Die Linksfraktion thematisiert mit einer Anfrage den »Radikalenerlass«. Die Regierung zeigt sich unbeweglich. Ein Interview der Jungen Welt mit Jan Korte. Das Interview findet sich in der Ausgabe vom 28.01.2022
An diesem Freitag jährt sich der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz von Bund und Ländern zum »Radikalenerlass« zum 50. Mal. Sie haben dieses traurige Jubiläum zum Anlass für eine kleine Anfrage an die Bundesregierung genommen. Warum sind die Berufsverbote weiterhin ein Thema für die Partei Die Linke?
Offiziell für ungültig erklärt wurde der »Radikalenerlass«, der sich ja in der Praxis ausschließlich gegen Linke richtete, nie. Er ist Ausdruck des Antikommunismus, der für die Bundesrepublik ab 1949 prägend war. Insofern geht es hier auch um unsere eigene Geschichte. Generell zeigt der Radikalenerlass wie in einem Brennglas die falschen Weichenstellungen der frühen Bundesrepublik: Ignoranz und Kumpanei beim Blick nach rechts – die alten und neuen Nazis im Staatsdienst blieben völlig unbehelligt – und harte Repression gegen links. Eine offizielle systematische Aufarbeitung und Untersuchung des Ausmaßes der Berufsverbotspraxis und seiner Folgen hat es bislang nicht gegeben.
Altbundeskanzler Willy Brandt, SPD, bezeichnete den von ihm mitgetragenen Radikalenerlass später als »Irrtum« und erklärte es zum »demokratisch-rechtsstaatlichen Gebot«, die »negativen Folgen des einstigen Ministerpräsidentenbeschlusses zu bereinigen«. Inwieweit ist dies geschehen?
Davon kann in keiner Weise die Rede sein. Willy Brandt und auch andere SPD-Politiker wie Hans Koschnick und Hans Ulrich Klose erkannten zwar, dass ihre Politik gegen links ihnen ab 1978 mehr Stimmen kosten als bringen würde und sie die Demokratie dadurch beschädigten und nicht beschützten, so dass zumindest die SPD-regierten Bundesländer 1979 die obligatorische Regelanfrage beim Verfassungsschutz einstellten. In Bayern blieb die Regelanfrage aber sogar bis zum 31. Dezember 1991 in Kraft. Tausende Menschen wurden um ihre berufliche Karriere gebracht und standen mehr oder weniger öffentlich unter einem Generalverdacht. Eine Rehabilitierung der Opfer oder gar eine Entschädigung fehlen bis heute. Noch nicht einmal für eine Entschuldigung hat es bislang gereicht.
Könnte sich das unter der Ampelregierung ändern?
Nach der Antwort der neuen Bundesregierung auf unsere kleine Anfrage habe ich leider wenig Hoffnung auf Bewegung. Das jetzt SPD-geführte Innenministerium macht sich darin die Sichtweise aller konservativ geprägten Vorgängerregierungen zu eigen. Eine Ermittlung der Folgen des damaligen Beschlusses für die Betroffenen sei unzumutbar. Ganz offensichtlich will sich die Bundesregierung damit nicht befassen und schiebt das auf die Länder ab.
Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, um die von Berufsverboten Betroffenen zu entschädigen?
Ohne Zweifel müsste es eine materielle Entschädigung für die Opfer dieser staatlichen Repressionspolitik geben. Zweitens muss es eine öffentliche Rehabilitierung der Betroffenen geben. Und schließlich fordern wir eine Aufarbeitung des Kalten Krieges für beide deutsche Teilstaaten, um endlich von der einseitigen Sicht nur auf die DDR wegzukommen und unter anderem die Repressionsgeschichte gegen links in der Bundesrepublik stärker in den Blick zu nehmen.
Nach 1989 wurden erneut Zehntausende Menschen, denen »Staatsnähe« zur DDR vorgeworfen wurde, aus ihren beruflichen Stellungen verjagt. Sehen Sie hier eine Parallele zu den Berufsverboten?
Mit 1989 hatte der antikommunistische Reflex noch einmal Hochkonjunktur und richtete sich mit voller Wucht gegen Menschen in der DDR. Natürlich war vieles an der DDR problematisch. Vergleicht man aber den Elitenaustausch 1990 ff. mit dem von 1949 ff., dann ist es ein Unterschied ums Ganze. Während die Adenauer-Republik Gesetze erließ, mit denen sie die alten Nazis wieder in den Staatsdienst holen konnte, wurde nach dem Ende der DDR mit eisernem Besen ausgekehrt. Hier reichten zum Beispiel marxistische Grundüberzeugungen von erstklassigen Historikern, um sie aus dem Unibetrieb zu drängen.