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Linksfraktion-Anhörung »Medien unter Beschuss« am 27. November 2019 im Bundestag

Neuer Krieg gegen den Journalismus

Nachricht,

Eine Anhörung der Fraktion DIE LINKE widmete sich der Verfolgung von WikiLeaks und investigativer Medien

 

Der Krieg gegen die Enthüllungsplattform WikiLeaks trifft nicht nur mutige WhistleblowerInnen wie Julian Assange, Chelsea Manning, Edward Snowden und andere. Er bedroht auch den Journalismus und unser aller Recht auf freie Information. So das Resümee der öffentlichen Anhörung „Medien unter Beschuss“ der Fraktion DIE LINKE mit zahlreichen hochrangigen Gästen und rund 240 BesucherInnen. Die neue Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Amira Mohamed Ali, machte in ihrer Eröffnungsrede auf das Schicksal von WikiLeaks-Gründer Julian Assange aufmerksam, der nach acht Jahren Asyl in der Botschaft Ecuadors in London im April an Großbritannien ausgeliefert wurde. Assange sitzt seither  in einem Hochsicherheitsgefängnis in Isolationshaft und ist von der Auslieferung an die USA bedroht.

„Sein Gesundheitszustand ist sehr ernst“, so Mohamed Ali, die auf einen Appell an das britische Innenministerium aufmerksam machte. 60 Ärztinnen und Ärzten forderten darin unlängst die sofortige Freilassung von Assange und seine Verlegung in ein Krankenhaus, um sein Leben zu retten. „Wie wir alle wissen, ist Julian Assange nicht der Einzige, dem dieses Unrecht widerfährt“, so Mohamed Ali. Dies gelte ebenso für die Whistleblowerin Chelsea Manning. „Ich glaube, man darf ohne zu übertreiben feststellen: Wir leben in Zeiten des Krieges. Und dabei ist die Wahrheit hinderlich.“

 

Zu einem ähnlichen Urteil kam Sevim Dadelen, Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE und Mitorganisatorin der Anhörung. Julian Assange habe Geschichte geschrieben, als er Kriegsverbrechen der USA im Irak und Afghanistan öffentlich gemacht hat. „Nicht diejenigen, die Kriegsverbrechen aufdecken, gehören ins Gefängnis, sondern diejenigen, die sie befehlen, begehen oder vertuschen.“

 

UN-Sonderberichterstatter: „Anzeichen von Folter“

Immer wieder ging es um die persönlichen Folgen für WhistleblowerInnen. Am eindrücklichsten waren die Schilderungen von Assanges Vater John Shipton. „Meinem Sohn geht es nicht gut“, sagte er mit leiser, bedächtiger Stimme. Julian Assange sei 22 Stunden in seiner Zelle gefangen und habe kaum Kontakte nach außen. „Das alles verstößt gegen alle geltenden internationalen Abkommen, etwa gegen willkürliche Inhaftierung“, so Shipton.

Dass das Leben von Julian Assange in britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gefährdet ist, bestätigte der UN-Sonderberichterstatter für das Thema Folter, Nils Melzer. Er hatte Assange im Mai, drei Wochen nach seiner Festnahme, mit einem Ärzteteam besucht. „Wir haben festgestellt, dass er Symptome psychischer Folter aufweist“, so der Schweizer UN-Funktionär, der sowohl das Vorgehen der britischen als auch der schwedischen Justizbehörden sowie der ecuadorianischen Regierung rügte. Sie alle hätten dazu beigetragen, dass Assanges Leben heute gefährdet ist und ihm eine Auslieferung in die USA mit bis zu 175 Jahren Haft drohe. Mit Unverständnis reagierte Melzer auf das Verhalten des Auswärtigen Amtes. Bei einem Gespräch in Berlin sei ihm am Tag vor der Anhörung im Bundestag gesagt worden, dass man seine Berichte zum Fall nach wie vor nicht gelesen hat.

Auch Renata Ávila, Mitglied des Anwaltsteams von Julian Assange, übte scharfe Kritik an den britischen Behörden. „Im diesem Fall geht es im Grunde darum, dass das Gesetz als Waffe verwendet wird.“ Es sei gegen jede Logik, gegen jeden Sinn und Menschenverstand, wie mit dem WikiLeaks-Gründer in Haft verfahren wird, so Ávila. Obwohl sich Assange an alle Regeln halte, müsse er 22 Stunden am Tag in Einzelhaft verbringen.

DIE LINKE spreche sich angesichts der Verfolgung von Hinweisgebern für ein Whistleblower-Gesetz aus, das straf- und medienrechtlichen Schutz garantiert, so die medienpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Doris Achelwilm. Bei Repressalien müssten Whistleblower Anspruch auf Schadensersatz haben.

Heike Hänsel, Leiterin des Arbeitskreises Außenpolitik der Fraktion DIE LINKE, verwies auf die US-Tageszeitung New York Times, in der die Anklage gegen Assange nach dem US-Spionagegesetz als „Angriff auf das Herz des ersten Zusatzartikels der US-Verfassung“ bezeichnet wurde. Dieser Zusatzartikel schreibt eine Reihe von Grundrechten fest. Die Anklage in den USA zeige eine deutliche Verschärfung in den Bemühungen, Assange zu verfolgen und den Journalismus in den USA einzuschüchtern.

 

Warnsignale für den investigativen Journalismus

Es sei eine absurde Frage, ob WikiLeaks Journalismus betreibt oder Julian Assange ein Journalist ist, sagte der Chefredakteur der Enthüllungsplattform, Kristinn Hrafnsson. „Es macht mich wütend und beunruhigt mich, dass ich mich dafür verteidigen muss, was ich mache“, so der isländische Journalist. „Sind es die Täter, die entscheiden, ob wir Journalisten sind oder nicht?“, so Hrafnssons rhetorische Frage. Das würde auch bedeuten, „dass sie darüber entscheiden, was Nachrichten sind und was nicht.“

Der Geschäftsführer der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, betonte die Bedeutung des Falls Assange für den Journalismus. Mihr kritisierte die US-Staatsanwaltschaft, die Assange und anderen „Verschwörung zum Eindringen in Computer“ und die Veröffentlichung geheimer Regierungsdokumente vorhalte. Beide Anklagepunkte zielten auf Grundlagen journalistischer Arbeit, so Mihr, der sich entschieden gegen eine Auslieferung Assanges an die USA aussprach. „Eine Anklage aufgrund des Anti-Spionage-Gesetzes wäre eine klare Missachtung der Pressefreiheit.“

Cornelia Berger, Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di fand deutliche Worte: „Ich kann sagen, dass wir da an der Seite der Kolleginnen und Kollegen sind, um diese Auslieferung zu verhindern und Julian Assange vor weiteren Bedrohungen und Repressalien zu schützen.“

Der NDR-Journalist John Goetz bezeichnete es mit Blick auf die weltweite Verfolgung von Assange als „ungewöhnlich radikale Idee, wenn die US-Justiz meint, US-Gesetz im Ausland anwenden zu können.“ Die Zusammenarbeit von Wikileaks mit der New York Times, dem britischen Guardian und dem Spiegel, für den Goetz damals gearbeitet war, sei „ganz wesentlich gewesen“. Er stelle sich die Frage, was er anders gemacht habe, als Assange, dass er nicht verfolgt werde.

Der „Spiegel“-Journalist Michael Sontheimer kritisierte den Umgang führender Medien mit Assange: „Viele Kollegen hatten Assange als Verrückten und Paranoiker dargestellt, ohne ihn je gesehen zu haben.“ Dabei hätten sich alle Befürchtungen des WikiLeaks-Gründers vor drohender Verfolgung bewahrheitet. Was mit Julian Assange und Wikileaks seit Jahren passiere, habe nichts mit Strafverfolgung zu tun, sondern mit dem Krieg einer Supermacht gegen eine kleine Gruppe von unten.

 

Botschaften von Edward Snowden und Daniel Ellsberg

„Die Frage der Pressefreiheit ist die Grundlage aller freien und offenen Demokratien“, schrieb Edward Snowden in einer Grußbotschaft [PDF] aus seinem russischen Exil. Und zwar deshalb, weil die Zustimmung der Regierten und somit auch der Wahlvorgang nur dann einen Sinn haben könne, wenn dies nach fundierter Meinungsbildung geschieht. Der Feldzug gegen Whistleblower sei „der Startschuss zu einem neuen Krieg gegen den Journalismus“, so Snowden weiter: „Und wenn wir ihm nicht vor dem nächsten Schuss Einhalt gebieten, wird dieser Krieg nicht länger nur im Ausland geführt werden. Wenn Julian Assange, „der noch nie in den Vereinigten Staaten gelebt hat, gewaltsam in ein US-Gefängnis überstellt werden kann, weil er die Wahrheit veröffentlich hat, werden ihm bald weitere Journalistinnen und Journalisten folgen.“

Eine Auslieferung Assanges an die USA würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, kommentierte der US-Whistleblower Daniel Ellsberg in einer Videobotschaft an die Gäste in Berlin. Zugleich hätten seit dem 11. September 2001 selbst die großen Medienhäuser in den USA zunehmende Angst, geleakte Informationen zu veröffentlichen. Weder die New York Times noch die Washington Post hätten das Video veröffentlicht, das US-Kriegsverbrechen im Irak zeigte. Die Aufnahme sei später unter dem Titel Collateral Murder (Kollateralmord) von WikiLeaks publiziert worden. Es gehe dabei nicht nur um Journalismus, sondern um Zivilcourage, so Ellsberg.

Die Schlussworte kamen John Shipton zu. „Unsere große Aufgabe ist es, Julian zu befreien und Europa gegen ein Imperium zu einen, dass alles tut, um sich selbst auf Kosten anderer zu retten“, so Shipton, der noch einmal persönlich wurde. Er wünsche sich Freiheit für seinen Sohn, um dessen Leben er fürchte: „Ich möchte, dass Julian wieder mit seinem Kindern und seiner Familie zusammenkommt, um mit ihnen zu scherzen, so wie er es noch vor ein paar Jahren getan hat.“

27.11.2019: Kunstevent "Anything to say?" am Brandenburger Tor

Kunstaktion „Anything to say?“ am Brandenburger Tor

Vor der Anhörung im Deutschen Bundestag hatten der Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, Dietmar Bartsch, und die LINKE-Abgeordnete Sahra Wagenknecht am Brandenburger Tor das Monument „Anything to say?“ enthüllt. Die Bronzeskulptur des italienische Künstlers Davide Dormino zeigt Edward Snowden, Julian Assange und Chelsea Manning, die den Mut hatten, Nein zu sagen zur globalen Überwachung und zu Lügen, die zum Krieg führen – und sie ruft dazu auf, ebenfalls Mut zum Aufstehen zu haben.

Die drei haben „große Verdienste erworben und deshalb gebührt ihnen unsere Solidarität“, bekräftigte Dietmar Bartsch bei der Kundgebung vor der US-Botschaft. „Wenn es die Bundesregierung ernst meint mit einer wertegeleiteten Außenpolitik, dann muss sie sich ernsthaft einsetzen dafür, dass Julian Assange aus dem britischen Hochsicherheitsgefängnis in ein Universitätskrankenhaus verlegt wird, wie es die Ärzte fordern“, forderte Sahra Wagenknecht.