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Gustav Adolf "Täve" Schur bei der Friedensfahrt 1955 in Berlin. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-30479-0002 / Illner / CC-BY-SA 3.0Foto: Bundesarchiv, Bild 183-30479-0002 / Illner / CC-BY-SA 3.0

»Täve Schur gehört unbedingt in die Hall of Fame«

Im Wortlaut von André Hahn, Deutschlandfunk,

André Hahn, sportpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, spricht im Interview mit Deutschlandfunk über die Debatte über die Aufnahme unter anderem des DDR-Radsportprofis Täve Schur in die Hall of Fame des deutschen Sports und die Widerstände dagegen.

Deutschlandfunk: Herr Hahn, gehört Täve Schur – oder wir können es auch weiter fassen: gehören Täve Schur und Heike Drechsler in die Hall of Fame des deutschen Sports?

André Hahn: Ja, ich finde, beide sollten dort ihren Platz haben. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich die gesamte Debatte um die Aufnahme von Täve Schur insbesondere, aber auch was Heike Drechsler angeht, in die Hall of Fame ziemlich heuchlerisch finde. Wenn die Hall of Fame sich wirklich endlich gesamtdeutsch verstehen will, dann müssen auch ehemalige Sportler der DDR, die Weltleistungen erbracht haben, dort einen Platz haben. Man muss natürlich nicht alle Positionen von Täve Schur teilen, wie das jetzt in der Debatte auch in Ihrem Kommentar deutlich geworden ist, nur: Bei westdeutschen Sportlern spielt das doch auch keine Rolle. Insofern halte ich es für sehr gerechtfertigt, und man sollte vielleicht wirklich nicht warten, bis Täve Schur nicht mehr lebt. Er hat diesen Platz lange verdient. Er war einer der größten Sportler im Osten Deutschlands. Deshalb sollte er dort auch aufgenommen werden.

Deutschlandfunk: Es geht ja nicht darum, dass Täve Schur irgendwelche Positionen einnimmt, die man nicht teilen muss, sondern er verharmlost belegte Fakten wie das DDR-Zwangsdopingsystem bzw. er verneint es geradezu.

André Hahn: Also, wissen sie, ich habe im Deutschen Bundestag mehrfach zum Dopingthema gesprochen, und es gibt dort überhaupt nichts zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Deshalb haben wir auch beispielsweise die Unterstützung für die Dopingopfer und die Entschädigungen mitgetragen. Ich bin nur der Auffassung, dass wir auch das Doping in Westdeutschland, das es ja unstrittig gegeben hat – und da gibt es ja gerade in neuster Zeit wieder Studien – nicht einfach ausblenden dürfen. Es hilft überhaupt nicht, das gegeneinander aufzurechnen. Für mich ist nur eines völlig klar: Täve Schur war ein untadeliger Sportler, der für viele Generationen in der DDR ein Vorbild, eine Identifikationsfigur war und immer noch ist. Und seine sportlichen Leistungen in den 50er Jahren waren einfach Weltklasse, und Doping hat zu seiner Zeit nun wahrlich noch keine Rolle gespielt. Ich finde das deshalb einfach abenteuerlich, wie jetzt diskutiert wird. Man muss sich doch mal angucken, wer in der Hall of Fame noch so drin ist. Da sind auch Sportler drin, die inzwischen dopingverdächtig sind, aus der alten Bundesrepublik; da ist jemand drin wie Franz Beckenbauer, der als Fußballer und als Trainer wirklich Herausragendes geleistet hat, aber dessen Rolle ja nun auch wirklich umstritten ist; und da ist jemand drin wie Uli Hoeneß, wenn ich es richtig weiß, der inzwischen im Gefängnis gesessen hat wegen Steuerbetrugs. Man muss doch die Kirche im Dorf lassen: Wenn wir wollen, dass es eine Hall of Fame gibt für den gesamtdeutschen Sport, dann gehört aus meiner Sicht jemand wie Täve Schur dort unbedingt herein. Der Mann war zweifacher Weltmeister im Straßeneinzelrennen und hätte ein drittes Mal hintereinander gewinnen können, als die WM in der DDR stattfand 1960. Alle Konkurrenten konzentrierten sich auf ihn, und er hat seinen Teamkollegen Bernhard Eckstein fahren lassen aus dem Hauptfeld, der dann auch Weltmeister wurde, und er fuhr als zweiter über die Ziellinie. Ihm war ein WM-Titel für sein Land – man kann ja das Land nicht mögen – wichtiger als der eigene Erfolg, und ich finde, das ist wirkliche Größe.

Deutschlandfunk: Vollkommen klar. Die sportlichen Leistungen sind das eine. Aber Sie haben jetzt gerade westdeutsche Athleten angesprochen. Beckenbauers Verwicklungen in die WM-Affäre: Die waren noch nicht bekannt, als er aufgenommen wurde; Uli Hoeneß hat seine Sportpyramide sogar zurückgegeben, als er ins Gefängnis gegangen ist; wir können auch jemanden wie Neckermann anführen, der hat sich von seiner NS-Vergangenheit immerhin distanziert. Aber: Was entlastet Täve Schur, der bis heute – noch mal – das DDR-Zwangsdopingsystem ganz klar verharmlost? Müsste es nicht zwingend sein, dass man ganz klar sagt: Ja, das war damals ein Unrechtssystem und ein unmenschliches Sportsystem, in dem ich damals mich bewegt habe?

André Hahn: Ich sage noch einmal: Das Doping-System, das es in der DDR gegeben hat, ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich wiederhole aber auch, dass man keinen westdeutschen Sportler fragt nach politischen Themen, nach der Bewertung eines Systems, wer das Land regiert oder wer in welchem Parlament sitzt und ob er die Regierung gut findet oder nicht. Für die Aufnahme in die Hall of Fame sind die sportlichen Leistungen das Entscheidende, und ich weiß natürlich, dass Täve Schur in der Volkskammer war. Er hat aber auch im Deutschen Bundestag gesessen nach der Deutschen Einheit und hat dort seine Arbeit gemacht. Ich finde es einfach falsch, diese Aufrechnung zu machen und von Ostdeutschen zu verlangen, sie müssten irgendwelche Bekenntnisse ablegen, bevor sie vielleicht in diese Hall of Fame aufgenommen werden. Das hat man bei anderen auch nicht gemacht, und für mich zählt zum einen der Sport und zum anderen auch der Mensch. Und ich muss sagen, dass sowohl als Sportler als auch als Mensch Täve Schur die Hall of Fame schon lange verdient hätte. Ich habe viele Begegnungen mit ihm gehabt. Ich habe ihn als überaus bescheidenen und herzlichen Menschen kennengelernt. Und ich sage noch mal: Ich teile nicht alle seine Äußerungen zum Doping, nur wenn ich aber sehe, wie die Herzen der Menschen ihm förmlich zufliegen, wenn ich im Wahlkampf mit ihm unterwegs bin, das kann man nicht verordnen, das kann auch kein DDR-System verordnen. Das hat sich der Mensch erarbeitet, und es ärgert mich, dass man jetzt eine Diskussion führt, weil man wahrscheinlich wirklich nicht will, dass diese Hall of Fame eine gesamtdeutsche Einrichtung wird. #00:05:28.8#

Deutschlandfunk: Herr Hahn, Menschen und Ostdeutsche sind auch die Opfer des DDR-Zwangsdopingsystems, die sich massiv verletzt fühlen davon. Können Sie das nicht verstehen?

André Hahn: Das kann ich sehr gut verstehen. Ich habe mehrere Gespräche auch mit Ines Geipel gehabt zum Beispiel vom Dopingopfer-Hilfeverein. Wir waren diejenigen, die das im Bundestag massiv unterstützt haben, dass dort etwas passiert, und wir haben auch gefordert, dass auch eine Entschädigung für die Dopingopfer in Westdeutschland passiert. Das hat man abgelehnt. 

Deutschlandfunk: Herr Hahn, wir müssen zum Ende kommen. Vielen Dank für das Gespräch, wir führen diese Diskussion weiter.

Das Interview zum Nachhören findet sich in der Mediathek des Deutschlandfunks (MP3).

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