Obwohl es bislang nur unzureichende gesetzliche Regelungen und einheitliche Rahmenbedingungen für die Integration digitaler Gesundheitsanwendungen in das Gesundheitssystem gibt, haben diese bereits Einzug in die Behandlungspraxis, in die Arbeitsverhältnisse und in unser Leben gehalten. Von Gesundheits-Apps über Praxis-Management-Systeme bis hin zu Robotik in der Pflege, all diese neuen Gesundheitstechnologien verändern unser Leben und unsere Arbeit. Zum Teil gehören sie schon fest zur Diagnostik und dem Behandlungsalltag in den Kliniken und Praxen. Es ist höchste Zeit, gesetzliche Regelungen zu treffen und einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der technische Fortschritt uns nützt und nicht schadet!
Denn mit der zunehmenden Vernetzung treten neben Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung auch Widersprüche und sogar negative Folgen für Patient*innen sowie Beschäftigte im Gesundheitssektor hervor: Verlust und Missbrauch sensibler Gesundheitsdaten, intransparente und unzureichende Datenschutzbestimmungen und fehlende Risikoabschätzungen, Arbeitsverdichtung, verschärfte Kontrollen von Arbeitnehmer*innen und die Gefahr des Missbrauchs der Telemedizin als „Billigmedizin“ für wirtschaftsschwache Regionen. Bei der Bewertung digitaler Technologien muss beachtet werden, dass technischer Fortschritt im Kapitalismus niemals wertneutral passiert; die Verwertungslogik ist systemimmanent. Deshalb sind neben dem Nutzen für Pflegekräfte, Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörigen auch die Fragen zu beantworten, wer Forschung und Entwicklung in Auftrag gibt und welche Interessen dahinter stehen.
Dabei könnte die Digitalisierung im Gesundheitswesen, wenn es dafür entsprechende politische Zielvorgaben und gesetzliche Regelungen gäbe, durchaus zur Verbesserung der Qualität der Versorgung, der Arbeitsbedingungen und der Prävention von Erkrankungen beitragen. Sie könnte Hürden für den Zugang zu Gesundheitsleistungen senken und dadurch helfen, Menschen eine notwendige Behandlung zu ermöglichen. Die digitale Vernetzung könnte durch einen verbesserten Datenaustausch dabei helfen, Mehrfachuntersuchungen zu vermeiden, Therapien besser abzustimmen und eine integrierte und multiprofessionelle Versorgung voranzubringen. Versicherte könnten mehr Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten erlangen und stärker an der Entscheidung über Behandlungen teilhaben.
Digitalen Anwendungen im Gesundheitssystem wird vielfach ein Vertrauensvorschuss gewährt, von dem man aus guten Gründen bei anderen Therapien wie Arzneimitteln oder Operationsmethoden seit langem Abstand genommen hat. Wie bei anderen Methoden treten auch bei elektronischen Anwendungen und Methoden im Gesundheitswesen unerwünschte Effekte auf, zum Beispiel weil sie eine trügerische Sicherheit vermitteln oder die erhofften gesundheitlichen Wirkungen in der Realität gar nicht entfalten. Auch die Auswirkungen der Integration von Künstlicher Intelligenz in den Gesundheitsbereich lassen sich bislang in ihrer Tragweite nur erahnen und müssen kritisch begleitet werden.
Aus dieser Widersprüchlichkeit digitaler Technologien ergeben sich neue Herausforderungen für eine linke Gesundheitspolitik: Technologischer Fortschritt in den einzelnen Feldern des Gesundheitswesens – sei es in der Pflege, in der ambulanten Versorgung, Verwaltung oder Forschung – ist immer im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu betrachten. Durch die wettbewerbliche Regulierung im Gesundheitswesen kommt es zur weiteren Ökonomisierung medizinischer und pflegerischer Handlungen. Digitalisierung wird unter diesen Bedingungen immer im Sinne ökonomischer Interessen Ausgestaltung finden und als ihr Katalysator dienen, sofern nicht politisch gegengesteuert wird. Die wettbewerbliche Ausrichtung der Krankenkassen trägt dazu bei, dass eher der marketingrelevante Wohlfühlfaktor als der belegte Nutzen den Ausschlag für die Erstattung gibt. Wenn digitale Verfahren als Satzungsleistung oder im Rahmen von Selektivverträgen angeboten werden, verschärfen sie den Kassenwettbewerb und die ungleiche Behandlungsqualität in Gesundheit und Pflege. Werden auf der anderen Seite sinnvolle Verfahren nicht in den Regelkatalog aufgenommen, drohen den Versicherten sowohl im Gesundheits- wie auch im Pflegebereich hohe Selbst- oder Aufzahlungen und damit eine Verschärfung der Zwei-Klassen-Versorgung. Das Ergebnis sind beispielsweise Leistungsstreichungen in den Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, die Weiterverarbeitung oder gar der Verkauf von Gesundheitsdaten, ein Abbau von analoger Infrastruktur, der die Versorgung für Teile der Bevölkerung sogar wieder einschränken kann.
Unter unregulierten kapitalistischen Bedingungen bleiben gesundheitstechnologische Innovationen hinter den medizinisch-ethisch bestmöglichen Lösungen zurück, weil schon bei ihrer Entwicklung ihre Einsatzmöglichkeit für die Profitmaximierung ein zentrales Kriterium darstellt.
Aus diesem Grund bedarf es handfester politischer Kriterien zur Bewertung digitaler Technologien im Gesundheitswesen:
- Der Steuerung durch Wettbewerb und Profitinteressen muss durch sinnvolle und bindende Regularien für digitale Anwendungen entgegengetreten werden, damit die Interessen und Selbstbestimmung der Patient*innen im Vordergrund stehen
- Die Frage nach einer Haftung im Fall von Gesundheitsdatenverlust und -missbrauch muss dringend geklärt und darf nicht auf die Nutzer*innen abgewälzt werden, stattdessen bedarf es der Ausweitung von Produkthaftungen auf IT-Hersteller und sinnvoller Regelungen gegenüber anderen Beteiligten, wie z. B. Krankenkassen
- Die informationelle Selbstbestimmung von Patient*innen und Versicherten muss jederzeit gewahrt werden und die Auswertung von Gesundheitsdaten darf nur unter strengen Kriterien erfolgen
- Die Verwendung von eHealth-Anwendungen muss stets auf Freiwilligkeit basieren und Patient*innen und Versicherten dürfen keine Behandlungsnachteile entstehen, wenn sie sich gegen ihre Nutzung entscheiden. Die Bereitschaft, zur eigenen Datenweitergabe darf nicht zum Wettbewerbsinstrument zwischen den Krankenkassen werden
- Patient*innen sowie Beschäftigte im Gesundheitssektor müssen an der Entwicklung und Umsetzung von digitalen Gesundheitstechnologien angemessen im Sinne einer umfassenden Mitbestimmung beteiligt werden
- Der Einsatz von Gesundheitstechnologien muss einen unterstützenden Charakter haben, die Versorgung der Patient*innen verbessern und darf nicht zur Kürzung von Leistungen eingesetzt werden
- Den Einsatz digitaler Anwendungen und Methoden zur bloßen Kostenreduzierung unter Inkaufnahme der Verschlechterung der medizinischen Versorgung lehnen wir strikt ab
- Digitale Gesundheitstechnologien sollen barrierefrei gestaltet und allen Menschen diskriminierungsfrei zugänglich sein, dies geht Hand in Hand mit angemessenen Weiterbildungs- und Informationsmöglichkeiten für die Versicherten und Patient*innen
- Es muss ein evidenzbasiertes Bewertungsverfahren für eHealth-Anwendungen analog zu anderen medizinischen Behandlungsmethoden entwickelt werden
Ein Beleg von Sicherheit und Nutzen neuer digitaler Anwendungen – zum Schutz der Patient*innen unentbehrlich
Wie bei anderen medizinischen Verfahren müssen gesicherte wissenschaftliche Daten zur Sicherheit und zum Nutzen von eHealth-Anwendungen Voraussetzung für die Zulassung oder Zertifizierung und erst recht für die Finanzierung durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sein. Es ist daher notwendig, analog zu anderen Behandlungsmethoden ein evidenzbasiertes Bewertungsverfahren für eHealth-Anwendungen zu entwickeln und möglichst EU-weit zu vereinbaren. So soll einerseits gewährleistet werden, dass nutzbringende Anwendungen rasch in die Regelversorgung aufgenommen werden. Andererseits gilt es zu verhindern, dass eHealth-Anwendungen ohne ausreichende Prüfung in der GKV breite Anwendung finden und der Solidargemeinschaft unnötige Ausgaben und gesundheitliche Risiken verursachen. Selektivvertragliche Lösungen oder die Ausweitung von Satzungsleistungen lehnen wir daher auch bei eHealth ab.
Die Online-Anbindung, zum Beispiel von elektronisch gesteuerten Morphin- und Insulinpumpen, kann die Versorgung erheblich verbessern, sie kann aber auch ein tödliches Risiko bergen, wenn diese gehackt werden. Deswegen muss das Prüfungsverfahren auch die Möglichkeit des externen Eindringens in diese Systeme berücksichtigen und ggf. besonders sensiblen Anwendungen die Zulassung versagen.
Telematik, elektronische Gesundheitskarte, Patient*innen- und Gesundheitsakte
Die Telematik-Infrastruktur ermöglicht den Akteuren im Gesundheitssystem, möglichst sicher miteinander zu kommunizieren und scheint derzeit als sinnvollste Voraussetzung für eine moderne, patientenzentrierte Versorgung. Ihre Nutzung kann und wird unabhängig von der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) erfolgen. Das ursprüngliche Konzept der eGK ist dagegen unter hohen Kosten gescheitert. Zurecht hat nun endlich die Neukonzeption der großen Telematik-Vorhaben begonnen. Die Voraussetzung für eine Nutzung dieser neuen Möglichkeiten zum Vorteil der Patient*innen sind höchstmögliche Datenschutzstandards und ein sinnvoller Schutz der informationellen Selbstbestimmung. Die Selbstverwaltung hat sich bei der Festlegung grundlegender Spezifikationen solcher eHealth-Anwendungen bisher blockiert. Es ist nun erforderlich, dass nach einer fundierten Risikoabschätzung konkrete Mindestanforderungen zu Interoperabilität, Datenschutz, Transparenz und Zugriffsbestimmungen definiert werden. Eine Überwachungsbehörde des Bundes muss die Einhaltung dieser Standards überprüfen und sicherstellen. Die Zustimmung zu der dafür erforderlichen Einsicht in Geschäftsdaten muss Voraussetzung für die Möglichkeit sein, eine elektronische Patient*innenakte (ePA) nach §291a SGB V anzubieten. Dieser Anspruch gilt auch für das elektronische Rezept (eRezept).
Auf dieser Grundlage sind aus unserer Sicht verschiedene Angebote der ePA notwendig, deren Gestaltung von der Speicherung auf dezentralen Servern, über eine Beschränkung auf den Abruf von Behandlungsunterlagen durch Leistungserbringer, über ein Open-Source-Design bis hin zur Speicherung auf sicheren, tragbaren Speichermedien reichen sollte und den Versicherten eine echte Wahlfreiheit ermöglicht.
Die durch Begriffsverwirrung teils als Patientenakten wahrgenommenen Gesundheitsakten nach § 68 SGB V sind dagegen Angebote privater Dienstleister, die von den Krankenkassen finanziert werden. Die entsprechenden Apps der Krankenkassen sind bereits durch erhebliche Sicherheitsmängel aufgefallen. Diese Angebote lehnen wir ab, solange keine ausreichenden und für alle gleichermaßen gültigen Sicherheitsstandards definiert wurden.
Telemedizin kann persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt nicht ersetzen
Telemedizin kann eine sinnvolle Ergänzung der Vor-Ort-Versorgung darstellen. So können Spezialist*innen hinzugezogen oder Folgebehandlungen mit nichtärztlichem Praxispersonal (z. B. „Gemeindeschwestern“) durchgeführt werden. In der Psychotherapie können besondere Behandlungen niedrigschwelliger angeboten werden und so den Zugang für sonst schwer erreichbare Patientengruppen erleichtern. Bei Akutpatient*innen kann ein telemedizinisch gestütztes Verfahren helfen, die richtige Behandlungseinrichtung und Hilfeleistung zu ermitteln. Tele-Monitoring kann die Patient*innensicherheit verbessern und verschiedene Anwendungen können Behandlungstreue- und erfolg der Patientinnen und Patienten bei der Reha, Physiotherapie oder Arzneimitteltherapie fördern. Auch hier sind wissenschaftlich gesicherte Einschätzungen des Patient*innennutzens Voraussetzung für ihre Etablierung in der Versorgung und erst Recht für ihre Einbeziehung in die GKV-Versorgung.
Mit Sorge beobachten wir allerdings Bestrebungen, den Anspruch einer wohnortnahen medizinischen Versorgung gerade im ländlichen Raum zugunsten telemedizinischer und anderer eHealth-Anwendungen aufzugeben. Dieser Ansatz verstößt nicht nur gegen das Interesse der Patient*innen, sondern ignoriert auch die gesellschaftliche Rolle, die Ärztinnen und Ärzte und andere Gesundheitsberufe erfüllen sowie deren Bedeutung für den Therapieerfolg. Er verkennt auch die mangelnde Krisenfestigkeit von netzbasierten Anwendungen. Die medizinische Versorgung muss auch dann gewährleistet werden, wenn Breitbandleitungen nicht funktionieren.
Gesundheits-Apps – Die Spreu vom Weizen trennen
Gesundheitsdaten sind zu den begehrtesten Daten im Big Data-Geschäft geworden. Sie sind besonders geeignet, Schaden anzurichten, etwa wenn sie unkontrolliert in die Hände von Versicherungen, (künftigen) Arbeitgebern oder staatlichen Behörden, Großkonzernen unseriösen Geschäftemachern gelangen. Es gibt inzwischen über 100.000 Gesundheits-Apps. Sie können Menschen helfen, ihre persönlichen gesundheitsbezogenen Ziele zu erreichen. Es ist aber im Moment für die Menschen nicht möglich zu überprüfen, welche Apps das auch tatsächlich tun. Zudem können so weitgehend unkontrolliert sensibelste Daten gesammelt werden, deren Verarbeitung und Verwertung nicht nachvollzogen werden können. Auch sind sie meist ungeschützt gegen Angriffe, die medizinische Daten nicht nur lesen, sondern auch manipulieren können. Wir fordern für Gesundheits-Apps eine Zertifizierung nach staatlichen Vorgaben. Geprüfte Anwendungen müssen fachliche Anforderungen bei dem Ziel und der Methode sowie einen transparenten Umgang mit User-Daten nachweisen. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten muss auf den Anwendungszweck beschränkt werden. Eine solche Zertifizierung kann dazu beitragen, das Vertrauen in seriöse Anwendungen zu stärken und bei ungeprüften Apps eine gesunde Skepsis wachsen zu lassen. Grundsätzlich kann die Anerkennung von Apps als Medizinprodukte durch die „Benannten Stellen“ nach EU-Medizinprodukteverordnung solche Anforderungen erfüllen. Doch dafür bedarf es etlicher Konkretisierungen auf EU-Ebene und großer Bemühungen, den Anteil anerkannter Apps erheblich zu erhöhen. Wir fordern analoge Regelungen auch für Online-Angebote, die etwa eine Patient*innenakte auf privaten Seiten anbieten. Die massenhafte Datensammlung von internationalen Digitalkonzernen wie Google, Amazon und Apple muss verhindert werden. Die Weitergabe der sensiblen Daten durch die Anwender*innen muss immer wohl informiert und freiwillig erfolgen und darf auch langfristig nicht Grund für Diskriminierung oder Voraussetzung für den Zugang zu einer wirksamen Behandlung sein.
Wenn Gesundheits-Apps im Rahmen der GKV-Versorgung eingesetzt werden, sind die Anforderungen an die Qualität noch erheblich höher anzusetzen. Eine Bewertungsmethodik, die im Sinne einer patient*innenorientierten Nutzenbewertung bestmöglich Ergebnisqualität untersucht, muss jedoch erst noch entwickelt werden. Der erfolgreichen Erprobung solcher mobiler Anwendungen muss die Übernahme in die Regelversorgung folgen. Sinnvolle Apps, die nachweislich die Gesundheit der Menschen verbessern, dürfen nicht zum Wettbewerbsspielball der Krankenkassen werden.
Informationelle Selbstbestimmung und Big Data
Um was es sich genau bei einem Gesundheitsdatum handelt, ist nicht klar definiert. Denn die ursprüngliche Definition stammt noch aus dem nicht-digitalen Zeitalter, als die Reichweite von Datenverarbeitung nur einen kleinen Ausschnitt des Lebens betraf. Mittlerweile können allerdings beinahe alle produzierten und gesammelten Daten einen Gesundheitsbezug aufweisen. Neue Formen der Datenverarbeitung, die Alltagsgegenstände und Körper in einer neuen Form von Virtualität miteinschließen, erfordern angepasste Datenschutzbestimmungen, die auf informationelle Selbstbestimmung ausgerichtet sind. Das Bewusstsein, dass es sich hierbei um ein gefährdetes Gut handelt, muss gefördert werden. Die informationelle Selbstbestimmung wird nur gewahrt werden können, wenn ihr Schutzprogramm verändert wird durch eine vorsorgende Gestaltung von Strukturen und Systemen und die Inpflichtnahme von Herstellern zur Umsetzung von Datenschutz in Technik. An die Eigenverantwortung der Konzerne zu appellieren hat keinen Zweck. Daten, die einmal gestohlen wurden, können nicht wieder zurückgeholt werden, was einen langfristigen und sozialen Schaden zur Folge hat.
„Big Data“, also die Verarbeitung großer Datenmengen und die dafür genutzten Technologien, ist längst auch in der Methodenbewertung, zum Beispiel bei Nutzen und Risiken von Arzneimitteln, angekommen. Die neuen Möglichkeiten, große Datenmengen mit relativ kleinem Aufwand analysieren zu können, haben neue Perspektiven für die Versorgungsforschung eröffnet. Auch können Zusammenhänge und Ursachen in der epidemiologischen Forschung, zum Beispiel bei der Erforschung von sogenannten „Volkskrankheiten“, erkannt werden. Gesetzliche datenschutzrechtliche Vorgaben müssen so umgestaltet werden, dass diese Forschung sinnvoll möglich wird, der Datenschutz dennoch garantiert wird.
Es gibt Bestrebungen von Zulassungsbehörden mit Unterstützung der Pharmaindustrie, die Anforderungen an klinische Studienergebnissen für eine Arzneimittelzulassung zu senken. Routinedaten der Krankenkassen, Registerdaten oder andere Daten, die direkt im Behandlungsalltag anfallen – sogenannte „real world data“ – sollen den kontrollierten Forschungsprozess ersetzen (so z. B. vorgesehen im Konzept „adaptive pathways“). DIE LINKE lehnt diese Entwicklung entschieden ab. „Real world data“ sind nicht geeignet, den Nutzen einer Behandlungsmethode mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen und widersprechen unserem Anspruch an Patient*innensicherheit. Die Kriterien der evidenzbasierten Medizin müssen für eine Beurteilung neuer Behandlungs- und Untersuchungsmethoden auch in Zeiten von „Big data“ das Maß der Dinge bleiben. Die Auseinandersetzungen müssen auch als Feld der interessengeleiteten Kämpfe um die Deutungshoheit von Wissenschaft verstanden werden.
Wie kann die digitale Welt in der Pflege helfen?
Digitale Anwendungen kommen verstärkt auch in der Pflege zum Einsatz. Bei der digitalen Entwicklung muss zwischen Robotik und allgemeiner Digitalisierung, z.B. in Form von Gesundheits-Apps oder Telemedizin unterschieden werden. Gerade in der Pflege kommt Robotik, etwa als „Lifter“ oder ähnliches, seit Jahrzehnten zum Einsatz und wird stetig weiterentwickelt. Hinzu kommen nun Roboter-Assistenten, sogenannte Humanoide. Diese Geräte sind dazu geeignet, die pflegerische Arbeit zu unterstützen und die körperlichen Belastungen der Pflegenden zu reduzieren. Diese Systeme dürfen Pflegefachkräfte nicht ersetzen und sollen Zeit für die lebendige Assistenz im Pflegeprozess schaffen. Es bedarf unter anderem ethisch, arbeitstechnisch und datenschutzrechtlich begründeter Standards für ihren Einsatz. Ziel muss die Reduzierung gesundheitsbelastender Routinearbeiten (Heben, Stützen, Tragen, Begleiten), die Vermeidung deaktivierender Maßnahmen und gefährlicher Pflegesituationen sowie unnötiger Krankenhauseinweisungen sein.
Andere digitale Anwendungen sollen beispielsweise die Pflegedokumentation aussagefähiger und effizienter machen. Als Ziel wird auch hier angegeben, reale Pflegezeit zu gewinnen. Für viele Pflegekräfte ist die digitale Dokumentation und Kommunikation eine enorme Arbeitserleichterung. Unser Ziel muss sein, dass diese Anwendungen nicht zur Überwachung der Pflegekräfte, zu Tarifflucht und zu Arbeitsplatzabbau führen. Menschliche Zuwendung darf nicht durch digitale Technologien ersetzt werden.
Selbst- und mitbestimmte Arbeitszeitsouveränität und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sollten angestrebt werden. Die Mitbestimmung der Belegschaften ist dafür zu erweitern und die Mitsprache der betroffenen Menschen mit Pflegebedarf, einschließlich eines Vetorechts für den Robotereinsatz, zu definieren.
DIE LINKE will, dass digitale Anwendungen auch in der Pflege mit dem Ziel zum Einsatz kommen, für Menschen mit Pflegebedarf, deren Angehörige und Pflegekräfte, schwere und belastende Tätigkeiten zu minimieren und mehr soziale Teilhabe für Menschen mit Pflegebedarf und / oder Behinderungen zu ermöglichen. Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Menschen mit Pflegebedarf müssen gestärkt werden. Gleichzeitig muss Pflege durch gut ausgebildete und in ausreichender Zahl zur Verfügung stehende Pflegekräfte gewährleistet sein und darf nicht durch eHealth-Einsatz reduziert werden.
Wegen des Teilkasko-Charakters der Pflegeversicherung wird der Einsatz von Robotertechnik vor allem in stationären Pflegeeinrichtungen zu erhöhten finanziellen Belastungen der Menschen mit Pflegebedarf führen. Denn diese werden im Gegensatz zu Personalausgaben als Investitionskosten verbucht und können vollständig auf die Bewohner*innen umgelegt werden. DIE LINKE setzt sich deshalb für eine Pflegevollversicherung ein, die alle pflegebedingten Kosten, auch für digitale Hilfsmittel, übernimmt.
Digitalisierung und ihr Einfluss auf Gesundheit und Arbeit
Die fortschreitende Digitalisierung hat auch auf die Arbeit und die Beschäftigten weitreichende Auswirkungen. Sie ermöglicht immer schnellere Arbeitsprozesse und immer neue Maßnahmen der Effizienzsteigerung. Immer öfter macht das den Menschen zum limitierenden Faktor in den Arbeitsabläufen, was zu neuen und auch gesundheitlich problematischen Zwängen zur Selbstoptimierung führt. Zudem verringert diese Entwicklung Atempausen, die sich sonst im Arbeitsablauf ergeben haben. Es ist heute „normal“, in hoher Geschwindigkeit mehrere Aufgaben simultan zu bearbeiten. Die Mobiltechnologie hat die Beschleunigung weiter vorangetrieben. Es wird heute oftmals erwartet, jederzeit und auch im Urlaub erreichbar zu sein. Das Wohnzimmer oder die Bahn können durch wenige Klicks zum Arbeitsplatz werden, was der Entgrenzung der Arbeit weiteren Vorschub liefert. Eine Lockerung des Arbeitszeitgesetzes lehnen wir daher ab. Der Belegschaft muss zudem mehr Mitspracherecht bei der Anwendung neuer Technologien eingeräumt werden.
Diese Entwicklungen bleiben nicht ohne Wirkung auf die Beschäftigten, auch im Gesundheitssystem. Momentan geben die Arbeitgeber den Ton für den Einsatz digitaler Lösungen an. Effizienz- und Produktivitätsgewinne sowie Flexibilisierung führen deshalb eher zu Personalabbau und Gewinnsteigerung, als zu mehr Selbstbestimmung und besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Wir wollen aktive Mitgestaltungsrechte für die Beschäftigten bei digitalen Anwendungen und betrachten die Durchsetzung dieser Forderung als eine Frage des politischen Willens. Wem neue Technologien letztlich nutzen, ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Die Digitalisierung in der Arbeitswelt betrachten wir daher als weiteres Feld gesellschaftlicher Verteilungskämpfe. Wir wollen die neuen Möglichkeiten nutzen, um für Beschäftigte und Selbständige mehr Gestaltungsmöglichkeiten und letztlich mehr Lebenszufriedenheit auch in Bezug auf die Arbeit zu erreichen.
Die Entwicklung hin zu medienzentrierten sowie mehr und mehr mobilen Arbeitsplätzen bringt in Verbindung mit den gesteigerten Effizienzerwartungen auch spezifische Herausforderungen für den Arbeitsschutz mit sich. Die psychischen Belastungen, die damit einhergehen, müssen besser erforscht und bei Arbeitsschutzmaßnahmen berücksichtigt werden. Neue Definitionen bei der Bemessung von Arbeitsleistung sind notwendig, um geistige Akkordarbeit zu erkennen und zu vermeiden. Wir fordern dafür eine Anti-Stress-Verordnung.