US-Präsident Donald Trump benehme sich wie ein großes Kind und sei mitverantwortlich für die Stürmung des Washingtoner Kapitols, meint Gregor Gysi. Interview: Toni Spangenberg
Berliner Zeitung: Wie schätzen Sie die Geschehnisse in den USA vom Mittwoch ein?
Gregor Gysi: Meines Erachtens haben sie gravierende Bedeutung. Sie bringen eine tiefe Spaltung der Gesellschaft zum Ausdruck und die Tatsache, dass sich der amtierende Präsident extrem unverantwortlich verhält und großen Schaden anrichtet. Er hat einen Teil der Bevölkerung geradezu aufgehetzt, und das Ergebnis davon haben wir gestern gesehen, sogar mit vier Toten, was in jeder Hinsicht skandalös ist.
Trägt Donald Trump die Schuld an den Toten?
Er trägt die Hauptschuld für die ganze Atmosphäre, weil er nicht bereit war, ein demokratisches Wahlergebnis zu akzeptieren. Stattdessen hat er immer wieder gehetzt und behauptet die Präsidentschaftswahl sei gefälscht oder manipuliert. Er hat allen Gremien in den USA, auch den Gerichten abgesprochen, dass sie zu einer fairen Entscheidung hinsichtlich der Wahlen fähig sind. Damit erzeugte er eine Stimmung, in der ein Teil der Bevölkerung, der ihm folgt und glaubt, dazu bereit ist, auch Gewalt anzuwenden.
Allerdings hat er seine Anhänger auch dazu aufgerufen, abzuziehen.
Im selben Atemzug hat er jedoch seine Manipulationsvorwürfe wiederholt. Ich bleibe dabei, es ist extrem unverantwortlich. Psychisch mag er zwar wie ein großes Kind sein, aber er hat eine Verantwortung als erster Mann in einem der führenden Staaten der Welt, der er überhaupt nicht gerecht wird. Meines Erachtens kann es irgendwann sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, was er da treibt. Er hätte sagen müssen, das Wahlergebnis ist zu akzeptieren. Aber er tut das genaue Gegenteil, so dass die Demonstranten behaupten können, sich nur gegen eine Manipulation, einen Betrug zu wenden.
Was denken Sie, wie es in den USA weitergeht?
Der Kongress und der Senat haben das Wahlergebnis bestätigt. Einsprüche wurden mit der Mehrheit der Stimmen – auch durch republikanische Abgeordnete – zurückgewiesen. Ich denke, dass sich viele Republikaner und Republikanerinnen erschreckt und die Einsprüche daher zurückgewiesen haben, um die Stimmung nicht noch weiter anzuheizen.
Was denken Sie, wie sich die Republikaner nach Trump entwickeln werden?
Trump hat ihnen wahnsinnig geschadet. Das steht fest, denn er hat ihren Ruf beschädigt. Ich bin mir sicher, wenn sich Trump in vier Jahren wieder bei den Republikanern bewärbe, hat er keine Chance. Die Lehren, hoffe ich, hat eine Mehrheit der Republikaner gezogen, so dass sie einen anderen Kandidaten aufstellen werden.
Auch bei uns stürmten Demonstranten während einer Querdenken-Demonstration den Reichstag, AfD-Politiker schleusten Querdenker in den Bundestag ein, die Abgeordnete bedrängten. Sehen Sie hier Parallelen zu den USA?
Es ist bei uns nicht so verschärft wie in den USA, weil wir niemanden vergleichbar an der Spitze haben, der die Bevölkerung aufhetzt. Aber auf der anderen Seite nimmt das Misstrauen von Teilen der Bevölkerung gegen die gesamte etablierte Politik zu. Das erleben Sie bei uns in Bezug auf die Corona-Maßnahmen. Das sieht man aber auch an der versuchten Besetzung des Reichstags und an der Einschleusung von Leuten durch die AfD. Ich bin sehr für Opposition, für Demonstrationen und Kundgebungen, aber so lange es eine funktionierende Demokratie gibt, ist Gewalt nicht erlaubt. Punkt. Nur gegen einen Diktator darf man sich auch mit Gewalt wenden, aber nicht gegen eine Demokratie. Das ist aber nicht genügend verinnerlicht. Alle Politikerinnen und Politiker von demokratischen Parteien, also von der CSU bis zur Linken, müssen sich Gedanken machen, wie man wieder mehr Vertrauen in der Bevölkerung gewinnt.