Von Heike Hänsel, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Über einen Monat protestieren die Menschen in Kolumbien nun schon gegen ihre Regierung. Anfangs ging es um eine ungerechte Steuerreform auf Kosten der Mittel- und Unterschicht. Mittlerweile geht es aber um weit mehr: um die große soziale Ungleichheit aufgrund jahrzehntelanger neoliberaler Politik, um soziale Rechte für afrokolumbianische und indigene Gemeinden, um die Umsetzung des Friedensabkommens und um den Widerstand gegen die Militarisierung ganzer Regionen.
Auch wenn das Epizentrum der Proteste weiterhin in der Stadt Cali und der umliegenden Provinz Valle del Cauca liegt, wird in fast allen Großstädten des Landes praktisch täglich protestiert. Längst haben sich soziale Bewegungen, indigene Gruppen aus dem ganzen Land den Protesten angeschlossen. Offensichtlich duldet die Regierung von Präsident Iván Duque aber keine Demonstrationen. Polizei, Militär und die sogenannte "Anti-Aufstands-Einheit" Esmad gehen mit aller Härte vor, um die "Terroristen", wie die Regierung die Protestierenden diffamiert, niederzuschlagen. Vor allem der ehemalige Präsident Álvaro Uribe heizt die rechtsextreme Propaganda gegen die Proteste massiv an.
Meldungen über Massengräber und Foltereinrichtungen häufen sich
Laut der Menschenrechtsorganisation "Defender la Libertad" hat die Polizei bereits über 50 Menschen im Rahmen des Generalstreiks getötet. 1.645 Personen wurden von Sicherheitskräften zumeist willkürlich festgenommen und misshandelt. 715 Personen wurden verletzt, 67 davon mit Feuerwaffen, 47 verloren ihr Augenlicht. Die realen Zahlen dürften noch weitaus höher liegen. Häuser von Journalistinnen und Journalisten werden durchsucht, mindestens 150 Angriffe auf Medienvertreter wurden gemeldet. Nach Berichten, die auch von lokalen Politikern bestätigt worden sind, jagen und attackieren staatliche Einsatzkräfte in zivil gekleidet Protestierende oder setzen Gebäude in Brand. Meldungen über Massengräber und Foltereinrichtungen häufen sich. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch haben die bedingungslose Aufklärung von Mord, Folter und mutmaßlichem Verschwindenlassen Hunderter von Protestierenden in Massengräbern gefordert. Unzählige nationale Organisationen baten die internationale Gemeinschaft bereits um Unterstützung.
Die kolumbianische Regierung aber schiebt die Verantwortung für die extrem angespannte Lage nicht nur den Protestierenden zu, sie blockiert auch internationale Aufklärung mit der Begründung, dass die Justizinstitutionen bereits unabhängig ermitteln könnten. Der Antrag einer Mission der Interamerikanischen Menschenrechtskommission, die derzeitige Menschenrechtslage vor Ort zu untersuchen, wurde von der Außenministerin und Vizepräsidentin Marta Lucia Ramirez abgelehnt. Einem Berater von Papst Franziskus als Mitglied einer internationalen Solidaritätsmission zur Beobachtung der Menschenrechte wurde die Einreise verweigert.
Skandalöse Haltung der Bundesregierung
Mehr als fraglich ist auch eine Antwort des kolumbianischen Botschafters in Deutschland auf zwei Briefe, die 15 Abgeordnete verschiedener Fraktionen des Bundestags verfasst haben. Offiziell hätte es über drei Wochen nach Beginn der Proteste noch keine formellen Strafanzeigen wegen verschwundener Personen gegeben – und damit auch keine Ermittlungen. Dabei waren da schon längst lange Listen mit den Namen Vermisster veröffentlicht.
Skandalös ist aber auch die Haltung der Bundesregierung und aller "westlicher" Partner Kolumbiens. Innerhalb der EU macht man sich mehr Sorgen um die Stabilität der kolumbianischen Regierung als um die Gewalt auf den Straßen. Die Bundesregierung brauchte zehn Tage für eine Reaktion auf die brutalen Attacken der Polizei. Das Auswärtige Amt war nach zwei Wochen in der Bundespressekonferenz noch nicht einmal in der Lage, eine Stellungnahme abzugeben und zumindest Sorge zu bekunden.
Dabei gäbe es ausreichend Druckmittel: Kolumbien ist "globaler Partner" der Nato. Die EU hat ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien unterzeichnet, Kolumbien ist ein sogenannter "strategischer Partner" der EU. Aber man braucht das Nachbarland Venezuelas als Gegengewicht zu linken Regierungen auf dem südamerikanischen Kontinent und Unterstützer für die anhaltende Regime Change-Politik in Venezuela.
Linksfraktion solidarisch mit den Protestierenden
Die Forderungen der Fraktion DIE LINKE an die Bundesregierung sind klar und dringend: umgehender Stopp aller Waffenlieferungen an Kolumbien, auch nicht über Drittländer wie die USA; keinerlei Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der kolumbianischen Polizei wie seit längerem diskutiert; eine deutlich höhere Zahl an Bewilligungen von Asylanträgen von Kolumbianerinnen und Kolumbianern als in den letzten Jahren; ernsthafte Umsetzung des Friedensabkommens von 2016 mit Sicherheitsgarantien für soziale und linke AktivistInnen; Einstellung aller finanziellen Hilfen für die Umsetzung des Friedensabkommens, solange es vonseiten der kolumbianischen Regierung keine Bereitschaft für einen deeskalierenden Dialog mit der Protestbewegung und dem Streikkomitee gibt.
Die Linksfraktion steht solidarisch an der Seite der Protestierenden und der Opfer von staatlicher Gewalt und ihrer Angehörigen. Außerdem unterstützen wir die Kampagne zur Aussetzung des Freihandelsabkommens der EU mit Kolumbien. Jegliche Stabilisierung dieser rechtsextremen kolumbianischen Regierung, wie von EU und Bundesregierung gewollt, ist ein Schlag ins Gesicht der kolumbianischen Bevölkerung, die um nichts Geringeres als ein Leben in Würde kämpft.