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Trotz gleicher beruflicher Qualifikation werden Leiharbeiter schlechter bezahlt

Nachricht von Klaus Ernst,

Arbeitgebernahe Wirtschaftswissenschaftler begründen die geringe Entlohnung von Leiharbeitnehmern gerne damit, dass in der Leiharbeit vorwiegend ungelernte Arbeitnehmer beschäftigt werden, etwa das Institut der Deutschen Wirtschaft**. Die Daten der Bundesregierung (PDF) belegen das Gegenteil.

Das mittlere Einkommen in der Leiharbeit liegt im Dezember 2015 mit 1799 Euro weit unter dem Niveau von regulären Vollzeitbeschäftigten (3084 Euro). Die Differenz in der Entlohnung ist nicht auf das Qualifikationsniveau der Leiharbeitnehmer zurück zu führen. Der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Leiharbeitnehmer mit anerkanntem Berufsabschluss ist mit stabilen rund 59 Prozent (31.12.2015: 517 643 Personen) ungefähr gleich hoch wie bei allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Dort ist die Quote bei rund 62 Prozent nur geringfügig höher (31.12.2015: 19 369 960 Personen). Bei Leiharbeitnehmern ist der Anteil der Personen ohne Berufsabschluss zwar höher als bei regulären Beschäftigten (22 % gegenüber 12,4 %) und der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss niedriger (7,4% gegenüber 14,6%). Die gravierenden Lohnunterschiede lassen sich darüber allerdings nicht begründen.

Leiharbeitnehmer werden häufiger unter ihrem Qualifikationsniveau eingesetzt als regulär Beschäftigte. Dies betrifft 35 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Leiharbeitnehmer. In der Gruppe der regulär sozialversicherungspflichtig Beschäftigten trifft dies nur 16 Prozent.

Leiharbeitnehmer verdienen auf allen Tätigkeitsniveaus erheblich weniger als regulär Beschäftigte. Ein regulär beschäftigter Helfer verdient im Mittel 2119 Euro; ein Leiharbeitnehmer muss sich mit 72% des Lohns in Höhe von nur 1524 Euro monatlich begnügen. Erst bei steigendem Qualifikationsprofil nimmt die Differenz latent ab: Fachkräfte (abgeschlossene Berufsausbildung): 2844 Euro gegenüber 2099 (74 %), Spezialisten (Meister, Techniker): 4041 gegenüber 3345 Euro (83 %), Experten (Hochschulabschluss, mindestens vierjähriges Studium): 5114 gegenüber 4343 Euro (84 %).

Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - AÜG- wird für die Mehrheit der Leiharbeiter keine materielle Verbesserung bringen. Die Bundesregierung selbst belegt, dass nur ein Viertel der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer überhaupt die Chance auf gleiche Bezahlung hat: Mit Tarifverträgen können Arbeitgeber von der Verpflichtung zur gleichen Bezahlung für neun bis 15 Monate abweichen und nach den Angaben der Bundesregierung laufen nur etwa 25 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als neun Monate. Gleiches gilt für die neue Höchstüberlassungsdauer: Nach dem neuen Gesetz darf ein Leiharbeitnehmer maximal 18 Monate auf derselben Stellen eingesetzt werden, danach hat er Anspruch auf Festanstellung. Allerdings laufen nur 12 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als 18 Monate.

 Klaus Ernst, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, erklärt dazu:

„Leiharbeit ist organisiertes Lohndumping. Trotz fachlicher Qualifikation werden Leiharbeitnehmer unter ihren Möglichkeiten beschäftigt. Ihre Potentiale und Qualifikationen werden so gezielt ausgenutzt, aber nicht bezahlt. Für Arbeitgeber ist Leiharbeit ein Extra-Profit. Leiharbeiter werden dadurch doppelt gedemütigt. Sie verdienen weniger, als sie verdient hätten und sie haben keine gleichen Rechte. Man muss dieses unwürdige Zwei-Klassensystem in der Arbeitswelt beenden. Das neue Gesetz von Frau Nahles erteilt den Arbeitgebern leider einen Freifahrtschein, es bis in alle Ewigkeit mit ihrem Segen fortzuführen. Gleiche Bezahlung ist nur Makulatur. “

Die Ergebnisse im Detail:

63 Prozent der Hochschulabsolventen in der Leiharbeit unter Qualifikation eingesetzt

Von den 518 000 Leiharbeitnehmern mit Berufsabschluss oder Meistertitel sind etwa 233 000 als Helfer eingesetzt, also in Tätigkeiten, die allenfalls eine kurze Einarbeitung benötigen würden – das ist ein Anteil von 45 Prozent. Von allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt haben 19,3 Millionen Berufsabschluss oder Meistertitel, hier sind 2,3 Millionen unter ihrer Qualifikation tätig, also knapp 12 Prozent. Bei den Hochschulabsolventen sind in der Leiharbeit sage und schreibe 63 Prozent unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt (41 000 von 66 536 Personen). Über alle sozialversicherungspflichtig beschäftigten Hochschulabsolventen sind es mit 45 Prozent auch erschreckend viele (2 046 236 von 4 560 435 Beschäftigten mit Hochschulabschluss), aber die Quote ist deutlich niedriger als bei den Leiharbeitskräften (Fragen 2 und 3, teilweise eigene Berechnungen auf Basis der dort angegebenen Daten).

Schlechtere Bezahlung auf allen Qualifikationsniveaus

In der Gesamtheit liegt das mittlere Bruttoentgelt von Leiharbeitsbeschäftigten bei 1799 Euro, das mittlere Einkommen aller Vollzeitbeschäftigten liegt bei 3084 Euro, Leiharbeitnehmerinnen verdienen im Mittel also nur 58 Prozent des Medianeinkommens aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die überraschende Differenz gegenüber den Einkommensunterschieden auf den einzelnen Qualifikationsniveaus dürfte mit dem deutlich höheren Anteil von Leiharbeitern zu begründen sein, die als Helfer eingestuft sind (52,9 % gegenüber 14,7 % aller sozialversichert Beschäftigten). (Fragen 2 und 5, Tabellen 2 und 5)

Höchster Anteil Leiharbeitsbeschäftigte in Bremen

In Bremen sind mit 4,5 Prozent aller Beschäftigten die meisten in der Leiharbeit tätig, gefolgt von Thüringen (3,8%) und Sachsen (3,2%). Den geringsten Anteil Leiharbeitnehmer an Beschäftigten im jeweiligen Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern mit 1,8%. Differenziert nach Geschlecht führen Bremen (6,2% aller beschäftigten Männer, 2,5% der Frauen) und Thüringen (5,3% der Männer, 2,2 % der Frauen), dann differenziert sich das Bild. Bei den Männern ist Sachsen auf Platz 3 (4,7 % der dort tätigen Männer arbeiten in Leiharbeit, 1,7 % der Frauen), bei den Frauen Hamburg (2,0% der Frauen, 3,9% der Männer). (Fragen 6 und 7).

Equal pay für maximal ein Viertel der Leiharbeitskräfte

Verweildauer in der Leiharbeit: maximal 25 Prozent der Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen haben Chance auf gleichen Lohn. Die Novelle des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 21. Oktober schreibt vor: wenn ein entsprechender Tarifvertrag vorliegt, müssen Leiharbeitnehmer nach neunmonatiger Beschäftigung so bezahlt werden wie ihre fest angestellten Kollegen. Nach neun Monaten laufen aber nur noch etwa 25% der Leiharbeitsverhältnisse. Nach fünfzehn Monaten sind es nur noch 15 Prozent, nach 18 Monaten 12 Prozent (Frage 9).

Bei eineinhalb Jahren setzt das AÜG eine wichtige Grenze: wird der Leiharbeitnehmer nicht entlassen oder auf einer anderen Stelle eingesetzt, hat er Anspruch auf eine Festanstellung beim Entleiher. Die 15-Monatsfrist markiert die Grenze, bis zu der die gleiche Bezahlung bei so genannten „Zuschlagstarifverträgen“ gedehnt werden kann: nach spätestens 15 Monaten müssen Leiharbeitskräfte auch bei Zuschlagstarifen so bezahlt werden wie vergleichbare Festangestellte.

 

* Die Gesamtzahl aller Leiharbeitnehmer zum Stichtag 31.12.2015 lag bei 951 000. Bei der Auswertung nach Qualifikationen und Tätigkeitsniveaus können jedoch nur Angaben zu den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern gemacht werden, insgesamt 880 000 Personen, die verbleibenden 70 000 sind geringfügig beschäftigt.

** Quelle: https://www.iwd.de/artikel/zeitarbeitsbranche-unter-druck-306341/, Punkt „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit?“.