Von Sigrid Hupach, kulturpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Im Zuge des digitalen Wandels verändert sich gerade das, was wir unter Arbeit verstehen. Neben der noch immer großen Gruppe Erwerbstätiger arbeiten immer mehr Menschen in geringfügigen oder befristeten Beschäftigungsverhältnissen, es gibt eine wachsende Anzahl von Selbstständigen und immer mehr Menschen, die abwechselnd abhängig beschäftigt oder selbstständig arbeiten. Teils aus freier Entscheidung und teils, da immer mehr betriebliche Aufgaben in Form von kleinen Aufträgen ausgelagert werden. Kurzeitige Werkverträge und Scheinselbstständigkeit sind hier ein wachsendes Problem.
Viele erzielen nur geringe Einkommen
Gerade die Solo-Selbstständigkeit wird häufig mit „unfreiwilliger“, „abhängiger“ oder gar „prekärer“ Selbstständigkeit in Verbindung gebracht und konstituiert sich mit einer weiten Spannbreite von Branchen und Berufsfeldern: Die „neuen“ Selbstständigen sind IT-Expert*innen, Unternehmensberater*innen und Clickworker*innen, Journalist*innen, Grafikdesigner*innen, im Bildungsbereich oder in der häuslichen Pflege tätig.
Viele dieser „neuen“ Selbstständigen verfügen über wenig Betriebskapital und erzielen ihren Erwerb analog zu den abhängig Beschäftigten aus dem Verkauf ihrer Arbeitskraft. Viele erzielen nur geringe Einkommen. Ein Teil muss sein Einkommen durch ergänzende Leistungen nach SGB II aufstocken.
Welche Folgen hat das? Ein Beispiel:
Frau K. arbeitet als selbstständige Journalistin in Berlin. Sie kann sich ihre Arbeitszeit einteilen, kann von zu Hause aus arbeiten und ist auch ihre eigene Chefin. Das hat durchaus Vorteile. Aber: Ihre Auftragslage schwankt. Neben Zeiten mit mehreren Aufträgen gleichzeitig gibt es auch Zeiten, in denen Aufträge ganz ausbleiben. Der steigende Konkurrenzdruck drückt zudem die Honorare von Frau K., und immer wieder bemerkt sie, dass männliche Kollegen für gleiche Leistung besser entlohnt wurden.
Die Ausgaben von Frau K. aber bleiben: Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung müssen bezahlt werden, auch wenn sie keine Einnahmen hat. Entlastung bietet ihre Mitgliedschaft in der Künstlersozialversicherung, unproblematisch ist aber auch diese – gerade für neue Berufs- und Tätigkeitsfelder – nicht und keine Garantie für eine auskömmliche Rente im Alter. Wenn Frau K. eine Familie gründen würde oder längere Zeit erkrankt, würden ihre Einnahmen kaum ausreichen bzw. ganz ausbleiben.
Mehr als zwei Millionen Solo-Selbständige
Viele Solo-Selbstständige kennen die Probleme aus diesem Beispiel nur zu gut. Laut Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage „Soziale Lage und Absicherung von Solo-Selbstständigen“ (Drucksache: 18/10762) gab es 2015 in Deutschland knapp 4,2 Millionen Selbstständige, davon waren 2,3 Millionen Solo-Selbstständige.
Hinzu kommt: Rund drei Millionen Selbstständige sind nach Angaben der Bundesregierung nicht obligatorisch abgesichert. Die Mehrzahl der Selbstständigen unterlag 2014 keiner gesetzlichen Verpflichtung zur Altersvorsorge. Besonders betroffen sind hier – wie auch in anderen Bereichen – die Frauen. Der Anteil der selbstständigen Frauen ist in den letzten Jahren gestiegen, zwei Drittel von ihnen arbeiten als Solo-Selbstständige, mit den entsprechenden Konsequenzen für das erzielte Einkommen und die spätere Rente. Bei den Männern sind es „nur“ 50 Prozent.
DIE LINKE debattiert aus diesem Grund seit einiger Zeit über branchenspezifische Mindesthonorare, damit auch dieser Personenkreis von seiner Arbeit leben und in die Sozialversicherungssysteme einbezogen werden kann.
Wider die Tagelöhnerei, für Mindesthonorare
Dabei stellen sich eine ganze Reihe von Fragen. Zum Beispiel: Wie muss ein Mindesthonorar konkret aussehen? Braucht es Mindestsätze für bestimmte Auftragsleistungen oder pro Stunde, analog zum Mindestlohn? Wie sollen diese Sätze berechnet werden und von wem? Wer überprüft deren Einhaltung? Wären solche Regelungen ein rechtmäßiger Eingriff in die Vertragsfreiheit?
Auch wir haben noch keine definitiven Antworten auf diese Fragen. Doch wir halten eine gesellschaftlich breite und branchenübergreifende Debatte für geboten. Aus diesem Grund laden wir am 10. März 2017 zu einem öffentlichen Fachgespräch in den Bundestag ein: Thema „Digitale Tagelöhner – Mindesthonorare für Solo-Selbstständige“. Im Gespräch mit den Expert*innen und dem Publikum möchten wir Lösungen und Ansätze für unser weiteres politisches Vorgehen finden.