Dietmar Bartsch, Fraktionschef der LINKEN, sieht durch die Inflation den sozialen Frieden bedroht, die Ampel reagiere unzureichend. Nord Stream 2 will er dennoch nicht öffnen. Das Interview für ZEIT Online führten Katharina Schuler und Ferdinand Otto.
Ein Café in einer angenehmen Wohngegend, mitten in Berlin. Es ist viel los um die Mittagszeit. Es gäbe sicher ruhigere Orte, um mit Dietmar Bartsch (64), dem Chef der Linken im Bundestag, über Inflation, Armut und Proteste zu sprechen. Aber Bartsch ist noch nicht wieder so mobil: Bei einem Radunfall hat er sich sechs Rippen gebrochen, die nur langsam heilen.
ZEIT ONLINE: Herr Bartsch, die Linke ruft zu Protesten auf und spricht von einem heißen Herbst. Wollen Sie die Unzufriedenheit absichtlich anfachen, um neue Sympathien für Ihre angeschlagene Partei zu gewinnen?
Dietmar Bartsch: Uns geht es um eine sichtbare Kritik an den Entscheidungen der Bundesregierung und um die dramatische Entwicklung im Land und in Europa: Die historisch hohe Inflationsrate, die explodierenden Nahrungsmittel- und Energiepreise sind für viele Menschen eine existenzielle Bedrohung. Da werden wir als Linke gemeinsam mit vielen anderen Flagge zeigen.
ZEIT ONLINE: Wie groß ist diese Unzufriedenheit wirklich? Bei der Demonstration vor der FDP-Zentrale in der vergangenen Woche, zu der linke Gruppen aufgerufen hatten, waren gerade mal 150 Leute.
Bartsch: Dass viele Menschen unzufrieden mit der Politik der Bundesregierung sind, zeigen alle Umfragen. Ich möchte nicht, dass diese Unzufriedenheit in antidemokratische Bewegungen fließt, sondern ich möchte einen demokratisch wirkungsvollen Protest, der auf sozialen Ausgleich zielt.
ZEIT ONLINE: Der Begriff "heißer Herbst", mit dem Sie jetzt mobilisieren, wird auch von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen benutzt. Stört Sie das nicht?
Bartsch: Es gibt niemanden in der Linkspartei, der mit denen gemeinsam protestieren will. Als es in den 2000er-Jahren die Hartz-IV-Proteste gab, war die damals vergleichsweise bedeutende NPD verbal weit vorne mit dabei. Das war für uns aber doch kein Hindernis, unseren eigenständigen Protest zu artikulieren und uns klar abzugrenzen.
ZEIT ONLINE: Aber wie können Sie verhindern dass sich Rechtsextreme Ihren Protesten anschließen und diese sogar wie zuletzt in Neuruppin bei einem Auftritt von Bundeskanzler Olaf Scholz dominieren?
Bartsch: Es wird keinerlei gemeinsame Aufrufe geben, das war auch in Neuruppin nicht der Fall. Es wird auch keine Redner von rechts auf unseren Demos geben. Und wenn dort Leute aus dem rechten Milieu hinkommen, muss klar sein: Rechte Symbole, Plakate und Ähnliches haben dort nichts zu suchen. Das muss und wird vor Ort durchgesetzt werden.