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Lückenhafte Wahrnehmung – Politisch motivierte Kriminalität (PMK) rechts

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Am 23. Januar 2022 werden mehrere Schüsse auf Gläubige vor dem muslimischen Gemeindezentrum in Halle/Saale abgegeben. Verletzt wird niemand aber der Schreck sitzt allen in den Gliedern, zumal es nicht das erste Mal ist, dass auf Menschen im Gemeindezentrum geschossen wird. Die Schüsse werden mit einem Luftdruckgewehr aus einer benachbarten Wohnung abgegeben, wie die Polizei bald ermittelt. Was für unbefangene Beobachter:innen nach einem rassistisch motivierten Anschlag aussieht, wird von der Polizei ganz anders bewertet: „Ein fremdenfeindliches Motiv hat sich bisher nicht bestätigt“, so heißt es von Seiten der Behörde. Der 55-Jährige Schütze sei bisher auch nicht mit politischen Straftaten aufgefallen. Kommt die Polizei nicht zu einer anderen Einschätzung, dann wird der Fall niemals seinen Weg in die Statistik „Politisch Motivierte Kriminalität“ (PMK) finden.

Was ist die Statistik "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK)  

Die PMK-Statistik dient der Polizei dazu, politisch motivierte Taten von Fällen der Allgemeinkriminalität zu unterscheiden. Sie ist ein Instrument zur Einschätzung, ob und in welchem Maße politische Überzeugungen mit strafbaren, also kriminellen Mittel verfolgt werden. In Deutschland unterliegt die Einschätzung politisch motivierter Kriminalität dem vorherrschenden Extremismusansatz. Demnach unterscheidet sich der politische Raum zwischen einer legitimen Mitte mit linken und rechten Rändern und einem illegitimen Extremismus links und rechts. Hinzu kam recht früh mit dem sogenannten „Ausländerextremismus“ eine tendenziell rassistische Komponente, wurde doch hier vordergründig das „Ausländer sein“ und nicht die politische Ausrichtung zum Kriterium (heute aufgeteilt in „ausländische Ideologie“ und „religiöse Ideologie“). Politisch motivierte Kriminalität kann mit dieser Grundausrichtung nur an den extremen Rändern vorkommen. Bestechung, Vorteilsnahme etc. der etablierten Politik können nicht in der PMK-Statistik erfasst werden.

Dafür soll sie die Möglichkeit bieten, die Kriminalitätsbereitschaft politischer „Extremisten“ abzubilden, um z.B. den Anstieg rechter Gewalt dokumentieren zu können. Dafür müsste die politische Motivation von Gewalt und anderer Straftaten korrekt erfasst werden, wovon aber keineswegs immer die Rede sein kann.

Zweifelhafte Einordnungen

In München erschießt David S. im Sommer 2016 im Olympia Einkaufszentrum in München neun Menschen. Fast alle Opfer haben einen Migrationshintergrund und über die rassistische Einstellung des Täters wird berichtet. Trotzdem wird der Fall über drei Jahre lang nicht als politisch motiviert bewertet und taucht in der PMK-Statistik nicht auf. Nur beharrliche Recherche zum Fall und die ständige Nachfrage durch Politikerinnen wie Martina Renner führen dazu, dass der Fall 2019 endlich doch als PMK-rechts eingruppiert wird.

Unabhängige Recherchen von Journalist:innen haben für die ZEIT mehr als 180 Todesfälle durch rechte und rassistische Gewalt seit 1990 dokumentiert. Von den Behörden und der Politik werden aber nur 106 dieser Fälle als politisch motiviert anerkannt, der Rest fällt aus der offiziellen PMK-Statistik heraus. Nicht zuletzt aufgrund diese großen Diskrepanz zwischen erfassten und tatsächlichen Vorfällen, fragt die Fraktion DIE LINKE seit vielen Jahren regelmäßig Zahlen zu den verschiedenen Ausformungen rassistisch und/oder extrem rechts motivierter Straftaten ab. Petra Pau etwa fragt die Bundesregierung monatlich nach der aktuellen Entwicklung im Bereich PMK-rechts und die Zahlen sind über eine lange Reihe von Jahren nachverfolgbar.

So kann es antifaschistischer Recherche in Verbindung mit parlamentarischen Anfragen gelingen, markante Lücken in der eingeschränkten staatlichen Wahrnehmung rechter Taten offen zu legen. Denn die Verharmlosung und Entpolitisierung rechter Gewalt hat eine lange Tradition in Deutschland, was gerade bei einer Eingangsstatistik wie der PMK, bei der es stark auf die Bewertung der den Fall aufnehmenden Polizei ankommt, von hoher Bedeutung ist. Die Weigerung, rassistische und extrem rechte Motive bei den NSU-Morden auch nur in Erwägung zu ziehen, ist nur die Spitze des Eisbergs.

Beim eingangs erwähnten Schützen aus Halle/Saale fehlte nicht der häufig gemachte Hinweis der Polizei, es lägen zur Person keine Erkenntnisse zu Mitgliedschaften oder Bezügen zur Naziszene vor. Damit tappen die Behörden regelmäßig in die selbstgestellte Extremismusfalle und offenbaren ein antiquiertes Bild der Naziszene. Rassismus, völkischen Denken und Naziideologie generell können demnach nur von nachweislichen Mitgliedern der Szene vertreten werden. Spätestens seit der massiven Welle rassistischer Anschläge 2015 ff. hat sich das als Unsinn erwiesen. Rassismus gibt es bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein und die Bereitschaft, das auch in die Tat umzusetzen, hat sich stark verbreitert. Zum anderen organisiert sich die Naziszene heute anders. Persönliche Kennverhältnisse, Radikalisierung im Netz aber auch die Tarnung unter einer bürgerlichen Oberfläche spielen eine größere Rolle. So kann aus einem honorigen Zirkel von Reservisten schnell der Kern einer potenziellen rechten Terrorgruppe werden. Wenn dann noch in Teilen der Polizei selbst ein unklares Verhältnis zur extremen Rechten besteht, dann ist Verharmlosung und Unterschätzung der Gefahr von rechts Tür und Tor geöffnet.

Aktuelle Entwicklung

Wenn Innenministerin Nancy Faeser hier gegensteuern will, dann begrüßen wir das und warten die konkreten Taten ab. Die aktuelle Bewertung und Einordnung der Straftaten aus dem Spektrum der sogenannten Querdenker in der PMK-Statistik weist jedoch in eine falsche Richtung und setzen den Trend zur Unterschätzung der Gefahr von rechts eher fort.

Der am Jahresanfang 2022 verkündete massive Anstieg der PMK ist vor allem auf Straftaten aus diesem Spektrum zurückzuführen. Nun ist die Querdenken-Szene nicht 1:1 mit der Naziszene gleichzusetzen aber verbindende Ideologiemomente entstammen eindeutig der extremen Rechten: antisemitisch aufgeladene Verschwörungserzählungen, die Diskreditierung demokratischer Institutionen und eine sozialdarwinistische Vorstellung von Gesundheitspolitik. Nicht umsonst sieht die extreme Rechte von der AfD bis zu den Reichsbürgern hier ein lohnendes Feld der politischen Beeinflussung.

Während die Polizei aber diese Fälle in der Kategorie „PMK-nicht zuzuordnen“ fasst, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bereits im letzten Jahr eine neue Kategorie unter der Bezeichnung „Verfassungsschutzrelevante Diskreditierung des Staates“ geschaffen. Beides ist untauglich und führt im Ergebnis dazu, die Gefahr von rechts nicht adäquat abzubilden.

Die PMK-rechts-Statistik bildet die Gefahren durch die extreme Rechte nicht realitätsgetreu ab. Die Dunkelziffer, da sind sich alle Expert:innen einig, ist sehr hoch. Extremismusansatz, Verharmlosung und Analysefehler der Behörden tragen zu dieser Fehlentwicklung bei. Dennoch ist es wichtig, durch parlamentarische Anfragen immer wieder die Erkenntnisse und Lücken der Behörden öffentlich zu machen und sie mit antifaschistischer Recherche abzugleichen.