Am 11. November 2011, sieben Tage nach dem Auffliegen des NSU, warf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Schreddermaschinen an. Akribisch vernichteten die Beamten Personenakten von V-Leuten aus dem "Thüringer Heimatschutz", eben jener Neonazigruppierung, aus der das Kerntrio des NSU Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hervorgegangen war. Im BfV handelte man just in time. Denn der 11. November war der Tag, an dem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen in der größten rechtsterroristischen Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik übernahm.
Versagen und vertuschen
Kein Frühwarnsystem
Die "Aktion Konfetti", wie sie von Beobachtern genannt wurde, ist symptomatisch für die Rolle des Verfassungsschutzes im gesamten NSU-Komplex. Schnell wurde bei der Aufarbeitung klar, dass die Ämter des Inlandsgeheimdienstes nicht die Rolle des selbst behaupteten "Frühwarnsystems" gegen die extreme Rechte innehatten, sondern aktiv am Aufbau einer militanten Naziszene beteiligt waren. Ein Netz von bezahlten Nazispitzeln wurde von den Ämtern über die Szene gelegt und trug real zu deren Aufbau und Finanzierung bei. Allein im Umfeld des "Thüringer Heimatschutzes" hatten die Verfassungsschutzämter aus Bund und Ländern dutzende V-Leute platziert. Nicht einer von ihnen wollte im Nachhinein irgendetwas über das Kerntrio oder den NSU gewusst haben.
Über den Neonazikader Tino Brandt flossen staatliche Gelder via Spitzel-Lohn in die Thüringer Naziszene. Der Verfassungsschutz in Brandenburg war es, der den wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazis Carsten Szczepanski (alias V-Mann "Piatto") aus dem Knast heraus anwarb, ihm gegenüber den Gerichten wider besseren Wissens eine Loslösung aus der Naziszene attestierte und als V-Mann in der Naziszene im Umfeld der NSU-Unterstützer ansiedelte. 1998 war er in die Waffenbeschaffung des Trios verwickelt und berichtete darüber auch seinem V-Mann-Führer. Nach Aussagen der zum abgetauchten Trio ermittelnden Polizeibehörden ist diese Information niemals an sie weitergegeben worden.
Der Neonazi Ralf Marschner war als V-Mann "Primus" von 1992 bis 2002 für das BfV tätig. Marschner lebte bis 2007 in Zwickau, der Stadt, in der das Trio seit 2000 wohnte. Mehrere Zeugen wollen sowohl Beate Zschäpe als auch Uwe Mundlos im Bauservice-Geschäft von Marschner gesehen haben. Das BfV will von seinem V-Mann niemals Hinweise auf das Trio bekommen haben.
Schützende Hand des NSU
Zusammenfassend lässt sich die Rolle des Verfassungsschutzes im NSU-Komplex als Verdecken, Vertuschen und Abschirmen beschreiben. Oberste Priorität hatte für die Ämter immer der Schutz ihrer Quellen, das heißt in diesem Fall der Nazis, die sie als V-Leute geworben hatten. Die Weitergabe möglicher Erkenntnisse zum NSU an die Ermittlungsbehörden hätte, so die immanente Logik, zur Enttarnung der Spitzel geführt. Objektiv wurden die Verfassungsschutzämter damit zur schützenden Hand für den NSU.
Beim Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel saß der Verfassungsschützer Andreas Temme zur Zeit des Mordes im Internetcafé, das die Familie Yozgat betrieb. Temme will vom Mord nichts mitbekommen haben und hatte sich als einziger Anwesender nach dem Mord nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet. Auch hier wurde vom hessischen Landesverfassungschutz alles versucht, die Ermittlungsarbeit der Polizei zu behindern.
Versagt und doch gewonnen?
Was folgte aus all diesem Versagen und Vertuschen? Das BfV ist einer der großen Gewinner nach der Aufdeckung des NSU-Komplexes. Als Lohn für das Versagen erhielt das BfV nach 2011 Hunderte Stellen und Hunderte Millionen Euro zusätzlich von der Politik. Mit Hans Georg Maaßen wurde über Jahre ein Mann BfV-Präsident, der selbst weit rechts im politischen Spektrum angesiedelt ist.
In den letzten Jahren hat sich beim Blick auf die extreme Rechte einiges im BfV verbessert. Aber die Strukturen des V-Leute-Systems existieren nach wie vor und können jederzeit zu ähnlichen Ergebnissen wie im NSU-Komplex führen.