Diana Golze ist die erste linke Chefin in diesem Mammutministerium. Vor zwei Jahren, im November 2014, als sie ihr Amt in Potsdam antrat, war »klar, dass Kinderarmut das Thema in der Amtszeit« wird. Die Gründe: Zu dem Zeitpunkt galt in Brandenburg fast jedes vierte Kind unter 18 Jahren als armutsgefährdet. Etwa 19 Prozent der unter 15-Jährigen erhielten Grundsicherungsleistungen. In einigen nördlichen Landkreisen und in den kreisfreien Städten – mit Ausnahme von Potsdam – lebte im Jahr 2015 annähernd jedes dritte kleine Kind unter drei Jahren in Familien im Grundsicherungsbezug. Das heißt, für die Kinder gibt es Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts, aber eben nur zur Sicherung des Allernötigsten. Geburtstagsgeschenke zählen nicht dazu.
Potsdamer Kita-Kinder erzählten beispielsweise am Runden Tisch, was mit ihren Augen gesehen arm sein bedeutet: »Wenn einer ohne Stulle in die Kita kommt« oder »nicht zum Geburtstag, weil die Eltern kein Geschenk kaufen können« oder »nie Freunde zu sich nach Hause einlädt«.
Erinnerungen, die bleiben und für die betroffenen Kinder prägend für das ganze Leben sind. Diana Golze sagt, Brandenburg hat zu viele Kinder, die »nicht dabei sein können«. Und so entstand die Idee für die Initiative »Starke Familien – Starke Kinder« – Runder Tisch gegen Kinderarmut. Das erste Treffen ist jetzt ein Jahr her, fand statt im November 2015. Über 100 Akteure fanden sich zusammen – Frauen und Männer aus Verbänden, Initiativen, Vereinen, Kirchen, Kommunen, Politik, Wissenschaft, Bürgermeister kleiner und großer Gemeinden und eben Kinder und Familien. Menschen, die Armut tagtäglich leben und aushalten müssen, und solche, die beruflich, aber nicht selten auch ehrenamtlich Kinder aus einkommensschwachen Haushalten auf dem Weg ins Leben begleiten und fördern. Der Anfang sollte sein, voneinander zu wissen, voneinander zu profitieren, sich zu vernetzen. Aber auch, Armut von Kindern wirklich als gesamtgesellschaftliches Problem wahrzunehmen. Die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren, aber auch die politisch Verantwortlichen in den Kommunen. Denn wer will sich schon gern das Etikett »Kinderarmut« anhängen lassen. Frankfurt (Oder) hat es von sich aus getan. Die Stadt an der polnischen Grenze ist diejenige mit der höchsten Armutsquote im Brandenburger Land.
Kinderarmut ist Elternarmut
Eine der Ursachen dafür ist wie anderswo im Osten auch: keine Arbeit, zu wenig Arbeit, schlecht bezahlte Arbeit. »Kinderarmut ist immer auch die Armut der Eltern«, umreißt die junge Ministerin das Problem. Eltern brauchen Arbeit, von der sie und ihre Kinder leben können. Der anfängliche Glaube, die »Wirtschaft bekommt man durch niedrige Löhne ins Land«, stellte sich als Irrglaube heraus. Sie sei »froh« über den Mindestlohn. Viele Beschäftigte »profitierten tatsächlich davon, weil sie zuvor weit darunter« entlohnt wurden. Mehr Einkommen verbessert unmittelbar die Familiensituation. Etwa 48.000 Brandenburger – und somit auch ihre Familien – profitieren nicht davon. Sie sind seit mehr als zwölf Monaten ohne Arbeit, gelten als langzeitarbeitslos und schwer vermittelbar. Für diese Frauen und Männer gibt es seit Kurzem »Integrationsbegleiter«. Ein Programm, das zweieinhalb Jahre läuft, durch Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds ermöglicht wurde und mit dem nicht nur arbeitslose Mütter und Väter für sie passende Unterstützungsangebote bekommen, um wieder in Beschäftigung zu kommen, sondern auch die Kinder sind mit im Blick. Bereits jetzt beteiligen sich über 700 Menschen daran, und Diana Golze hofft, dass es am Ende »mehrere Tausend« sein werden und der Blick auf die ganze Familie sich auswirken wird »bei der Bekämpfung der Kinderarmut«.
Daneben bieten die Akteure des Runden Tisches gegen Kinderarmut noch viele scheinbar kleine Dinge an. Gemeinsam mit der Stiftung Familien in Not beispielsweise Ferienfreizeiten. 76 Prozent der Kinder in Hartz-IV-Familien können sich keinen Urlaub von mindestens einer Woche leisten. Oder es gibt Familientage, einfach mal so zwischendurch und außerhalb der Wohnung einen schönen Tag miteinander verbringen. Brandenburg kann dabei auf ein gutes Netzwerk zurückgreifen. Es gibt fast überall Bündnisse für Familien und für gesunde Kinder. Mit Leuten, die Erfahrung im Umgang mit armen Familien haben und eine tiefe Vertrauensbasis genießen. »Auskommen mit dem Einkommen« heißt ein weiteres Angebot. »Klingt blöd«, sagt Diana Golze, »du hast wenig, und wir bringen dir jetzt bei, wie du damit auskommst.« Aber so lange »die Hartz-IV-Sätze, sind wie sie sind, und Menschen nicht in Arbeit kommen, haben sie eben nur das«. Das sind lockere Begegnungen, und dafür holte sich der Runde Tisch gegen Kinderarmut die Landesverbraucherzentrale mit ins Boot.
Stolperstein Bundespolitik
Selbst etwas tun, sich nicht darin erschöpfen, nur Forderungen an den Bund zu stellen, das ist das Credo der jüngsten Ministerin in Brandenburg. Und doch fällt ihr die Bundespolitik »an ganz vielen Stellen auf die Füße«. Als sie im September 2013 erneut für die Linksfraktion in den Bundestag einzog und den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD las, war sie »fassungslos, dass auf 182 Seiten das Wort Kinderarmut kein einziges Mal vorkam«. Im rot-roten Regierungsvertrag Brandenburg sei Kinderarmut »eine hervorgehobene Aufgabe«, und sie sei »froh, dass die Probleme nicht einfach ausgeblendet werden«. In Brandenburg wie anderswo auch entpuppte sich das bundespolitische Bildungs- und Teilhabepaket als »ein nichts bringendes, bürokratisches Monster«. Das hatte sie schon im Bundestag kritisiert als Mitglied des Vermittlungsausschusses. Es war »von Anfang an eine Katastrophe«. Leistungen, jedes halbe Jahr müssen sie beantragt werden, zehn Euro pro Monat, da sei »mancherorts der Bus schon teurer als der Mitgliedsbeitrag im Verein«. Oder der Regelsatz für Kinder, die Hartz IV beziehen. Er steigt, aber nicht für alle Altersgruppen. Es gibt drei verschiedene Sätze für die unter 18-Jährigen. Für die Kleinsten bleibt alles beim Alten. »Mit welcher Begründung«, fragt Diana Golze. Per Gesetz werden Kinder gegeneinander ausgespielt nach dem Motto: »Welches Kind ist mehr wert?«
Ihr Wunsch ist es, »alle Kinder mitzunehmen, insbesondere die Mädchen und Jungen, die von zu Hause aus nicht die besten Möglichkeiten mitbekommen«. Es gibt Kinder, »die per se schon ein Stück weit ausgeschlossen sind«, und das dürfen »Politiker nicht noch schlimmer machen«. Der Brandenburger Weg und sein Runder Tisch gegen Kinderarmut scheint ein guter zu sein – die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt einen Rückgang der Kinderarmut. Wenn auch erst leicht, aber die Richtung ist eine gute.