Die ersten drei Sitzungen des NSU-Untersuchungsausschusses nach der Sommerpause haben sich schwerpunktmäßig mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und seinen Kenntnissen zum NSU-Kerntrio befasst. Nachdem durch den Komplex um den BfV-V-Mann Ralf Marschner immer deutlicher geworden war, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine Quelle in Zwickau in unmittelbarer Nähe zum Trio hatte, ging es um die Frage, ob und wie die Quellen des Bundesamtes zum abgetauchten Trio sensibilisiert wurden und welche Erkenntnisse des BfV es hier gegeben hat. Die schlichte Antwort aller Zeugen in den zumeist geheim eingestuften Sitzungsteilen lautet: keine! Alle V-Mann Führer betonen, die Lichtbilder des Trios 1998 ihren Quellen vorgelegt, jedoch keinerlei positive Rückmeldung bekommen zu haben. In den Akten findet sich kein Wort zu möglichen Antworten oder Informationen der Quellen, was, laut BfV-Mitarbeitern, normal sei, da die Antworten eben negativ waren. Dass sich auch keine Antwort an das damals um Auskunft bittende LfV Thüringen findet, bleibt dennoch erklärungsbedürftig. Ebenso wenig finden sich in den Akten irgendwelche Hinweise darauf, dass die Auswertung im BfV die V-Mann Führer darum gebeten hat, die Quellen nach Infos zum Trio suchen zu lassen. Ganz offensichtlich wollte man eigene Quellen nicht der Gefahr der Enttarnung aussetzen, um „drei geflüchteten Bombenbauern“ hinterherzuspüren. Dass Marschner nach Zeugenaussagen möglicherweise Zschäpe und Mundlos in seinen Unternehmungen beschäftigt haben könnte oder dass die BfV Quelle „Tarif“ nach eigener Aussage 1998 eine Anfrage vom Trio bekommen haben will, ob er sie unterbringen könnte, was dieser nach Rücksprache mit seinem V-Mann Führer aber abgelehnt haben will – all das perlt am Amt ab.
So war der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter Lothar Lingen, der am 11. November 2011 im BfV die Vernichtung von V-Mann Akten aus dem Thüringer Umfeld des Trios angewiesen hatte, in der Sitzung am 29. Oktober 2016 ein zentraler Zeuge für die Rolle des BfV. Neben Akten aus der „Operation Rennsteig“, die zur Durchleuchtung des Thüringer Heimatschutzes (dem auch das Trio entstammt) diente, wurden von Lingen auch die V-Mann Akten eben jenes „Tarif“ geschreddert, der in der militanten Naziszene unterwegs war und möglicherweise Kontakt zum Trio hatte. Während dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss in der letzten Legislaturperiode weisgemacht werden sollte, Lingen habe die Akten aus der Angst heraus schreddern lassen, dass herauskomme, dass sie vorschriftsmäßig schon längst hätten gelöscht sein müssen, wurden die tatsächlichen Motive in dieser Sitzung deutlich. Zwar machte der Zeuge von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, doch verlas die Obfrau der LINKEN, Petra Pau, seine Aussage beim Generalbundesanwalt. Hier gab Lingen zu, die Akten gelöscht zu haben, damit kein Verdacht auf das BfV falle, dass man angesichts der zahlreichen Quellen rund um das Trio in Thüringen mehr zu Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe und dem sie umgebenden Netzwerk gewusst haben musste. Sicherlich nicht zufällig bestand Lingen nachdrücklich auch auf der Löschung der Akte „Tarif“. Welche Brisanz sich hinter diesen Aktendeckeln verbarg, wollte der Zeuge in der Sitzung nicht offenbaren und auch die später in geheimer Sitzung vernommenen Mitarbeiter des BfV konnten oder wollten hierzu keine Angaben machen.
Die Vertreterin der Anklage gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte, Oberstaatsanwältin beim Generalbundesanwalt (GBA), Anette Greger, war die erste Zeugin des Tages und wurde zu allen offenen Fragen im NSU-Komplex gefragt. Wie schon in den vergangenen Wochen spielten die bis heute teilweise ungeklärten DNA-Spuren bei der Befragung durch den Vorsitzenden eine zentrale Rolle. Trotz fehlender DNA-Spuren von Mundlos und Böhnhardt an auch nur einem der 27 Tatorte (Morde, Bombenaschläge, Banküberfälle) verteidigte Greger die Sichtweise und Anklage des GBA. Die Bewertung der vorhandenen Beweismittel und Indizien deute auf eine Täterschaft von Mundlos und Böhnhardt und es gäbe keinerlei belastbare Belege für weitere Täter oder Täterinnen. Keineswegs wolle sie ausschließen, dass es weitere Täter oder Unterstützer vor Ort gegeben habe, jedoch seien alle in diese Richtung bisher geäußerten Vermutungen und Indizien nicht stichhaltig genug, um sie eindeutig Taten zuzuordnen. In knapp vier Stunden Vernehmung wurden von den Obleuten der Fraktionen diese Verdachtsmomente abgefragt. Vehement bestritten wurde von Frau Greger, dass die Bundesanwaltschaft Rücksichten bei den Ermittlungen auf mögliche Quellen der Verfassungsschutzbehörden aus der Naziszene nehmen würde. Dass die Ermittlungen vor allem darauf gerichtet seien, die einmal formulierte Anklage gegen ein fest abgeschlossenes Trio und wenige Unterstützer abzusichern, wurde ebenfalls von ihr bestritten. Man sei offen für andere Thesen, allerdings sei der Ansatz des GBA nicht darauf gerichtet, das Beziehungsgeflecht des Trios aufzuklären, um dann auf mögliche Mittäter oder –wisser zu schließen. Hier wurden die unterschiedlichen Rollen eines Untersuchungsausschusses und einer Anklagebehörde deutlich. Unbeantwortet blieb jedoch die Frage, wer die Aufklärung des den NSU umgebenden Netzwerkes denn leisten solle. Das auch von Frau Greger immer wieder angeführte Strukturermittlungsverfahren gegen unbekannt stellt sich immer mehr als Zettelkasten von GBA und BKA heraus, in dem alle unklaren Spuren und „Zufälle“ abgelegt werden, die anscheinend niemals aufgeklärt werden.
Die nächste Sitzung des PUA-NSU findet am 20. Oktober 2016 statt und wird sich mit der Tat in Heilbronn beschäftigen.