Die Soziale Pflegeversicherung ist bislang als Teilleistungsversicherung konzipiert. Um die Lücken bei der Finanzierung der Leistung zu verringern, können private Pflegezusatzversicherungen abgeschlossen werden, etwa eine Pflegetagegeldversicherung. Aktuell bspw. wirbt dafür unter Bezugnahme auf eine Umfrage der Postbank ein Artikel vom 1.10.2020 in Die Welt.
Die Anbieter von Pflegetagegeldversicherungen haben allerdings in den letzten Jahren sowohl für Neu- wie auch für Bestandskunden die monatlichen Beiträge deutlich erhöht, viele zuletzt 2020. Bei vielen Kunden*innen führt dies zu Erstaunen oder Entrüstung. Auf Grund der finanziellen Unwägbarkeiten rät die Stiftung Warentest deshalb seit Jahren: „Eine solche Versicherung hat nur Sinn, wenn jemand so wohlhabend ist, dass er die Beiträge auf Dauer zahlen kann. […] Falls Sie kündigen müssen, verlieren Sie den Schutz und das gezahlte Geld.“ (Finanztest 5/2013, S. 71, ähnlich: Finanztest 11/2017, S. 81 sowie Finanztest 2/2020, S. 83).
Vor diesem Hintergrund hat Pia Zimmermann die Bundesregierung nach näheren Informationen zur Entwicklung der Beiträge für Pflegetagegeldversicherungen gefragt.
Antworten der Bundesregierung (hier als PDF herunterladen)
- Anzahl der Anbieter und erste Abschlüsse
Den ersten Anbieter bzw. Vertragsabschlüsse gab es 1985; der letzte der aktuell 34 Anbieter trat 2012 erstmals auf. 1986 traten sechs weitere Anbieter hinzu; einen weiteren „Boom“ gab es 1994 bis 1996 (1994: 4; 1995: 5; 1996: 3; Details s. Tabelle 1 bzw. Antwort 1).
- Beitragserhöhungen
Zwar kann die Bundesregierung keine Angaben zu Steigerungen der monatlichen Beiträge machen; sie bestätigt aber, dass diverse Anbieter in den letzten Jahren die Beiträge erhöht haben. Zudem bestätigen die Angaben die Leserbriefbeschwerden, denen zufolge ein Großteil der Anbieter 2020 die Beiträge erhöht haben: drei von vier der Anbieter, zu denen Auskünfte erbeten wurden, haben zuletzt 2020 die Beiträge erhöht (Antworten 4 bis 7).
- Abschlüsse/Zugänge und Kündigungen, steigender Anteil der Kündigungen
Zwischen 2012 und 2019 wurden 2,085 Millionen Pflegetagegeldversicherungen abgeschlossen; mit 0,475 Mio. Abschlüssen lag der Höhepunkt im Jahr 2014 (Tab. 2, Spalte 2). Seit 2015 geht die Anzahl der Neuabschlüsse kontinuierlich zurück (Antwort 2; s. auch Tab. 2, Spalte 2 & 4).
Die Anzahl der Kündigungen betrug im selben Zeitraum 454 Tausend (Tab. 2, Sp. 3); gemessen an den 2,085 Millionen Abschlüssen sind das 21,8% (ebd.). Die Kündigungen nehmen absolut zwischen 2012 bis 2017 zu (in der Spitze 79 000 Kündigungen im Jahr 2017), um danach wieder etwas zurückzugehen (Tab. 2, Spalten 3 & 5).
Bemerkenswert ist der Anteil der (jährlichen) Kündigungen, gemessen an den jährlichen Abschlüssen: Seit 2014 steigt der Anteil von 9,9% auf 38,8% im Jahr 2019 – also noch vor den letzten Beitragserhöhungen 2020 (Tab. 2, Spalte 6). Gemessen an den 2012 bis 2019 kumulierten Zugängen haben die kumulierten Kündigungen einen Anteil von 21,8% (Tab. 2, Spalte 6; Tabelle 3 enthält die entsprechenden Zahlen für 2015 – 2019).
- Reaktionen der Bundesregierung auf Empfehlungen der Zeitschrift Finanztest
Die Einschätzung der Zeitschrift Finanztest, eine Pflegetagegeldversicherung sei „eher nicht für Leute unter 40 Jahren“ geeignet, möchte die Bundesregierung nicht kommentieren; dies müsse selbst entschieden werden, „eine pauschale Empfehlung ist nicht möglich“ (Antwort 10).
Die Einschätzung der Zeitschrift Finanztest, die vom Abschluss von staatlich geförderten Produkten („Pflege-Bahr“) abrät, da sie zum einen „bei weitem nicht [ausreichen], um den Geldbedarf im Pflegefall zu decken“ und zum anderen „ihre Vertragsbedingungen oft schlechter [sind] als die von ungeförderten Tarifen“ (Finanztest 5/2013, S. 70; sehr ähnlich Finanztest 11/2017, S. 81), entgegnet das Bundesfinanzministerium, damit solle „der Einstieg in mehr Eigenverantwortlichkeit gefördert werden“, „der Grundgedanke [sei] nicht die vollständige Absicherung der potenziellen Vorsorgelücke“. Wissenschaftliche Einschätzungen, die der Zeitschrift Finanztest widersprechen, sind der Bundesregierung nicht bekannt (Antwort 11).
Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Fraktion, kommentiert:
„Die Sachlage ist eindeutig: Die Lücken der Sozialen Pflegeversicherung sind durch private Vorsorge nur für Wohlhabende mit sicheren Einkommen zu schließen. Das muss die Bundesregierung sogar für den mit Millionen geförderten Pflege-Bahr einräumen.
Deshalb brauchen wir endlich die Pflegevollversicherung. Bei einheitlicher Verbeitragung aller Einkunftsarten und der Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze können endlich alle pflegebedingten Leistungen finanziert werden – bei nur moderaten Steigerungen der aktuellen Beitragssätze. Die Pflegevollversicherung muss aber auch deshalb kommen, weil endlich Schluss damit sein muss, Menschen, auch noch zusätzlich finanziell zu belasten, wenn ein Pflegebedarf eintritt. Wer so etwas tut, hat jeden sozialen Anstand verloren.“
„Spahn hat einen Köder ausgelegt, mit dem Pflegebedarf ein Armutsrisiko bleibt. Denn zu den pflegebedingten Kosten, die Spahn bei 700 Euro deckeln will, kommen weitere Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen. Das ist keine befriedigende Reform, geschweige denn eine Revolution. Die ist aber dringend nötig, um das Armutsrisiko bei Pflegebedarf auszuschalten.“