Azize Tank wurde über die Berliner Landesliste neu in den Bundestag gewählt. Ihr Wahlkreis ist Tempelhof-Schöneberg. Im Interview stellen wir sie vor. Foto: Katina Schubert
Azize Tank, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl in den Deutschen Bundestag. Während der nächsten vier Jahre werden Sie in der Fraktion DIE LINKE die Interessen der Menschen vertreten. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Ich möchte dabei mithelfen, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung Gehör finden und in neuen Formen partizipativer Demokratie auch durchsetzbar werden. Die von allen Parteien, die jetzt in den Bundestag gewählt wurden, im Wahlkampf propagierte „soziale Gerechtigkeit“ ist von der LINKEN mit Inhalt und konkreten weiter führenden Forderungen verbunden worden. Diese müssen jetzt gemeinsam erkämpft werden – im Parlament, in öffentlichen Debatten, mit Gewerkschaften, Initiativen und auf der Straße; sie sind in neuen Gesetzen fest zu schreiben.
Immer mehr Menschen in Deutschland werden ihre Rechte auf Bildung, Wohnen, soziale und politische Teilhabe verweigert. Die Agenda 2010, die Hartz-Gesetze, die Ausdehnung von Leiharbeit und Niedriglohn, faktische Renten- und Lohnkürzungen haben zu mehr Armut und Wohnungsnot in Deutschland geführt – und gleichzeitig die Superreichen immer reicher gemacht.
„Mit Leidenschaft für soziale Menschenrechte und Partizipation“ - das war mein Motto für die Bundestagswahl: Das Auseinanderdriften von Arm und Reich in Deutschland, die angeblich „alternativlose“ Sparpolitik, der rechte Terror gegen Migrantinnen und Migranten und der wachsende Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft – diese Entwicklungen gefährden unsere Demokratie. Gemeinsam dagegen Aufstehen - nicht nur Demonstrationen gegen Neo-Nazis, sondern immer, wenn es gilt, soziale und demokratische Rechte zu verteidigen und für eine Gesellschaft der Teilhabe und Akzeptanz zu streiten – das ist notwendiger denn je.
Welche konkreten Vorhaben wollen Sie in die politische Arbeit einbringen?
Ich möchte im Ausschuss „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ mitarbeiten und dort vor allem die Interessen der Seniorinnen und Senioren – immerhin die Hälfte der Bevölkerung – zu Gehör bringen: Meine Utopie mit 63 Jahren: das Leben auch im Alter durch eine breite gesellschaftliche "Altersrevolte" lebenswert, erotisch und sexy zu machen, neue Formen von Zusammenarbeit und -leben von Generationen, Kulturen und Religionen zu finden und erfinden.
Das zweite Vorhaben: Die sozialen Menschenrechte, die bereits im UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen (WSK-Rechte) von 1966 enthalten sind, müssen endlich auch in Deutschland durchgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist die Ratifizierung des Fakultativprotokolls zu diesem UN-Pakt und die Umsetzung in gültiges Recht, d.h. auch eine Änderung des Grundgesetzes. Mit dem im Fakultativprotokoll vorgesehenen Verfahren können sich Menschen, die sich in ihren sozialen Menschenrechten verletzt sehen, nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel an die Vereinten Nationen wenden. Die Möglichkeit einer solchen Individualbeschwerde ist für Menschen, die in Deutschland leben, aber solange versperrt, bis auch Deutschland das Fakultativprotokoll unterzeichnet und ratifiziert und die sozialen Menschenrechte in nationales Recht umgesetzt hat. Obwohl Deutschland die Entstehung und Verabschiedung des Fakultativprotokolls 2008 in der UNO unterstützt hat, wird der Ratifizierungsprozess in Deutschland nicht weiter betrieben.
Dafür will ich mich im Bundestag einsetzen, die Gesellschaft sensibilisieren und MitstreiterInnen gewinnen.
Auf welche persönlichen Erfahrungen können Sie dabei zurückgreifen?
Nach fast 20 Jahren Tätigkeit als Migrantenbeauftragte von Charlottenburg-Wilmersdorf arbeite ich heute ehrenamtlich für Initiativen, und bin Vorstandsmitglied der Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation. Ich war und bin in der Frauen- und Friedensbewegung, gegen Hartz IV, die Rente ab 67 gegen Krieg und militärische Auslandseinsätze aktiv.
Sie sind die erste Abgeordnete aus West-Berlin, die in einer LINKEN Bundestagsfraktion sitzt. Welche Rolle spielt das für Sie?
Sitzen? Wer mich kennt, weiß: Ich kann nicht einfach still sitzen, sondern werde aufstehen für die Interessen aller Berliner. Ich bin im Bundestag nicht nur für Berlinerinnen und Berliner, sondern bin eine der Vertreterinnen der gesamten Bevölkerung. Ich möchte gerne Stimme sein für Minorisierte, für Menschen, die nicht wie ich die Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen, für Menschen, denen die Teilhabe nicht ermöglicht oder verweigert wird, und ich kann dies nur mit ihnen gemeinsam.
Auch wenn mein Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg im Westen Berlins ist: Ich bin nicht nur die erste LINKEN-Abgeordnete aus „West-Berlin“, sondern auch Frau, Migrantin und lebe seit Jahren auch gerne in Ost-Berlin.
Politik ist in der Regel ein langwieriges Geschäft. Dennoch: Welche drei Dinge möchten Sie heute in vier Jahren erledigt sehen?
Dass
- die Rente mit 67 abgeschafft ist und die Menschen im Alter nicht in Armut, sondern menschenwürdig leben können;
- die sozialen Menschenrechte in Deutschland eingeführt und gesetzlich verankert sind;
- konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des strukturellen und institutionellen Rassismus umgesetzt, die Geheimdienste abgeschafft und Chancengleichheit und Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen eingeführt sind.
Ob das in vier Jahren zu schaffen ist, hängt vor allem davon ab, wie viele MitstreiterInnen wir mobilisieren können…
linksfraktion.de, 1. Oktober 2013