Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält in einem aktuellen Gutachten unter dem Titel »Verweigerung von Kurzzeitvisa (für touristische Zwecke) für russische Staatsangehörige im Lichte des EU-Rechts« ein pauschales Einreiseverbot für russische Staatsbürger für rechtlich nicht zulässig. EU-Staaten und somit auch Deutschland dürfen russischen Staatsbürgern nicht pauschal die Einreise verweigern.
Estland, Lettland, Litauen und Polen haben eine pauschale Einreiseverweigerung für russische Touristen beschlossen. Finnland fordert ebenfalls ein solches generelles Verbot, hat es jedoch nicht gesetzlich festgelegt. Die Wissenschaftlicher argumentieren, dass in der EU das Prinzip der Einzelfallentscheidung gelte, das durch ein allgemeines Verbot verletzt würde. Die Europäische Union hat bisher lediglich das Abkommen zur erleichterten Visavergabe ausgesetzt. Die Einzelfallprüfung für Touristenvisa für Russen könne wegen der besonderen Gefahrenlage verschärft durchgeführt werden. Das Gleiche gelte für etwaige Einreiseverweigerung gegenüber Personen, die bereits ein Schengen-Visum haben.
Sevim Dagdelen, Obfrau für die Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, hatte das Gutachten in Auftrag gegeben. "Bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges darf die EU nicht selbst zur Rechtsbrecherin werden. Jeden russischen Touristen pauschal zur Gefahr für Europa zu erklären, ist weder politisch noch juristisch legitim", kommentiert Dagdelen die Expertise und fordert: "Die EU-Kommission muss insbesondere die baltischen Staaten und Polen dringend zurückpfeifen, die in ihrem antirussischen Furor drauf und dran sind, geltendes Unionsrecht zu missachten. Ein Einreisestopp für russische Touristen trifft im Übrigen nicht Putin und seine Anhänger, sondern überwiegend jene, die sich eine gewisse Distanz zur russischen Regierung bewahrt haben."
Der Bundestag befasste sich gerade erst in seiner letzten Plenarwoche mit der Antrag der Linksfraktion, nach der Teilmobilmachung in Russland Deserteuren und Kriegsdienstverweigerern Schutz in Deutschland zu bieten. Kriegsdienstverweigerung wird in Russland mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft. "Russische Deserteure und Kriegsdienstverweigerer, die sich nicht an dem völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine beteiligen wollen, brauchen unsere Solidarität", warb Clara Bünger in ihrer Rede: "Die Bundesregierung muss humanitäre Visa für eine sichere Einreise in die EU zur Verfügung stellen."