Von Harald Weinberg, gesundheitspolitischer Sprecher, und Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin
Die Herausforderungen in der Gesundheits- und Pflegepolitik sind groß. Gerade deshalb sind die Koalitionsvereinbarungen in diesem Bereich eine herbe Enttäuschung. Ein sozialer Aufbruch wäre dringend notwendig, um Pflegenotstand, Zwei-Klassen-Medizin und Kommerzialisierung zu überwinden. Statt frischem Wind atmen alle Vereinbarungen und Formulierungen die Abluft des kleinsten gemeinsamen Nenners. Nur dort, wo durch gewerkschaftliche Auseinandersetzungen oder öffentliche Skandale politischer Druck entstanden ist, reagieren Union und SPD etwas beherzter.
Von den vollmundigen Ankündigungen der SPD zur Bürgerversicherung und beim Kampf gegen die Zwei-Klassen-Medizin ist praktisch nichts übriggeblieben. Einmal mehr ist die SPD hier als Tiger gesprungen und als Bettvorleger der Union gelandet. Eine gerechte und solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems ist nur gegen CDU/CSU, nicht mit ihnen möglich.
Der Notstand in der Altenpflege wird nicht ernst genommen
Im Pflegebereich zeigt sich die Große Koalition selbstgefällig zufrieden mit ihren Reformen der letzten Jahre. Damit erklärt sie einen wirklichen Kurswechsel für überflüssig und nimmt den Pflegenotstand nicht ernst. Entsprechend verharren die Maßnahmen in Einzelschritten oder im Diffusen. Dies durchzieht viele Bereiche der Pflege:
8.000 zusätzliche medizinische Fachkräfte in Pflegeeinrichtungen sind nicht mal eine Vollzeitstelle je Einrichtung bei 13.000 Pflegeheimen bundesweit. Es ist gut, dass die Krankenkassen und nicht die Pflegeversicherung die Kosten dafür tragen. Doch ein Umschwung zu gerechter Finanzierung ist das nicht.
Eine verbindliche Personalbemessung wird weiter auf die lange Bank geschoben. Doch die Arbeits- und Versorgungsbedingungen müssen sich sofort verbessern. Ein Bekenntnis zu allgemeinverbindlicher tariflicher Bezahlung fehlt. Zwar soll der Pflegemindestlohn im Osten endlich an das Westniveau angehoben werden, doch über eine generelle, wertschätzende Anhebung im Bundesgebiet – kein Wort.
Die Zusicherung, dass nicht die Menschen mit Pflegebedarf die zu erwartende Kostensteigerungen tragen müssen, fehlt. Überhaupt sind alle Finanzierungsfragen unklar. Die Pflegeversicherung bleibt eine Teilleistungsversicherung mit steigenden Eigenanteilen der Betroffenen. Pflegevollversicherung und solidarische Pflegeversicherung bleiben ausgeblendet.
Bewegung in Krankenhäusern
Ein im Kern positives Vorhaben sticht heraus: Eine gesetzliche Personalbemessung („Personaluntergrenze“) soll für alle bettenführenden Bereiche der Krankenhäuser festgelegt werden. Das ist ein längst überfälliger Schritt, für den wir uns seit vielen Jahren einsetzen. Allerdings sind mit der Erarbeitung die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband der Krankenkassen beauftragt. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht, denn beide Verbände lehnen solche Personalvorgaben ab.
In diesem Zusammenhang ist das Eingeständnis der Koalitionäre erfreulich, dass das System der Fallpauschalen zur Finanzierung der Krankenhäuser ein Holzweg ist. Die Ankündigung, die Personalkosten für Pflegekräfte jenseits der Fallpauschalen zu finanzieren, ist ein richtiger Schritt und muss auf alle Berufsgruppen im Krankenhaus ausgeweitet werden. Aber festzuhalten bleibt: Der Einstieg in den Ausstieg aus dem Irrsinn der Fallpauschalen ist geplant. Diese Entwicklung ist einzig und allein den Kämpfen und Streiks der Pflegekräfte zu verdanken. Der Druck muss weiter hochgehalten werden, wenn sich tatsächlich am Pflegenotstand in den Krankenhäusern etwas ändern soll.
Viel Schatten und ein wenig Licht: Zwei-Klassen-Medizin bleibt
Weitere lichte Momente der Vereinbarung sind überschaubar: Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung ist ein guter und dringend notwendiger Schritt (da hier eine Untat von Rot-Grün rückgängig gemacht wird, gibt es keinen Anlass für sozialdemokratische Selbstbeweihräucherung). Vielversprechend lesen sich die Vereinbarungen zur Notfallversorgung und der Plan, die sektorenübergreifende Versorgung auszubauen. Wir begrüßen ausdrücklich das geplante Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Bei alledem bleibt aber abzuwarten, wie viel von diesen Absichtserklärungen tatsächlich umgesetzt wird.
Vergeblich sucht man im Koalitionsvertrag auch nach Initiativen für mehr gesundheitliche Chancengleichheit und gegen die unterschiedliche Lebenserwartung von Arm und Reich. Es gibt auch keine Ideen, wie mit den explodierenden Preisen bei neuen Arzneimitteln umgegangen oder die flächendeckende Hebammenversorgung gesichert werden soll. Um diesen Zielen näher zu kommen, müsste wirtschaftlichem Wettbewerb, Kommerzialisierung und Profitmacherei in Gesundheit & Pflege konsequent der Kampf angesagt werden. Doch die Koalitionäre orientieren sich kaum am Allgemeinwohl, sondern an den Interessen von Gutverdienern und Großkonzernen. Konsequenterweise beinhaltet die Vereinbarung daher auch keine Initiativen gegen Korruption oder zum Schutz von Whistleblowern im Gesundheitssystem. Aus all diesen Gründen wird DIE LINKE in den nächsten Jahren für eine soziale Offensive in der Gesundheits- und Pflegepolitik streiten und die Stimme der sozialen Opposition sein.
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