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Nazibiotop in Zwickau

Nachricht von Petra Pau,

Von Gerd Wiegel

 

Weitere zweieinhalb Stunden nicht-öffentliche Sitzung musste der NSU-Untersuchungsausschuss am 7.Juli 2016 mit der endlosen Geschichte der Handys und Kommunikationsmittel des Verfassungsschutzspitzels „Corelli“ vergeuden. Vorgestellt wurde ein Bericht des Ministerialdirektors Rupprecht, der vom Innenministerium beauftragt worden war, die Vorgänge im BfV zu untersuchen. Die von Rupprecht festgestellten Mängel – fehlerhafte V-Mann-Führung, keine Dokumentation der Ausgabe von Kommunikationsmittel an die V-Leute etc. – sind zum größten Teil schon seit dem ersten NSU-Ausschuss bekannt. Allein, dass BfV zeigt sich bis heute nicht willens oder in der Lage, diese Mängel abzustellen. Und hier käme man an den Kern des Problems, wollte man sich ihm denn wirklich nähern: Diese Fehler und Mängel liegen in Wesen und Logik der Dienste selbst, weshalb jeder Vorschlag für Reformen nur an Symptomen kratzt, ohne das Problem an der Wurzel zu packen. Die Logik des Geheimen steht transparenten, demokratischen Verhältnissen diametral entgegen und insofern verhält sich das BfV und verhalten sich seine Mitarbeiter entsprechen der Logik ihres Amtes.

23 Handys wurden inzwischen identifiziert, die für die Kommunikation von „Corelli“ und seinem V-Mann-Führer genutzt wurden. Welche davon nach welchen Kriterien tatsächlich ausgewertet wurden, ist nach wie vor unklar. Deutlich wurde nur, dass zuvor als nicht relevant eingestufte Handys sich als sehr wohl relevant herausstellten, wenngleich vom BfV weiter das Mantra vorgetragen wird, es gäbe keinerlei NSU-Bezug von „Corelli“. Entscheidend – und darauf machte Petra Pau vor der Presse aufmerksam – ist jedoch vielmehr die Frage, in welchem Naziumfeld sich „Corelli“ bewegt hat und ob er hier an Infos über den Verbleib des Trios hätte kommen können, ja müssen.

 

Nazibiotop in Zwickau

Diese Frage gilt in gleicher Weise für die andere Top-Quelle des BfV: „Primus“, alias Ralf Marschner. Auch die vierte Sitzung des PUA-NSU zum Komplex Marschner verdeutlichte, wie eng und verbunden die rechte Szene am Wohnort des Trios zwischen 2000 und 2011 war. Zwei Zeugen aus dem Umfeld von Marschner verdeutlichten das Beziehungsgeflecht im rechten Biotop in Zwickau. Jens Gützold, der sieben Jahre lang in der Polenzstraße in unmittelbarer Nachbarschaft zum Trio wohnte, will Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zwar nie bewusst gesehen haben, war aber mit Marschner zu Beginn der 2000er Jahre gut bekannt. Sobald die Rede jedoch auf das enge Umfeld des Trios kam, so bei der Frage nach Susann Eminger, wies der Zeuge jede Kenntnis zurück. Anders der zweite Zwickauer Zeuge, Sebastian Rauh. Mit gutem Erinnerungsvermögen konnte er eine Reihe von Leuten aus dem Umfeld Marschners und auch des Trios benennen, die sich in dieser Zeit in der rechten Szene der Stadt bewegten. So sei auch Jan Werner, der mit der Waffenbeschaffung des Trios in Verbindung gebracht wird, häufig im Laden von Marschner gewesen, da die beiden geschäftliche Verbindungen gehabt hätten.

Letzter Zeuge des Tages war der BKA-Beamte Grimm, der im Rahmen der EG-Ceska schon 2004 mit der Mordserie befasst war und später auch im Rahmen der EG-Trio an den Ermittlungen beteiligt war. Geladen hauptsächlich da er auch zu Marschner ermittelt hat, wurde der Zeuge Grimm zu zahlreichen Komplexen des NSU-Falls befragt. Bezogen auf Marschner und die damaligen Erkenntnisanfragen an das BfV zu Marschner fand es der Zeuge zunächst nicht ungewöhnlich, dass sich das Amt mehr als drei Wochen Zeit für die Antwort ließ und dann wenig Erhellendes zu berichten wusste. Ohne Zweifel seien die Mitteilungen der sächsischen Polizei zu Marschner qualitativ besser gewesen. Zur Frage wann und wie er von der V-Mann-Tätigkeit Marschner erfahren habe, wollte sich Grimm in öffentlicher Sitzung nicht äußern, deutlich wurde nur, dass das BKA darüber zunächst nicht informiert war.

Ein kurzes Revival erlebte die Diskussion zur zentralen Frage des 1. PUA-NSU aus der letzten Legislaturperiode, warum die Polizei über Jahre das Motiv Rassismus und Rechtsextremismus als Hintergrund der Mordserie ausgeblendet habe. Auch Grimm war ab 2004 an den Ermittlungen beteiligt, die systematisch in die falsche Richtung und vor allem im Umfeld der Opfer geführt wurden. Geschockt sei er gewesen, als er den tatsächlichen Tathintergrund gehört habe. Dann verstieg er sich jedoch zu der Behauptung, ab 2006 sei lange und intensiv auch zu einer möglichen rechten/rassistischen Tatmotivation ermittelt worden. Damit bezog er sich auf die kurze, nur zwei Monate dauernde Phase, als die Ermittler aus Bayern eine Fallanalyse einholten, die eben eine solche rechte/rassistische Tatmotivation nahelegte. Anscheinend hat sich diese Randepisode der Ermittlungen zur Ceska-Mordserie heute als Legitimation der Ermittler festgesetzt, man habe doch auch in Richtung recht ermittelt. Dass diese Ermittlungen damals gerade vom BKA als „Kaffeesatzleserei“ denunziert und mit einer neuen Fallanalyse schnell beiseite geräumt wurden, scheint dagegen in Vergessenheit geraten zu sein.

Der NSU-Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit am 8. September 2016 fort und wird dann u.a. den V-Mann-Führer von Ralf Marschner als Zeugen hören.