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Religionsfreiheit verteidigen – Nein zur Hetze gegen den Islam!

Nachricht von Christine Buchholz,

Foto: dpa

 

Fragen und Antworten zum Islam und Religionsfreiheit von Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Auf ihrem Programmparteitag beschloss die AfD am 1. Mai 2016, was ihre Führungsriege bereits im Vorfeld mehrfach geäußert hat: der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie will Minarette, Schleier und Muezzin-Rufe verbieten. Frauen und Mädchen mit Kopftüchern sollen nicht mehr die Schulen besuchen dürfen. Der Bau von Moscheen dürfte nicht durch Spenden aus dem Ausland finanziert werden. Während der stellvertretende Parteisprecher Alexander Gauland den Islam als einen “Fremdkörper” bezeichnete, den man nicht „in Deutschland haben“ wolle, sprach seine Kollegin Beatrix von Storch von einer “verfassungsfeindlichen Ideologie”. Ein Antrag, zwischen dem Islam und dem politischen Islam zu unterscheiden, wurde vom Parteitag mit großer Mehrheit abgelehnt. Damit spricht eine Partei in Deutschland erstmalig seit 1945 einer Religionsgemeinschaft ab, sich gleichberechtigt  durch „ungestörte Religionsausübung“ (Art. 4.2 des Grundgesetzes) zu entfalten. Eine ganze Reihe von Forderungen soll muslimisches Leben in Deutschland einschränken und letztlich unmöglich machen. Dass die AfD ein Lippenbekenntnis zur Religionsfreiheit ablegt, während sie zugleich die Religionsfreiheit für Muslime drastisch beschränken will, weist darauf hin, dass sie die Zeit eines allgemeinen Verbots des Islam noch nicht für „reif“ hält. So wurde ein Antrag aus Niederbayern, den Bau von Moscheen ganz zu verbieten, nur mit knapper Mehrheit durch Nichtbefassung noch einmal verhindert. Dabei spielte das Argument, dass es der AfD schaden könne, wenn sie sich offen gegen das Grundgesetz stelle, eine zentrale Rolle.

Mit ihren Positionen steht die AfD leider nicht allein da. Auch Politiker der Regierungsparteien wollen die Rechte von muslimischen Gemeinden einschränken. So war es der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU, der 2011 den Satz prägte „der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Ähnlich distanzierte sich kurze Zeit darauf Bundespräsident Joachim Gauck von einer Äußerung seines Vorgängers Wulff. Gauck sagte mit Bezug auf Wulffs Worte, dass der Islam zu Deutschland gehöre: „Nein“, er übernehme diesen Satz eines Vorgängers nicht.  CSU-Generalsekretär Scheuer forderte zwei Wochen vor dem AfD Programmparteitag ein Islam-Gesetz. Der Vorsitzende der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Volker Kauder, forderte am Vortag des AfD-Parteitages, Moscheen staatlich zu kontrollieren. Die Hetze gegen den Islam ist eine neue Sündenbock-Kampagne, die auf Denkfiguren eines antimuslimischen Rassismus der letzte Jahre aufbaut – wie ihn zum Beispiel Sarrazin, die Pro-Parteien, die Schweizer SVP und andere europäische Rechtspopulisten und Faschisten verbreiten. Die Islam-Hasser greifen jahrhundertealte Ressentiments auf und stellen die Religionsfreiheit in Frage. Damit lenken sie von der wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland und krisenbedingten Abstiegsängsten ab.

Nicht Minarette, Muezzin-Rufe oder Schleier bedrohen ein friedliches Zusammenleben in Deutschland, sondern soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit gegen Minderheiten. Die AfD hetzt gegen den Islam und meint alle, die eine offene, solidarische und plurale Gesellschaft wollen. Es ist kein Zufall, dass sich die AfD in ihrem Grundsatzprogramm gegen die Errungenschaften der „Nach-68er“ Epoche richtet und Sie knüpft mit ihrem familienpolitischen Programm an die Zeit der Nazis und der Adenauer-Ära an, als berufstätige Mütter als egoistische Karrierefrauen geächtet waren. So macht sie Frauen zu „Gebärmaschine“.  Frauke Petry forderte zum Beispiel, dass jede deutsche Frau mindestens drei Kinder bekommen müsse und eine bundesweite Abstimmung für ein Abtreibungsverbot.

Viele der Forderungen der AfD, werden an Stammtischen diskutiert. Hier die Forderungen der AfD und linke Gegenargumente.

1. Minarette als „Herrschaftssymbole“ verbieten?

Ausgerechnet die AfD unterstellt den Muslimen Intoleranz in ihrem Programmentwurf: „Das Minarett lehnt die AfD als islamisches Herrschaftssymbol ebenso ab wie den Muezzinruf, nach dem es außer dem islamischen Allah keinen Gott gibt. Minarett und Muezzinruf stehen im Widerspruch zu einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren.“ Einen Beleg führt sie dafür nicht an. Auch im christlichen Glauben heißt es im 1. Gebot: “Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir haben“

Inwiefern sich Kirchtürme, die in der Regel viel höher gebaut wurden als Minarette, sich von diesen unterscheiden, erklärt die AfD nicht. Gotische Kirchen mit ihren hohen Spitztürmen waren Demonstrationen des Führungsanspruchs des Klerus.

Es gibt derzeit in Deutschland ca. 200 klassische Moschee-Bauten, davon ca. 175 mit Minaretten. Das sind etwas mehr als zwei Minarette pro 1 Million Einwohner in Deutschland. Die Mehrheit der gläubigen Muslime betet in mehr als 2600 einfachen Gebetsräumen. Zum Vergleich: Es gibt etwa 45.000 Kirchen in Deutschland.

Kirchen, Moscheen, Synagogen, Pagoden waren immer und in allen Religionen architektonische Darstellungen der Größe und Erhabenheit von Gottesvorstellungen. Die Aussonderung der Moscheen als „Herrschaftssymbole“ des Islam ist durch nichts gerechtfertigt. Verbote religiöser Symbolik in Kleidung oder Architektur sind nur Ausdruck rassistischer Intoleranz derjenigen, die sie fordern.

Die AfD knüpft mit dem Minarettverbot an die Volksinitiative in der Schweiz an, die 2009 ein Bauverbot für Minarette in der Schweiz durchsetzte. Dabei ging es der SVP nicht um Minarette, denn in der Schweiz gibt es nur vier davon, sondern um eine Sündenbockkampagne gegen den Islam, auf der sie politisch aufbauen konnte. «Sie hat eine Stimmung geschaffen, die Vorbote anderer Abstimmungen wie jener über die Ausschaffungsinitiative oder jener über die Masseneinwanderungsinitiative war», sagt Staatsrechtsprofessor Markus Schefer von der Universität Basel. [1]

Die „ Ausschaffungsinitiative“ war eine Volksinitiative zur Ausweisung angeblich krimineller Ausländer der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Sie erreichte ein Jahr nach dem Minarettverbot, im Jahr 2010 eine Mehrheit von 52,9 Prozent. Die Masseneinwanderungsinitiative war ebenfalls von der SVP und 2014 mit 50,3 Prozent erfolgreich. Sie sieht u. a. vor, die Zuwanderung von Ausländern in die Schweiz durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente, die sich nach den gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz richten, zu begrenzen. Die Erfolgsserie der SVP wurde erst im Februar 2016 gebrochen. Eine Initiative zur „Durchsetzung“ der Ausschaffung scheiterte.

2. Sollen Muezzin-Rufe mit Kirchengeläut gleichgestellt werden?

Der AfD-Co-Vorsitzende Jörg Meuthen erklärte in seiner Rede auf dem Parteitag: “Der Ruf des Muezzin darf nicht die gleiche Selbstverständlichkeit beanspruchen wie das Geläut von Kirchenglocken. Das wollen wir in großer Mehrheit nicht in diesem Land.”

Die Evangelische Kirche sieht das anders: „Der öffentliche islamische Gebetsruf gefährdet das Christentum in Deutschland nicht. Dies unterstreicht ein gestern in Düsseldorf veröffentlichtes gemeinsames Papier der Evangelischen Kirche im Rheinland und der Evangelischen Kirche von Westfalen. Als Einladung zum Gebet seien der Ruf des Muezzin und christliches Glockengeläut vergleichbar.“[2]

Der Gebetsruf mit Lautsprechern ist durch die Religionsfreiheit gedeckt. Genehmigungspflichtig durch die Kommune sind die Lautstärke und die Häufigkeit. Der erste Muezzin-Ruf über Lautsprecher wurde in Deutschland 1985 in Düren genehmigt, wo es seitdem keine Beschwerden dazu gibt.[3] Derzeit gibt es in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen rund zwei Dutzend Moscheegemeinden, in denen einmal wöchentlich oder bis zu fünf Mal täglich der Ruf des Muezzins zu hören ist. Es gelten unterschiedliche städtische Vorschriften zur Häufigkeit und zur Lautstärke[4], die sich teilweise an Kirchengeläut, Vogelgezwitscher oder einem Staubsauger orientieren muss. In den meisten Bundesländern gibt es keinen Muezzin-Ruf außerhalb der Moschee.

Die Mehrheit der Moscheen und Gebetsräume lässt den Gebetsruf nur im Gebäude erschallen und  beantragt keine Genehmigung. Viele Moscheen mit Muezzin-Ruf gehören der Türkisch-Islamischen-Union (Ditib) an. Deren Generalsekretär Bekir Alboga sagt: Unser Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung. Obwohl wir Muslime um unser Recht wissen, sind wir rücksichtsvoll und beachten die lokalen Gegebenheiten und Prozesse.“[5] Trotz Religionsfreiheit stoßen Gemeinden aber auch oft auf Ablehnung. So beantragte beispielsweise eine Berliner Moschee, die nicht in bewohntem Gebiet liegt, den Muezzin-Ruf zu verstärken und bekam eine Genehmigung für eine bestimmte Lautstärke. Sie wurde allerdings vom Bezirksbürgermeister davor gewarnt, dies auch umzusetzen und verzichtet nun darauf.

Ginge es der AfD um die Lärmbelästigung, müsste sie vor allem Kirchenglocken in Frage stellen. Warum sollen christliche Gläubige mit Glocken zum Gebet gerufen werden und Muslime dürfen den Gebetsruf nur im Gebäude ausführen? Dies widerspricht der Gleichbehandlung der Religionen.

3. Schächtungsverbot ohne Ausnahme: Tierschutz im Dienst der Menschenfeindlichkeit

Schächten ist in Deutschland verboten. Es gibt Ausnahmeregelungen für Juden und seit 1996 auch für Muslime. Die AfD will diese Ausnahmen aufheben. „Die AfD lehnt das qualvolle betäubungslose Schächten von Tieren als unvereinbar mit dem Staatsziel Tierschutz ab.“

Die AfD sucht sich gezielt einen einzelnen Aspekt der Schlachtindustrie heraus, weil sie damit antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus stärken kann. Es ist ein Mythos, dass andere Schlachtmethoden weniger Schmerzen und Angstzustände für die Tiere bedeuten. Besonders in der Kritik steht die CO2-Betäubung von Schweinen, die in Deutschland millionenfach angewandt wird.[6] Damit hat die AfD keine Probleme. Die AfD bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm auch ausdrücklich sehr positiv zur Jagd – obwohl Jäger bekanntlich auch nicht betäuben und Tiere häufig nur angeschossen werden und qualvoll verenden.

Für die meisten islamischen und jüdischen Gemeinden in Deutschland ist die betäubungslose Schächtung wesentlicher Bestandteil ihrer Religionsausübung und gehört zum lebendigen Inhalt ihrer Glaubenspraxis. Von daher sind die Ausnahmeregelungen für jüdische und muslimische Schlachter zu verteidigen.

Im Übrigen erinnert die Forderung nach einem kompletten Schächtverbot an das Vorgehen der NSDAP, die den Tierschutz für die antisemitischen Ziele des Regimes missbrauchte. Unter dem Vorwand des Tierschutzes verbot die NSDAP 1933 das Schächten und bestrafte es mit Gefängnis – später auch mit Haft im Konzentrationslager. „Tierliebe und Menschenverachtung waren in der NS-Ideologie kein Widerspruch.“ schrieb Helene Heise im SPIEGEL.[7]

4. Soll die Vollverschleierung verboten werden?

Die AfD fordert in ihrem Grundsatzprogramm das Verbot der Vollverschleierung. „Die AfD fordert ein allgemeines Verbot der Vollverschleierung durch Burka und Niqab in der Öffentlichkeit und im öffentlichen Dienst. Burka und Niqab errichten eine Barriere zwischen der Trägerin und ihrer Umwelt und erschweren damit die kulturelle Integration und das Zusammenleben in der Gesellschaft.“

Damit steht die AfD nicht alleine da. Immer wieder fordern Konservative ein „Burka-Verbot.“ Die CDU in Baden-Württemberg wollte ein Burka-Verbot in den schwarz-grünen Koalitionsvertrag mit dem Argument verankern, wer sich in der Öffentlichkeit verschleiere, sei „nicht Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft.“ Auch das Verbot der Vollverschleierung ist eine Scheindebatte. Die Zahl der Frauen, die Burkas oder Niqabs (Schleier mit Augenschlitz) tragen, ist sehr begrenzt.

Nun ist es an sich grotesk, dass sich die AfD die Verteidigung von Frauenrechten auf die Fahnen schreibt. Gerade die AfD verbreitet ein ultra-konservatives Frauenbild und möchte deutsche Frauen wieder an ‚Heim und Herd’ drängen: Sie sollen im Zeichen des „völkischen“ Ideals der AfD möglichst viele Kinder bekommen und diese auch wieder in der Kleinkindphase in der Familie aufziehen.  Die Möglichkeiten der sexuellen Selbstbestimmung und des Schwangerschaftsabbruchs sollen nach Wunsch der AfD massiv eingeschränkt werden. Forderungen nach Quotierung in Beruf und Politik lehnt die AfD ab, folglich auch die nach sozialer und gesellschaftlicher Gleichstellung von Frauen.

Auch beim Burka-Verbot ist zu sagen: Nicht die Frauen, die sich voll verschleiern, sind das Problem, sondern die gesellschaftliche Stigmatisierung. Die Erfahrungen von Frankreich und Belgien zeigen, dass das Burka-Verbot, die betroffenen Frauen aus der Öffentlichkeit drängt und ins Haus verbannt.

Die Frauen, die aus freien Stücken Burka oder Nikab tragen, werden durch ein Verbot in Selbstbestimmung bevormundet und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Diejenigen, die es aus Zwang durch Ehemänner oder Familie tragen, haben es mit dem Verbot noch schwerer, Beratungsangebote oder Hilfe zu finden.

Die liberale politische Bewegung Operation Libero in der Schweiz sammelt Unterschriften gegen ein Burkaverbot unter dem Motto: «Keine Kleidervorschriften in die Verfassung».[8] Das Verhüllungsverbot sei ein «Eingriff in die persönliche Freiheit» und müsse entsprechend gut begründet werden. «Burkas stellen kein Problem dar, sie gefährden keine öffentlichen Interessen», argumentiert Operation Libero, laut eigenen Angaben eine «politische Bewegung, die sich für eine weltoffene und zukunftsgewandte Schweiz einsetzt». Sie war treibende Kraft gegen die Volksinitiative „Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer“, die am 28. Februar abgelehnt wurde.

5. Warum ein Kopftuchverbot einem Berufsverbot gleichkommt

Die AfD behauptet: „Der Integration und Gleichberechtigung von Frauen und Mädchen sowie der freien Entfaltung der Persönlichkeit widerspricht das Kopftuch als religiös-politisches Zeichen der Unterordnung von muslimischen Frauen unter den Mann.“

Das ist in mehrerlei Hinsicht falsch. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Motivationen, ein Kopftuch zu tragen: es gibt kulturelle, ästhetische und traditionell religiöse Gründe, es mag eine selbstbewusste Reaktion auf den hier erfahrenen Rassismus sein, ein Symbol der Zugehörigkeit und vieles mehr. Damit ist es Teil eben jener Entfaltungsmöglichkeiten. Frauen besitzen das Recht und die Fähigkeit ihre persönliche Entscheidung zu treffen. Diesen Frauen, wird durch ein Verbot, die gesellschaftliche Teilhabe grundlos erschwert. Denn ihnen wird die freie Berufswahl und relativ sichere Einkommen im Öffentlichen Dienst verwehrt. Damit wird ein Aufstieg aus schlecht bezahlten, prekären Arbeiten unmöglich. Auch in der Privatwirtschaft wurde das Urteil als Vorwand verwendet, kopftuchtragende Muslimas nicht einzustellen. Das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst hat eine Signalwirkung in andere Bereiche.

Noch mehr jedoch trifft es gerade diese Minderheit von muslimischen Frauen, die das Kopftuch aus Zwang tragen und in deren scheinbaren Namen sich viele für ein Verbot aussprechen. Indem ihnen der Weg zu einer beruflichen Existenz und damit einer materiellen Grundlage erschwert wird, bleiben sie auf den Ehemann, die Familie oder das Jobcenter verwiesen.

Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator der SPD, äußerte inzwischen deutlich seine Zweifel an dem von ihm mitverfassten Kopftuchverbot: „Ich habe bei meinen Moscheebesuchen mit vielen jungen Frauen diskutiert, die überzeugend erklärt haben, dass sie das Kopftuch nicht tragen, weil sie dazu gezwungen werden. Sondern weil es zu ihrer religiösen Identität gehört. Und sie empfinden es als eine Diskriminierung, wenn sie mit dieser Identität bestimmte Berufe gar nicht mehr ergreifen können.“[9] Dass es nicht nur um empfundene Diskriminierung geht, machte er an anderer Stelle deutlich: „Ich frage mich deshalb, ob das Gesetz nicht das Gegenteil von dem bewirkt, was wir uns erhofft hatten. Dass es nämlich nicht die Emanzipation von muslimischen Mädchen und Frauen fördert, sondern eher behindert.“[10]

Auch die Trennung von Staat und Kirche wird durch das Kopftuch nicht angegriffen: Individuen und Institutionen können hier nicht über einen Kamm geschert werden. Während der Staat und seine Institutionen einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichtet sind und daher das Kreuz von der Klassenwand und die Kirchensteuer vom Gehaltszettel verschwinden sollten, kann dies für Individuen nicht gelten. Statt also durch die Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen der grassierenden Islamfeindlichkeit in Deutschland Vorschub zu leisten, sollten Kinder und Jugendliche frühzeitig lernen, Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen.[11]

DIE LINKE in Berlin fordert das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst abzuschaffen: „Kopftuchtragende Muslima sind, zusätzlich zur geschlechterbedingten Benachteiligung, rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist das Neutralitätsgesetz zu überprüfen. DIE LINKE setzt sich dafür ein, aus dem Gesetz entstehende Diskriminierungen kopftuchtragender muslimischer Frauen abzuschaffen.“[12]

Das Kopftuchverbot für Schülerinnen ist die Spitze der Diskriminierung von muslimischen Frauen durch die AfD und das Gegenteil von Gleichberechtigung. In Frankreich führt es für Schülerinnen zum Ausschluss aus öffentlichen Schulen. Auch in Deutschland besteht die Gefahr, dass Mädchen und Frauen gezwungen zu werden, die Schule zu verlassen und Privatschulen suchen müssen. Letzteres wiederum kann sich die Mehrheit finanziell nicht leisten. In jedem Fall widerspricht es dem Bildungsauftrag des Staates für alle und macht es für  die Betroffenen den Schulbesuch zum Spießrutenlauf.

6. Soll die Finanzierung von Moscheen in Deutschland aus dem Ausland verboten werden?

Die AfD fordert, die Finanzierung von Moscheen aus dem Ausland zu unterbinden: „Islamische Staaten wollen durch den Bau und Betrieb von Moscheen den Islam in Deutschland verbreiten und ihre Macht vergrößern. Die wachsende Einflussnahme des islamischen Auslands ist mit dem freiheitlichen Verfassungsstaat und der Integration von hier lebenden Muslimen nicht vereinbar.“

In dieselbe Richtung hat auch Andreas Scheuer, Generalsekretär der CSU argumentiert, als er ein „Islamgesetz“ forderte. Scheuer sagt: „Wer sich nicht integriert, kann nicht hier bleiben“[13] und beruft sich auch auf Innenminister de Maizière, der im Integrationsgesetz den Aufenthalt von der „Integrationsleistung“ abhängig machen will[14] und damit eine Zwangsintegration fordert. Die AfD ist nur vorgeblich für die Integration, die sie sich auf die Fahnen schreibt. Die Integration von Muslimen sei „weder möglich noch wünschenswert“, rief der Sprecher des neofaschistischen Flügels (Patriotische Plattform) Hans-Thomas Tillschneider unter großem Beifall des  Parteitags aus.

Die Forderung nach Verbot von Auslandsfinanzierung religiöser Bauten oder Diensten muss zurückgewiesen werden. Die katholische Kirche in Deutschland unterstützt in vielen Ländern ihre Glaubensgeschwister finanziell. Niemand würde die Auslandsfinanzierung von christlichen oder jüdischen Einrichtungen oder Diensten in Frage stellen, auch die AfD nicht.

Ein Verbot der Auslandsfinanzierung würde den Bau von Moscheen erschweren, denn die muslimischen Gemeinden sind weniger finanzstark als beispielsweise die Kirchen, die u.a. staatliche Unterstützung für den Unterhalt von Kirchen bekommen und für die der Staat Kirchensteuer bei den Gläubigen einzieht.

Außerdem ist es heuchlerisch von Politikern der CSU und auch der CDU, Gelder aus der Türkei oder Saudi-Arabien für den Bau von Moscheen verbieten zu wollen, aber gleichzeitig Waffenlieferungen in diese Länder zu befürworten. Es ist auch falsch, den Muslimen zu unterstellen, dass sie die Staatsform in Saudi-Arabien befürworten, nur weil sie in einer gespendeten Moschee beten. Ebenso könnte man unterstellen, dass alle Besucher der Olympischen Spiele die Geschäftspolitik der Sponsoren richtig finden. Dem ist nicht so.

Was die AfD und Scheuer den Muslimen unterstellen, ähnelt dem „Ultramontanismusvorwurf“ von Bismarck gegen die Katholiken aus dem 19. Jahrhundert. Reichskanzler Bismarck warf den Katholiken vor, sie seien nicht ausreichend staatstreu, ihre Loyalität gelte vielmehr dem Papst, ihrem geistigen Oberhaupt jenseits der Alpen („ultra montes“). Im Mittelpunkt von Bismarcks Vorgehen stand das Verbot politischer Äußerungen durch Geistliche von der Kirchenkanzel herab. Damals wurden die Predigten der katholischen Geistlichkeit der staatlichen Zensur unterworfen. Zahlreiche Pfarrer wurden damals mit Gefängnisstrafen und Verbannung aus ihren Gemeinden bestraft. Aber das war nur eine von zahlreichen Maßnahmen, die sich gegen Katholikinnen und Katholiken wandten und eine allgemeine antikatholische Stimmung in der Gesellschaft schaffen sollten, um die Macht des protestantisch beherrschten Preußens zu stärken und das neue Deutsche Reich unter protestantischer Führung gegen Instabilität abzusichern.

August Bebel, der Gründer der Sozialdemokratischen Partei, wandte sich im Jahr 1872 im Reichstag gegen Bismarck und bezog Position gegen ein Verbot des reaktionären Jesuitenordens, des Horts der Gegenreformation und der Gegenaufklärung. Damit stellte er sich gegen die Mehrheit der Liberalen und demokratischen Linken, die Bismarcks Gesetzgebung im Namen der Aufklärung und der Trennung von Staat und Kirche unterstützten. Nur sechs Jahre später erließ Bismarck die Sozialistengesetze und verbot die Sozialdemokratische Partei Deutschlands – was zeigt, wie Recht Bebel und seine Sozialisten hatten, sich gegen die Unterdrückung der Katholiken durch die preußisch-protestantische Monarchie zu stellen. Das historische Beispiel zeigt, wie erst die einen unliebsamen Kräfte vom Staat verboten werden und dann die linken Kräfte folgen. Auch heute sollten wir die Religionsfreiheit gegenüber jeder staatlichen Repression verteidigen.

7. Sollen Imame in Moscheen deutsch sprechen? Sind Imame eine Gefahr?

Die AfD fordert: „ Imame sollen in deutscher Sprache an deutschen Universitäten ausgebildet werden, unabhängig von Weisungen des islamischen Auslands und von muslimischen Verbänden. Von aus dem islamischen Ausland entsandten Imamen geht die Gefahr rechts- und verfassungswidriger Indoktrination der Moscheebesucher aus.“

Auch hier sprang CSU-Generalsekretär Scheuer auf den antimuslimischen Zug der AfD auf, als er ein Islamgesetz forderte, wonach Imame zukünftig nur in deutscher Sprache predigen dürften. Der Staat hat keine Vorschriften für Gottesdienste zu machen – ob in der Kirche, in der Moschee oder in der Synagoge. Viele Imame predigen auf Deutsch. Auch hier bedienen AfD und CSU-Generalsekretär Scheuer antimuslimische Ressentiments, denn selbstverständlich wendet er sich nicht gegen die lateinische Liturgie in konservativen Teilen der katholischen Kirche oder andere Sprachen in anderen Gottesdiensten. Es gibt in Deutschland zum Beispiel christliche Predigten auf  Französisch, Polnisch und Russisch; Synagogen, in denen englisch, hebräisch oder russisch gesprochen wird und genauso wie auch türkische, bosnisch- oder arabischsprachige Gottesdienste in Moscheen abgehalten werden. Es ist sinnvoll, dass Migranten – egal welcher Herkunft – Gottesdienste in ihrer Muttersprache hören können.

Die muslimischen Verbände fordern seit Jahren gerade die Ausbildung von Imamen und islamische Theologie als Studiengang in Deutschland, die in vier Hochschulen nun begonnen hat. Die Forderung der AfD, die Imame ohne die Einbeziehung der muslimischen Verbände auszubilden, ist absurd. Die AfD fordert nicht, die universitäre Ausbildung der Pfarrer und Priester ohne die Kirchen zu vollziehen. Wie Bismarck die katholische Minderheit bekämpfte und Pfarrer wegen angeblicher politischen Einflussnahme verhaften ließ, führt die AfD hier ihre Kampagne gegen Imame und unterstellt „rechts- und verfassungswidrige Indoktrination“ – ohne jeden Beleg.

Die muslimischen Imame werden hier mit einem Pauschalverdacht belegt und stigmatisiert. Auch mit dieser Forderung hetzt die AfD ihre Anhänger gegen eine religiöse Minderheit auf.

Die AfD kann hier an die staatlichen Repressionen gegen Moscheegemeinden in Deutschland in den letzten 15 Jahren anknüpfen. Immer wieder haben Polizei und BKA ganze Moscheen gestürmt, nur um dann – wie in Berlin mehrfach geschehen- die Festgenommenen wieder freilassen zu müssen, weil es keinen hinreichenden Anfangsverdacht gab. Auch der Verfassungsschutz beobachtet ganze Moscheen und religiöse Vereinigungen, stigmatisiert sie damit in der Öffentlichkeit – ebenso wie er es mit vielen so genannten „Linksextremisten“ tut. Die zahlreichen rassistischen und Neonazi-Anschläge auf Moscheen sind für den Verfassungsschutz nicht besonders beobachtungswert. Anders als antisemitische Straftaten erfassen Bund- und Länderpolizei islamfeindliche Straftaten bislang nicht gesondert und führen keine Statistiken dazu. Die Linksfraktion fordert seit Jahren die Erfassung antimuslimischer Straftaten.[15]

Dass hier doppelte Standards gelten sieht man daran, dass der Verfassungsschutz es ablehnt, die AfD zu beobachten, obwohl die AfD einen starken neofaschistischen Flügel hat, der ganze Landesverbände dominiert.

8. Sollen muslimische Gemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden?

„Die AfD lehnt es ab, islamischen Organisationen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen, weil sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen. Islamische Organisationen erstreben den Körperschaftsstatus mit seinen Privilegien, um ihre Macht zu stärken.“

In Deutschland können Religionsgemeinschaften den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts anstreben. Das bedeutet u. a., dass sie Religionsunterricht erteilen und Steuern auf ihre Mitglieder erheben können. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die christlichen Kirchen, die jüdische Gemeinde, die russisch-orthodoxe Kirche, die Zeugen Jehovas und andere.

Der Verband der Islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime haben vor Jahren die Anerkennung beantragt. Sie erfüllen die Voraussetzungen, über den Nachweis über Dauer und Mitgliedschaft. In einigen Bundesländern läuft die Prüfung, sie wurden aber bisher von keinem Bundesland anerkannt. Dies kann die AfD nun in ihrer Argumentation ausnutzen.

Die Anerkennung der muslimischen Gemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts in den Bundesländern wäre ein überfälliger und wichtiger Schritt der öffentlichen Anerkennung. Einzig die Ahmadiyya-Gemeinde in Hessen wurde als bisher als muslimische Gemeinde als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Einige muslimische Gemeinden haben die Teilanerkennung als Körperschaft bekommen, sodass sie Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilen dürfen so zum Beispiel in Bremen, Hessen und Hamburg.[16] Das hat den Vorteil, dass die Lehrkräfte dann öffentlich bezahlt werden und nicht privat finanziert werden müssen. Die Erteilung von Religionsunterricht ist eine zentrale Motivation anerkannt zu werden. Es gibt unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern, ob es Religionsunterricht an den Schulen gibt. Solange andere Religionsgemeinschaften das Recht haben, Religionsunterricht zu erteilen, müssen auch die Muslime dieses Recht haben. Dies ist kein Privileg, sondern eine Selbstverständlichkeit. Wenn ein Recht verwehrt wird, ist das Diskriminierung.

Die Alevitische Gemeinde, die in 11 Bundesländern Religionsunterricht erteilen darf, aber nicht vollständig als KDöR anerkannt ist, schreibt: „Der AABF (Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V.) ist sehr wohl bewusst, dass der KdöR-Status nicht alle strukturellen Problemen von uns als Migrantenselbstorganisation löst, aber es ist ein großer Schritt in Richtung selbstbestimmtes religiöses Leben. (..) Als KdöR wäre es möglich, mit Hilfe der Mitgliedersteuern Kindergärten, Bildungsstätten, Beratungsstellen, Altenheime und Friedhöfe zu betreiben – zugeschnitten auf die Bedürfnisse von in Deutschland lebenden Alevitinnen und Aleviten.“[17]

Die AfD erweckt den Eindruck, dass Muslime besondere Privilegien erhalten. Dies ist nicht der Fall. Es geht darum, dass die Muslime endlich die Rechte erhalten, die andere Religionsgemeinschaften selbstverständlich haben. Wirtschaftliche Privilegien, Macht, Eigentumsverhältnisse und Reichtum einiger weniger in der Gesellschaft zu thematisieren bleibt Aufgabe der Linken.

 

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[1] www.aargauerzeitung.ch/schweiz/fuenf-jahre-danach-minarettverbot-gilt-nicht-absolut-128610269 [2] Kölner Stadtanzeiger vom 21. Oktober 1998 [3] www.deutschlandfunk.de/dueren-und-taeglich-gruesst-der-muezzin.1773.de.html [4] chrislages.de/azan.htm [5] www.islaminstitut.de/Nachrichtenanzeige.4+M5397291ff4b.0.html [6] Ruth Schalk, Die Ohnmacht vor dem Tod, FAZ 11.4.2016 www.faz.net/aktuell/gesellschaft/tiere/deutschland-umstrittene-co2-methode-bei-schweineschlachtung-14169503.html [7] www.spiegel.de/einestages/nazis-und-tierschutz-a-947808.html [8] www.operation-libero.ch/de/kleidervorschriften/petition [9] www.berliner-zeitung.de/berlin/berliner-regelung–ex-innensenator-koerting-findet-kopftuchverbot-inzwischen-falsch,10809148,30118390.html [10] www.tagesspiegel.de/politik/ehrhart-koerting-zum-kopftuchurteil-ich-sehe-mein-gesetz-heute-kritischer/11502098.html [11] christinebuchholz.de/2015/07/10/warum-wir-fuer-das-recht-sind-kopftuch-zu-tragen-ueberall/ [12] www.die-linke-berlin.de/wahlen/berlin_2016/wahlprogramm/buergerrechte/ [13] www.csu.de/aktuell/meldungen/april-2016/scheuer-im-welt-interview/ [14] www.proasyl.de/wp-content/uploads/2015/12/Positionspapier-von-PRO-ASYL-zu-den-Eckpunkten-des-Integrationsgesetzes.pdf [15] www.taz.de/!5299037/ [16] www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/DIK/1UeberDIK/DIK2014Teilnehmer/dik2014teilnehmer-node.html [17] alevi.com/de/