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Nachlässige Ermittlungen

Nachricht,

Von Gerd Wiegel

 

Die Rolle von Ralf Marschner, der als V-Mann „Primus“ bis 2002 für das Bundesamt für Verfassungsschutz gespitzelt hat, war auch in der 23. Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses Thema der Zeugenvernehmung. Wie bereits eine Woche zuvor wurde die zentrale Rolle Marschners in der Zwickauer Naziszene deutlich und zahlreiche Indizien und Zeugenaussagen sprechen dafür, dass Marschner die Anwesenheit des Trios in Zwickau nicht verborgen geblieben sein kann und zwar bereits zu der Zeit, als er noch für das Bundeamt für Verfassungsschutz (BfV) in Diensten war. Wäre dem so, dann würden sich sehr unangenehme Fragen an das BfV ergeben, aber der zentrale Zeuge des Tages, Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten, der u.a. die Anklage gegen die Beschuldigten im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht in München vertritt, tat alles, um das BfV aus der Schusslinie zu nehmen.

Als erster Zeuge wurde jedoch Kriminaloberrat a.D. Klaus Böttrich gehört, der das Polizeirevier in Werdau leitete und dienstlich mehrfach mit Marschner zu tun hatte. Am 4. Dezember 2011 hatte sich Böttrich bei der BAO Trio gemeldet und mit Bezug auf einen aktuellen Pressartikel über Marschners Rolle in Zwickau berichtet. Dabei erwähnte Böttrich die mehrfachen Hausdurchsuchungen bei Marschner, bei denen die Polizei aber immer den Eindruck hatte, dass dieser „gut vorbereitet war“, weshalb der Verdacht aufkam, Marschner müsse für ein LfV oder das BfV arbeiten. Außerdem habe Marschner in Plauen Immobilien in teuren Wohnlagen besessen.

Marschner schon ad acta gelegt

Während also die Polizei in Sachsen sehr wohl die schützende Hand des Verfassungsschutzes im Fall Marschner bemerkte, führte Oberstaatsanwalt Weingarten aus, dass die Frage nach Marschners V-Mann-Tätigkeit für den Generalbundesanwalt (GBA) nicht ermittlungsrelevant sei. Einzig die Frage nach Schuld und Beteiligung sei relevant, die jedoch bezogen auf Marschner vom GBA bis heute negativ beantwortet wird. Ausgelöst durch den aktuellen Hinweis eines Zeugen, Uwe Mundlos habe 2001 in der Baufirma von Marschner gearbeitet, muss sich die Anklage noch einmal mit einem Fall befassen, den man offensichtlich schon ad acta gelegt hatte. Während eine ganze Reihe von Zeugenaussagen ein Kennverhältnis und einen Kontakt von Marschner und dem Trio nahelegen, werden diese Aussagen von Seiten des GBA bezweifelt. So gab es nach 2011 den Hinweis auf ein Fußballturnier 1998, bei dem Marschner zusammen mit Mundlos und Bönhardt gesehen wurde. Ein anderer Zeuge will Beate Zschäpe häufig im Laden von Marschner gesehen haben. Ein Zeuge aus der Baufirma gibt an, Mundlos und Böhnhardt hätten dort 2001 gearbeitet und schließlich gibt ein Zeuge aktuell an, Mundlos als Mitarbeiter der Baufirma gesehen zu haben.

An einzelnen Aussagen gibt es berechtigte Zweifel, andere wiederum schienen zumindest der Mehrheit der Abgeordneten im PUA glaubwürdig. Aus Sicht des Zeugen Weingarten ist jedoch einzig die Frage nach einer möglichen Beihilfe zu den Taten von Ermittlungsrelevanz. Hier geht es um die Autoanmietungen durch die Baufirma von Marschner, bei der es Übereinstimmungen mit Tattagen des NSU gibt. Aus Sicht von Weingarten wurden diese Ermittlungsrelevanz durch die Zeugenaussagen der Mitarbeiter der Baufirma überprüft, die mit einer Ausnahme den im Raum stehenden Verdacht negierten. Auch Weingarten räumte ein, dass es sich fast durchweg um Nazikameraden von Marschner handelte, während der einzige Zeuge, der Mundlos und Böhnhardt gesehen haben will, eben gerade nicht aus dieser Szene kommt. Dennoch könne er diese Aussagen der Zeugen nicht alle ignorieren. Erstaunlich blieb, dass Weingarten auf Frage von Petra Pau einräumen musste, dass von Seiten des BKA nur eine Autovermietung, über die Marschner Autos bezog, systematisch überprüft worden sei, andere dagegen nicht.

Die Aufklärung der Taten des NSU, ihres Umfelds und des gesamten Unterstützerkreises ist längst nicht mehr im Fokus des GBA, das wurde in der Vernehmung deutlich. Zwar wurde von Weingarten bei diesen Frage immer auf das anhängige Strukturermittlungsverfahren verwiesen, konkrete Schritte wurden hier jedoch nicht deutlich. Ganz im Gegenteil: Ein detailliertes Ermittlungskonzept des BKA zu Marschner aus dem Jahr 2013 wurde offenbar niemals abgearbeitet, weil man nach der vermeintlichen Klärung der Autoanmietungen den Komplex Marschner nicht mehr für relevant hielt. Die Frage aber, ob ein V-Mann des BfV ein Kennverhältnis zum abgetauchten Trio in Zwickau hatte, ob er das Trio gar aktiv unterstützte (z.B. durch Beschäftigungsmöglichkeiten), ob über diesen V-Mann das BfV schon frühzeitig Kenntnis vom Aufenthaltsort des Trios hätte haben müssen oder diese Kenntnis womöglich sogar hatte aber damit nichts anfing – all diese Fragen sollen anscheinend für immer versenkt werden.

Die Szene kannte sich in Zwickau

Als dritter Zeuge und Sachverständige wurde der Sozialarbeiter Jörg Banitz aus Zwickau gehört, der Marschner und die rechte Szene seit den frühen neunziger Jahren aus eigener Anschauung kennt und die lokale Szenerie sehr gut beschreiben konnte. Es gäbe Hinweise, dass das Trio 2004 bei einem Fest der rechten Szene in Zwickau anwesend gewesen sei. Der innere Kreis dieser rechten Szene in Zwickau habe einen engen Kontakt gehabt und Banitz hielt es für völlig unwahrscheinlich, dass man hier nicht über die Anwesenheit des Trios Bescheid wusste. Dass Marschner über sechs Jahre lang nichts vom Trio in Zwickau gewusst haben könnte, sei komplett unwahrscheinlich.

Die nächste Sitzung des PUA-NSU findet am 23. Juni 2016 statt und wird vor allem Mitarbeiter_innen aus der Baufirma von Ralf Marschner als Zeugen hören.

linksfraktion.de, 13 Juni 2016