzmärkten frühzeitig identifiziert werden.
Das Problem dabei ist, dass der Finanzmarktwächter erst tätig wird, nachdem eine unseriöse Kapitalanlage bereits auf dem Markt ist und dort für gesamtgesellschaftliche/volkswirtschaftliche Verwerfungen sorgt und Verbraucher_innen geschädigt hat. Wenn ex post der Marktwächter eine unseriöse Kapitalanlage erkennt und darüber informiert, bleibt als weiteres Problem seine beschränkte Handlungsfähigkeit bestehen: Er ist wie ein Wachhund, der schnüffelt und bellt, aber nicht beißen darf.
Um für den richtigen Biss zu sorgen, bedarf es daher einer anderen, vorgeschalteten Stelle, die dafür sorgt, dass schädliche und überkomplexe Finanzinstrumente gar nicht erst in Umlauf kommen. Genau das ist Aufgabe des Finanz-TÜV, weil er entsprechende risikobehaftete Kapitalanlagen im Rahmen seiner Prüfung gar nicht erst zulässt.
Expansion und Aufblähung der Finanzmärkte
Dies ist umso notwendiger, weil in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die Finanzmärkte mit einer stetig wachsenden Menge unterschiedlichster Kapitalanlagen überschwemmt wurden. Finanzmärkte wurden immer komplexer, intransparenter und sorgten für immer neue Risiken: Riesige Kapitalüberschüsse strömen auf der Suche nach Profit um den Globus. Diese Überliquidität bildet immer neue gefährliche Spekulationsblasen. Sie ist Folge der massiven, sich verschärfenden Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich.
Beispiel für ein komplexes Finanzinstrument: Butterfly-Zertifikat (Twin-Win-Zertifikat) Zertifikate sind strukturierte Finanzinstrumente, also Wertpapiere, die sich aus verschiedenen anderen Finanzinstrumenten zusammensetzen, darunter normalerweise auch Derivate. Derivate sind Finanzinstrumente, die sich auf andere Finanzinstrumente als zugrundeliegenden Wert beziehen, zum Beispiel auf eine Aktie bzw. die Entwicklung des Kurses dieser Aktie. Beispiel Derivat: Aktienkaufoption - dieses Papier räumt dem Inhaber das Recht ein, zu einem bestimmten Zeitpunkt X vom Verkäufer der Aktienkaufoption eine bestimmte Menge Y einer bestimmten Aktie zu einem vorher festgelegten Preis P zu kaufen. Liegt der Kurs P dieser Aktie zum Zeitpunkt X höher als der in der Option festgeschriebene Preis, macht der Inhaber der Option Gewinn, denn er kann die Aktie unter Marktpreis einkaufen. Liegt hingegen der Aktienkurs real niedriger als in der Kaufoption vereinbart, lohnt sich die Ausübung der Option nicht. Gewinn macht dann der Verkäufer der Option, denn er hat vom Käufer der Aktienoption zuvor eine Prämie für die Gewährung der Option erhalten. Aus verschiedenen Aktienoptionen und weiteren Derivaten können dann Zertifikate zusammengebaut werden. Beispiel Butterfly-Zertifikat auf einen Aktienwert: Ein solches Zertifikat kombiniert mehrere Aktien-Kauf- und -Verkaufsoptionen und bietet bis zu einer bestimmten Schwelle von Kursverlusten die Möglichkeit, von Kurssteigerungen und Kursverlusten einer Aktie zu profitieren. Dividendenzahlung bei zugrundeliegenden Aktien ist ausgeschlossen. Ein Butterfly-Zertifikat wirft Gewinn ab, solange der Aktienkurs steigt oder fällt, dabei aber nicht unter eine bestimmte Schwelle sinkt. Verluste gibt es hingegen, wenn der Kursverfall eine bestimmte Schwelle unterschreitet (z.B. in Form von Totalverlust) – und wenn sich der Kurs gar nicht verändert. Das Beispiel soll zeigen, dass viele Finanzinstrumente ein Spekulationsbedürfnis von Finanzanlegern bedienen, dass viele dieser Instrumente aber nur profitabel sind, wenn Finanzmarktpreise schwanken, d.h. instabil sind. Je mehr Finanzmarktakteure Verluste machen, wenn sich der Preis von Aktien (oder eben anderer Wertpapiere) nicht ändert, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieselben Akteure durch Leerverkäufe und andere Instrumente versuchen werden, Aktienkurse (nach oben oder unten) zu destabilisieren. Aus Sicht der Allgemeinheit leistet das beschriebene Butterfly-Zertifikat daher keinen Beitrag zur Finanzstabilität.
Ziele und grundlegende Kriterien des Finanz-TÜV
Bei Einrichtung eines Finanz-TÜV, also der Einführung der Zulassungspflicht für Kapitalanlagen, sind auch bereits bestehende und im Umlauf befindliche Kapitalanlagen, dem Zulassungsverfahren zu unterwerfen und dürfen nicht, nur weil sie schon auf dem Markt sind, unkontrolliert auf dem Markt bleiben (kein „grandfathering“).
Bei der Zulassungsprüfung geht es insgesamt darum, ob die Kapitalanlage neben einem betriebswirtschaftlichen Nutzen erhebliche gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Wirkungen/Risiken sowie Risiken für die Verbraucher_innen enthält. Grundsätzlich unbedenklich erscheinen von vornherein keine Kapitalanlage und keine Finanzdienstleistung.
Als Ziele des Finanz-TÜV verfolgen wir ein Entschlacken, Gesundschrumpfen und eine Komplexitätsreduktion der Finanzmärkte, ein weitgehendes Stopp von Regulierungsumgehung (Steuervermeidung etc.) sowie die Eindämmung hochspekulativer und unseriöser Kapitalanlagen. In der Folge ist eine erhöhte Finanzmarktstabilität zu erwarten.
Übersichtlichere Finanzmärkte mit ökonomisch sinnvollen und transparenten Finanzinstrumenten sind wichtige Grundlage eines effektiven finanziellen Verbraucherschutzes.
Reichweite der Prüfkompetenz
Der Finanz-TÜV soll alleinig über die Zulassung und Nichtzulassung einer Kapitalanlage entscheiden und dabei die Zulassung entlang gesamtgesellschaftlicher/ volkswirtschaftlicher sowie verbraucherschutzrelevanter Kriterien prüfen.
EU-weite Verankerung des Finanz-TÜV
Da die Finanzmarktregulierung in der Europäischen Union vergemeinschaftet ist, die Finanzmarktgesetzgebung also auf europäischer Ebene erfolgt, kann ein Finanz-TÜV nur EU-weit eingeführt werden.[1] Entsprechend müsste das bereits bestehende europäische Finanzmarktrecht an den Finanz-TÜV angepasst werden. Einige europäische Gesetzespakete müssten noch einmal aufgeschnürt werden, darunter die aktuelle Finanzmarktrichtlinie (MiFID). Natürlich wäre eine globale Neuordnung der Finanzmärkte nach dem Modell des Finanz-TÜV wünschenswert, für einen ersten Anlauf scheint die europäische Ebene aber schon mehr als ambitioniert.
Für die europäische Ebene streben wir eine einheitliche europäische Zulassungsstelle an. Ein unionsweit einheitliches Zulassungs- und Aufsichtssystem mit einem Finanz-TÜV könnte – analog zu den harmonisierten Zulassungsvoraussetzungen für Finanzinstitute – auf einen präventiven Schutz abzielen.
Die Einrichtung eines selbstständig tätigen Finanz-TÜV kann auf die Kompetenz zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 53 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützt werden. Sofern der Finanz-TÜV die Konvergenz der Finanzaufsicht bezüglich der Förderung von Transparenz und Fairness auf den Wertpapiermärkten für Verbraucher von Kapitalanlagen betrifft, könnte sich seine Einführung auf Artikel 114 AEUV stützen.[2]
Haftungsfragen und Umgehungsstrategien
Ein häufig vorgetragener Vorbehalt gegen jede Art staatlicher Zulassungspflicht bezieht sich auf die Frage der staatlichen Haftung. So stelle eine ausdrückliche Zulassung einer Kapitalanlage durch eine öffentliche Behörde eine implizite Staatsgarantie dar und bei Problemen mit einem derart zugelassenen Produkt könne neben dem Hersteller auch der Staat als Zulassender in Haftung genommen werden. Bei genauerer Betrachtung erweist sich dieses Argument aber als weitgehend vorgeschoben.
Ein Finanz-TÜV würde das europäische System der Finanzaufsicht produkt- und akteursbezogen ergänzen. Existiert ein Finanz-TÜV, gerät die EU zwar in die Rolle einer Gutachterin, aus dieser Gutachtertätigkeit können aber keineswegs automatisch Schadensersatzansprüche von Finanzinstituten oder Anleger_innen abgeleitet werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es im Zuge der Zulassung selbst zu Rechtsverstößen seitens der Zulassungsbehörde käme, sofern zum Beispiel einem zulassungsfähigen Finanzinstrument unrechtmäßig die Zulassung verweigert oder umgekehrt ein nicht zulassungsfähiges Produkt zu Unrecht (etwa infolge von Bestechlichkeit) zugelassen würde.
Von diesen Sonderfällen abgesehen zielen Regulierung und Aufsicht darauf ab, die Interessen der Kund_innen im Ganzen, nicht aber das Interesse einzelner Kund_innen zu schützen. Die Regelungen des EU-Sekundärrechts sehen nicht vor, dass Kund_innen Amtshaftungsansprüche gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden zustehen, wenn die Behörden ihren Aufsichtspflichten fehlerhaft nachgekommen sind. Auch die europäischen Aufsichtsbehörden unterliegen dadurch keiner Amtshaftung, dass sie ausdrücklich nur im öffentlichen Interesse tätig werden.[3]
Die mit einem Finanz-TÜV einhergehenden Beschränkungen der Grundfreiheiten (etwa Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit) lassen sich generell durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen. Dazu zählen vor allem die Stabilität des Finanzsystems, die Integrität des Finanzsektors sowie der Anleger- und Verbraucherschutz.[4]
a. Haftung bei Schaden durch zugelassenes Finanzinstrument aufgrund einer fehlerhaften Finanz-TÜV-Prüfung
Ein auf EU-Ebene einzurichtender Finanz-TÜV kann gegen Haftungsansprüche bei einer fehlerhaften Finanzinstrumentenaufsicht und -zulassung abgeschirmt werden, indem ein individualschützender Normzweck explizit ausgeschlossen wird, so dass sich auch aus einer weiten gerichtlichen Auslegung kein Haftungsanspruch ergeben kann. Missstände in der Finanzaufsicht müssen aber natürlich – unabhängig von Haftungsfragen – politisch angegangen werden. Für Anleger_innen gibt es jedoch keinen Anspruch darauf, dass die zuständigen Behörden individuell, also in ihrem Interesse Aufsichtsmaßnahmen treffen. Die Aufsicht wird in öffentlichem Interesse wahrgenommen, aber selbst diese Aufsicht kann keine völlige Sicherheit bieten. Individuelle Schadenersatzansprüche sind somit ausgeschlossen.
b. Haftung bei Schaden infolge der fehlerhaften Nichtzulassung eines Finanzinstruments
Ein Amtshaftungsanspruch setzt auch hier voraus, dass die verletzte europarechtliche Vorschrift bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Das Verbot der Zulassung eines Finanzinstruments kann in diesem Fall einen Eingriff in die Gewährleistung der Berufsfreiheit, der unternehmerischen Freiheit und des Eigentums darstellen.
Etwaige Eingriffe müssen deshalb mit dem öffentlichen Interesse zum Beispiel an der Stabilität des Finanzmarkts gerechtfertigt und verhältnismäßig sein und dürfen entsprechend nicht übermäßig weit gehen (Übermaßverbot). Gleichzeitig sind staatliche Institutionen verpflichtet, ihren Beitrag zur Gewährung und Verwirklichung der EU-Grundfreiheiten zu leisten und dürfen ein Mindestmaß an Berufs-, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehrsfreiheit nicht unterschreiten (Untermaßverbot). Letzterem könnte zum Beispiel durch ein Anhörungsrecht für den betroffenen Emittenten entsprochen werden. Ohne eine Gewährleistung von grundlegenden Widerspruchs- und Verteidigungsrechten des Emittenten kann ein Eingriff in eine individualschützende Norm tatsächlich als unverhältnismäßig aufgefasst werden.[5]
c. Umgehungsstrategien
Um Umgehungsstrategien zu vermeiden, muss festgelegt werden, dass das Zulassungsverfahren generelle Voraussetzung für den Handel mit Kapitalanlagen aller Art in der EU ist. Nicht in der EU emittierte Finanzinstrumente müssen für ihre Handelbarkeit in der EU zunächst das entsprechende Zulassungsverfahren durchlaufen. Ähnlich wie bei der EU-Regulierung für Alternative Investmentfonds (AIFM-Richtlinie) könnte sich eine unionsrechtliche Regelung über die Zulassung von Finanzinstrumenten auch auf entsprechende Instrumente aus Drittstaaten erstrecken.[6]
Gefährdungshaftung des Anbieters von Kapitalanlagen
Zwischen der Haftung von Anbietern im Bereich Pharmazie (Medikamente) oder Chemie, die ein neues Produkt oder einen neuen Stoff auf den Markt bringen wollen, und Finanzdienstleistern bzw. Emittenten besteht eine Analogie. Heute werden mittels Gefährdungshaftung nach deutschem Deliktsrecht in der Regel Schäden an Körper, Gesundheit und Sachen abgedeckt, die u.a. durch fehlerhaft entwickelte Medikamente oder eine mangelhafte Prüfung von deren Nebenwirkungen verursacht werden. Ähnliche Haftungsverpflichtungen gibt es bei Chemikalien. Bei Schäden, die von unseriösen, gefährlichen Kapitalanlagen verursacht werden, handelt es sich meist „nur“ um Vermögensschäden. Ein Wertpapier verliert beispielsweise an Wert. Nach dem Deliktsrecht sind solche Schäden nur im Falle der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung ersatzfähig.
Für eine Übertragung der Gefährdungshaftung auf Emittenten von Kapitalanlagen ergibt sich aus verfassungsrechtlicher Sicht weder eine Verletzung der Eigentumsgarantie aus Art. 14 GG noch ein Eingriff in die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. Bei letzterer ist ein Eingriff gerechtfertigt, wenn damit ein Gemeinwohlzweck (hier: Schutz der Verbraucher_innen vor Vermögensschäden) verfolgt wird und der Eingriff verhältnismäßig ist. Dem Nachteil einer Berufsregelung (z.B. für Finanzberater und -vermittler) durch eine Gefährdungshaftung steht entgegen: Besonders hohe Verluste vieler Verbraucher_innen nach dem Scheitern einer Kapitalanlage summieren sich und können sogar volkswirtschaftlich gefährlich werden. Insoweit ist auch ein Eingriff in Art. 12 GG gerechtfertigt.
Praktikabel ist ein präventives Verbot von Kapitalanlagen bzw. ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die den Emittenten auferlegten Pflichten eines Finanz-TÜV müssen also verhältnismäßig und erfüllbar sein, damit gerade kleine Anbieter nicht vom Markt verdrängt werden. Alles in allem ist es möglich, den Emittenten einer Kapitalanlage für sein Produkt im Sinne einer Gefährdungshaftung haften zu lassen.[7]
Institutionelle Andockung der Zulassungsstelle
Die obligatorische Zulassungsprüfung muss von einer Behörde oder Institution umgesetzt werden. Eine pragmatische Möglichkeit bestünde darin, den Finanz-TÜV als möglichst eigenständigen Funktionsbereich bei der Europäischen Behörde für Wertpapieraufsicht (ESMA) anzusiedeln. Selbstverständlich werden in enger Kooperation auch die EBA und die EIOPA, z.B. bei fondsgebundenen Versicherungsprodukten, mit eingebunden. Die ESMA könnte neben der Befugnis zu einer Standardsetzung unmittelbar Kapitalanlagen zulassen. Gleichzeitig könnten dezentrale Außenstellen des Finanz-TÜV, zum Beispiel bei den nationalen Wertpapieraufsichten als Anlaufstelle für Zulassungsanträge dienen, Auskünfte erteilen und bei Anträgen auf Neuzulassung prüfen, ob eine gleiche oder sehr ähnliche Kapitalanlage bereits eine Zulassung hat.[8]
Mindeststandards der Zulassungsprüfung und „objektive“ Prüfkriterien
Um Haftungsfragen von vornherein klein zu halten, ist dafür zu sorgen, dass dem Finanz-TÜV keine Willkür unterstellt werden kann, damit es nicht ständig zum Anfechten der TÜV-Entscheidungen durch Finanzinstitute, Finanzdienstleister oder Anleger_innen kommt. Daher sind gesetzlich definierte objektive Prüf- und Zulassungskriterien wichtig.
Die Zulassung von Kapitalanlagen muss an Bedingungen geknüpft und an die Zielgruppe einer Kapitalanlage angepasst sein.
Hier ist ein zweistufiges Verfahren sinnvoll: Die erste Stufe ist die eigentliche Zulassungsprüfung, die nach den Wirkmechanismen der Kapitalanlage und der grundsätzlichen Unbedenklichkeit fragt. Wie eine solche Zulassungsprüfung aussehen könnte, wird im Folgenden am Konzept von Saule Omarova aufgezeigt.
In der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob überhaupt und wenn ja, für welche Anleger_innen/Zielgruppen (private Anleger_innen/Kleinanleger_innen oder professionelle/institutionelle Anleger_innen wie Versicherungen, regionale Regierungen oder Börsenhändler, vgl. § 31a Abs. 2 WpHG[9]) mit welcher Anlagestrategie die Kapitalanlage zugelassen wird (Nutzungsauflagen; z.B. Kapitalanlagen ohne funktionierenden Zweitmarkt und/oder mit Nachschusspflicht niemals an private Anleger_innen). Für die Zielgruppe der Privatanleger_innen kann man sich an der verbraucherrelevanten Funktion einer Kapitalanlage orientieren, je nachdem, ob ein Sparer oder eine Sparerin mit einem „einfachen“ Basisinvestment eine „eiserne Reserve“ aufbauen will, die Kapitalanlage für die Altersvorsorge gedacht ist oder doch eher für den Vermögensaufbau.
Drei-Stufen-Modell nach Omarova
Saule T. Omarova[10], eine früher für Finanzanwaltskanzleien und das US-Finanzministerium tätige Professorin für Finanzrecht an der Cornell University (New York), hat 2012 einen dem Konzept des Finanz-TÜV sehr ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Auch sie plädiert für eine Zulassungspflicht für Finanzinstrumente und schlägt für die Zulassungsprüfung drei Schritte vor.
Diese Anlageklassen sind unter anderem zu berücksichtigen:
- Bankeinlagen, zum Beispiel
- Sichteinlagen (Girokonto, Tagesgeld), Festgeld und Sparbriefe
- Anleihen
- Staatsanleihen/ öffentliche Anleihen
- Unternehmensanleihen
- Wandelanleihen
- Unternehmensbeteiligungen:
- Aktien
- Offene Investmentfonds, Geldmarktfonds, offene Immobilienfonds
- Geschlossene Fonds (Windkraft, Schiffscontainer, Immobilien etc.)
- Genussrechte, Inhaberschuldverschreibungen, Nachrangdarlehen, Direktkredite
- Beteiligungen an Hedgefonds und Private Equity Fonds
- Indexfonds/ETF
- Derivate: Zertifikate (Bonus-, Discount-, Hebel-,...), Optionen, Futures, weitere strukturierte Produkte
- Rohstoffe-Derivate, zum Beispiel Rohstoff-ETF
- Verbriefungen
- Versicherungen, kapitalbildend oder fondsgebunden
- Crowdfinance/Crowdinvesting
Zuerst den economic purpose test (Verwendungszweck, Zielsetzung) – hier muss der Antragsteller beweisen, dass das Finanzinstrument sozial und wirtschaftlich beherrschbar ist. Folgende Kriterien müssen unter anderem erfüllt werden: Der angestrebte Markt für das Finanzinstrument und die potenziellen Käufer_innen müssen beschrieben werden[11], und die mit dem Produkt adressierten wirtschaftlichen Bedürfnisse potenzieller Kund_innen sind zu benennen. Zudem müssen die finanziellen Risiken und Belastungen offengelegt werden. Gerade bei komplexeren Finanzinstrumenten jenseits von Bankeinlagen und Anleihen ist zu prüfen, ob die Funktionen des neuen Instruments nicht bereits durch andere (zugelassene) Instrumente erfüllt werden.[12] Wird also das Instrument mit seiner Zielsetzung, für das eine Zulassung beantragt wird, bereits mit standardisierten Finanzinstrumenten abgedeckt? Worin liegt der ökonomische Mehrwert?
Zweitens einen institutional capacity test (Leistungsfähigkeit, Risikomanagement) – hier wird untersucht, ob der Antragsteller effektiv die Fähigkeit zum Risikomanagement und zur Überwachung von Marktdynamiken besitzt. Er muss dazu seine innerbetriebliche Organisation, sein gesamtes Geschäft und seine finanzielle Aufstellung samt Risikoprofil umfassend darlegen. Insbesondere wird auf das Eigenkapital ein Blick geworfen. Der Finanz-TÜV könnte zum Beispiel eine höhere Eigenkapitalreserve vorschreiben, wenn das Instrument ein definiertes Risikolevel erreicht. Dadurch sollen mögliche Verluste für den Emittenten nicht die Stabilität des Gesamtsystems gefährden. Ist die Zulassungshürde durch den Finanz-TÜV hoch, haben Finanzinstitute einen Anreiz, mehr in finanzielle Risikoanalyse zu investieren.
Omarova geht in ihren Ausführungen davon aus, dass die Anträge zur Neuzulassung von Finanzinstrumenten von den Institutionen gestellt werden, die diese Produkte selbst nutzen wollen, bzw. dass die meisten Finanzinnovationen zur Eigenverwendung entwickelt werden. Der Finanz-TÜV müsste im institutional capacity test natürlich ebenso die Kompetenzen derjenigen prüfen, an die ein entsprechendes Finanzinstrument veräußert wird und die damit die entsprechenden Risiken kennen und tragen müssen.
Der Finanz-TÜV könnte dementsprechend ein Finanzinstrument auch nur eingeschränkt zum Handel zwischen Institutionen zulassen, die bestimmte Vorbedingungen erfüllen und nachweisen müssen (etwa bestimmte Eigenkapitalpuffer, Anforderungen an die Qualifikation des Risikomanagements).
Drittens einen systemic effects test (Systemische Auswirkungen) – hier wird untersucht, inwieweit das Finanzinstrument ein unakzeptables Risiko für die Systemstabilität darstellt (volkswirtschaftliche Wirkungen) und die öffentliche Ordnung dadurch beeinträchtigt. Der Antragsteller muss überzeugend darlegen, dass das Instrument kein potenziell unakzeptables Risiko enthält und die Verwundbarkeit des Finanzsystems nicht steigern wird. Es wird also nach den externen Kosten für das Gemeinwesen geschaut. Hierbei ist auch zu beachten, ob ein Instrument so angelegt ist, dass positive Erträge den privaten Eigentümern zu Gute kommen, im Fall von Verlusten aber letztlich die Allgemeinheit die Kosten tragen muss. Denkbar ist hier die Einführung von Positionslimits, also die Begrenzung der Menge einzelner Finanzmarktinstrumente, die ein einzelner Marktakteur halten darf.
Durch diese bewusst weitgefasste Regelung sollen möglichst viele Faktoren mit in die Untersuchung einbezogen werden, auch solche, die der Antragsteller bisher nicht aufgeführt hat.
Nach einer Zulassung zum Markt ist gemäß Epstein/Crotty ein „post-marketing Plan“ (Informationen zur Verteilung auf dem Markt) zu erstellen. Antragsteller/Emittenten müssen für risikoreiche Finanzinstrumente nach einem bestimmten Zeitraum einen neuen Zulassungsantrag stellen.[13]
Das Grundproblem des Zulassungsverfahrens bleibt, dass der Risikobegriff im Zentrum steht. Es ist schwer, für jede Kapitalanlage das noch vertretbare Risiko festzulegen – umso mehr, wenn die Risikoermittlung dabei auf historische Daten angewiesen ist. Schlussendlich bleibt vieles eine Wertungsfrage, die individuell für jede Kapitalanlage von gut qualifizierten Finanz-TÜV-Mitarbeiter_innen beantwortet werden muss. Getreu der Formel „in dubio pro reo“ muss gelten: Im Zweifel für die systemische Stabilität und den Verbraucherschutz.
Positiv- und Negativliste
Zur Veranschaulichung, was ein Finanz-TÜV letztlich unter „gesamtwirtschaftlich unbedenklich“, „ökonomisch sinnvoll“ und „sehr riskant mit volkswirtschaftlichem Gefahrenpotenzial“ versteht, sollte vor Inkrafttreten der Zulassungspflicht vom Finanz-TÜV eine Positiv- und eine Negativliste weit verbreiteter Kapitalanlagen erarbeitet werden. Diese dürfte wohl ein Girokonto, einen Bausparvertrag, eine klassische Aktie oder eine Anleihe als zulässig klassifizieren, aber sehr wahrscheinlich komplexe Derivate höherer Ordnung oder ungedeckte Leerverkäufe und Credit-Default-Swaps als nicht zulässig.
Die Negativliste lässt aber die Möglichkeit offen, dennoch einen Zulassungsantrag für das betreffende Finanzinstrument zu stellen, nur wird die Hürde bzw. die Beweislast, die Erfüllung der Zulassungskriterien nachzuweisen, für die Emittenten entsprechend umso schwerer.
Rückholung im Umlauf befindlicher Kapitalanlagen
Was passiert mit Kapitalanlagen, die bei Einrichtung des Finanz-TÜVs im Umlauf und nach den Kriterien des Finanz-TÜV nicht zulassungsfähig sind (neue Papiere dieses Typs Kapitalanlage dürfen natürlich nicht mehr emittiert werden)?
Wir schlagen vor: Die nicht zulassungsfähigen Kapitalanlagen laufen aus bis zur Fälligkeit (das könnten Jahrzehnte sein). Nicht zulassungsfähige Kapitalanlagen, die keine Fälligkeit haben, laufen bis maximal zehn Jahre nach Beginn des Finanz-TÜV.[14]
Sollte der Finanz-TÜV den Zulassungsantrag auf eine bereits im Umlauf befindliche Kapitalanlage ablehnen, so darf das Produkt nicht länger angeboten werden. Das kann zwar Finanzanlagenvermittler, Banken etc. in ihrer Berufsfreiheit einschränken[15], dies ist aber zulässig mit Verweis auf hinreichende Gründe des Gemeinwohls und die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Zuge des Zulassungsverfahrens.
Anleger_innen könnten hingegen im Falle einer Nicht-Zulassung einer bereits umlaufenden Kapitalanlage in ihrer Eigentumsfreiheit eingeschränkt werden, wenn ihre Kapitalanlage einen Wertverlust erleidet. Zu beachten ist jedoch, dass eine allgemeine Wertgarantie vermögenswerter Rechtspositionen ohnehin nicht aus der Eigentumsgarantie abgeleitet werden kann. Der Tauschwert vermögenswerter Rechte allein untersteht nicht der Eigentumsfreiheit, eine eventuelle Wertminderung durch die verweigerte Zulassung stellt also keinen Eingriff in die Eigentumsgarantie dar.
Haftungsfragen bei der Rückholung von unbefristet laufenden Kapitalanlagen hängen von der Art des Produkts und der konkreten Ausgestaltung der Rückholung ab. Auch hier gilt: Der reine Wertverlust stellt keinen Eingriff in die Eigentumsgarantie dar. Unter Umständen liegt aber eine Beschränkung oder ein Ausschluss der Verfügungsbefugnis vor. In allen Fällen ist jedoch der Vertrauensschutz der Verbraucher_innen zu beachten, weswegen wir großzügige Fristen (Fälligkeit bzw. 10 Jahre) gewählt haben.
Finanzierung des Finanz-TÜV
Ein EU-weiter Finanz-TÜV übernimmt eine neuartige Funktion und benötigt entsprechend erhebliche zusätzliche Ressourcen, insbesondere sachkundiges Personal. Daneben wird gerade die Anfangsphase sehr turbulent, weil in kurzer Zeit für hunderttausende von Kapitalanlagen zu entscheiden sein wird, ob sie eine Zulassung erhalten. So stellt sich die Frage, wie der Finanz-TÜV finanziert werden soll.
Wir schlagen vor, dass der Finanz-TÜV über Gebühren für die Bearbeitung von Zulassungsanträgen finanziert wird, und zwar in Abhängigkeit von der Komplexität der beantragten Kapitalanlage und entsprechend dem Aufwand der Zulassungsprüfung. Wer viele verschiedene Kapitalanlagen in Umlauf bringen will, muss entsprechend oft Gebühren zahlen.
Emittenten von Kapitalanlagen sollen animiert werden, tendenziell einfachere, transparente und stärker standardisierte Kapitalanlagen zu entwickeln und deren Zulassung zu beantragen, um die Übersichtlichkeit bei den Kapitalanlagen zu erhöhen. Gerade im Interesse einer Entschlackung der Finanzmärkte sollten die Zulassungsverfahren für hochkomplexe Kapitalanlagen so anspruchsvoll sein, dass schon der bürokratische Aufwand sowie die zu erwartenden Zulassungsgebühren eine abschreckende Wirkung entfalten.
Zertifizierung aus Verbraucherschutzperspektive
Während die bisherigen Ausführungen hauptsächlich den Umgang mit Kapitalanlagen durch Finanzinstitutionen und institutionelle Anleger_innen betreffen werden, wäre der zu Beginn erwähnte Finanzmarktwächter für eine Einordnung bzw. Zertifizierung der durch den EU-weiten Finanz-TÜV zugelassenen Kapitalanlagen nach Risikogruppen allein unter Gesichtspunkten des Verbraucherschutzes verantwortlich.
Bei einer Einordnung in üblicherweise fünf bis sechs Risikoklassen wird allerdings kaum die Vielfalt von Kapitalanlagen abgebildet, und es könnte eine trügerische Sicherheit vermittelt werden (unterstellte Renditegarantie bei vermeintlicher Risikolosigkeit). So könnten eine Zertifizierung und eine Risikoklasseneinordnung die Produktvermarktung durch den Emittenten stützen. Dennoch ist eine gewisse Klassifizierung für Verbraucher_innen gewiss notwendig.
In jedem Fall sollte der Finanz-TÜV nicht mit den finanzverbraucherpolitisch notwendigen Funktionen über Gebühr belastet bzw. in entsprechende Zielkonflikte hineingezogen werden. Denn die Interessen eines Marktwächters für Finanzmärkte können sehr leicht mit denen des Finanz-TÜV in Konflikt geraten, wenn sich der Marktwächter zum Beispiel im Interesse sicherer und höherer Renditen für die Verbraucher_innen dafür stark macht, dass der Finanz-TÜV gesamtgesellschaftliche und volkswirtschaftliche Risiken ertragreicher Kapitalanlagen möglichst gering bewertet.
[1] Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages betont in einer Ausarbeitung die Notwendigkeit eines supranationalen Vorgehens, vgl. WD, Mattias Mock, Fragen zu einem Finanz-TÜV, 07.11.2014, S.8.
[2] Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.7.
[3] Vgl. WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.8-14.
[4] Vgl. WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.8.
[5] Vgl. WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.19-21.
[6] Vgl. WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.22.
[7] Vgl. WD, Gefährdungshaftung für Emittenten und verfassungsrechtliche Aspekte eines „Finanz-TÜV“, Mai 2016.
[8] Auf Basis von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage sollte für die entsprechenden Vorschriften die Form einer Verordnung gewählt werden, um der ESMA die Befugnis zur Verhängung eigener Maßnahmen auf dem Gebiet des Finanz-TÜV zu übertragen und um sicherzustellen, dass Vorschriften, mit denen private Akteure direkt verpflichtet werden, in der gesamten Union einheitlich angewandt werden. Alles in allem ist es also möglich, der ESMA Funktionen eines Finanz-TÜV zu übertragen, vgl. WD (Hannes Rathke), Unionsrechtliche Anforderungen an eine europäische Vorabprüfung von Finanzmarktprodukten, Mai 2015, S.22-25.
[9] Gegebenenfalls ist noch eine weitere Unterteilung in „semiprofessionelle Anleger“ möglich, vgl. § 1 Abs. 19 Nr. 33 KAGB.
[10] Vgl. WD, Mattias Mock, Fragen zu einem Finanz-TÜV, 07.11.2014, S.7f.
[11] Ähnlich das Modell von Epstein und Crotty: Vor der Marktzulassung muss das Institut sämtliche Informationen zur Natur des Finanzinstruments, zum Marketing Plan, zu der Funktion des Instruments etc. mitteilen. Der Antragsteller muss beweisen, dass das Instrument die beschriebenen Funktionen erfüllt und muss Ergebnisse eigener Sicherheitstests (sowie Ausgestaltung betriebsinterner Prüfmodelle) mitteilen, vgl. WD, Mattias Mock, Fragen zu einem Finanz-TÜV, 07.11.2014, S.4-6.
[12] Denkbar wäre der Nachweis eines „Zusatznutzens“ wie bei der Arzneimittelzulassung, vgl. WD, H.H. Becker, Arzneimittelzulassung in Deutschland, Okt. 2014.
[13] Vgl. WD, Mattias Mock, Fragen zu einem Finanz-TÜV, 07.11.2014, Modell von Epstein und Crotty, S.6.
[14] Alternativ denkbar wäre ein zweistufiges Verfahren. Zu Beginn werden die Zulassungskriterien/objektive Kriterien veröffentlicht, nach denen zukünftig (nach einer Übergangsphase von 2-5 Jahren) über die Zulassung aller Kapitalanlagen entschieden wird. Während der Übergangsphase hat die Finanzbranche dann Gelegenheit, nach eigener Einschätzung die Produkte in diesem Zeitraum abzuwickeln bzw. auszusondern, die absehbar keine Zulassung erhalten werden. Wenn nach 2-5 Jahren dann hoheitlich über die Zulässigkeit entschieden wird, wäre die Anzahl an Produkten, die kurzfristig vom Markt müssen, deutlich kleiner mit entsprechend geringerem Turbulenzpotenzial.
[15] Vgl. dazu und im Folgenden WD, Marten Vogt, Überlegungen zur Schaffung eines „Finanz-TÜV“. Haftungsfragen und Rückholung nicht-zulassungsfähiger Finanzinstrumente, 28.10.2014, S.9-11.
[1] CDOs sind strukturierte Finanzinstrumente, denen Wertpapiere unterlegt sind, denen selbst Kreditforderungen unterliegen, beispielsweise Baukredite.
[2] Wir benutzen in der Folge die Termini „Kapitalanlage“ und „Finanzinstrument“ synonym als Oberbegriffe für die Gesamtheit aller Geschäfte, die auf Finanzmärkten getätigt werden (siehe ergänzend auch die Übersicht über Anlageklassen im Kapitel „Mindeststandards der Zulassungsprüfung und ‚objektive‘ Prüfkriterien“). „Kapitalanlagen“ und „Finanzinstrumente“ schließen demnach alle Finanzgeschäfte mit dem Ziel der Wertaufbewahrung, der Ersparnisbildung, der Absicherung wie auch der Spekulation ein.
[3] Vgl. Verordnungsvorschlag der EU-Kommission COM (2015) 472 final.