Immer wieder machen Geschichten vom sogenannten "Land Grabbing" Schlagzeilen in den Medien. Unlängst wurde auch der Deutschen Bank vorgeworfen, Unternehmen zu unterstützen, die sich mit zweifelhaften Methoden Land aneignen. Sind das nur Einzelfälle? Oder steckt dahinter Methode? Wer ist davon betroffen? Und mit welchen Folgen?
Was ist unter dem Begriff "Land Grabbing" (Landraub) zu verstehen?
Obwohl es natürlich schon immer Fälle gegeben hat, wo Menschen von ihrem eigenen Land vertrieben wurden, lässt sich seit cirka zehn Jahren ein neues Phänomen beobachten: Land Grabbing oder Landraub. Es beschreibt die Aneignung riesiger Ländereien durch internationale Konzerne. Mit Kauf- oder Pachtverträgen über 99 Jahre sichern sich Investoren große Landflächen, die sie entweder nach dem Modell der industriellen Landwirtschaft nutzen oder als reine Spekulationsobjekte brachliegen lassen. Der Landraub hat inzwischen eine Dimension von über 203 Millionen Hektar weltweit erreicht – eine Fläche von der Größe Westeuropas! Auf vielen Flächen befinden sich außerdem Wasserreservoirs oder es wird durch intensive Landwirtschaft verstärkt auf die Wasserressourcen der Region zurückgegriffen, weshalb Land Grabbing oft mit Water Grabbing einhergeht.
In welchen Regionen der Welt wird Landraub betrieben?
Überall. Doch hängt der Besitzerwechsel natürlich stark vom rechtlichen Schutz derer ab, die das Land nutzen. Kleinbäuerinnen und -bauern verfügen oftmals nicht über formale Landbesitztitel. Fischerinnen und Fischer sowie Pastoralistinnen und Pastoralisten (halbnomadisch lebende ViehzüchterInnen) sind am stärksten betroffen, weil ihre natürlichen Ressourcen häufig Gemeinschaftsgüter sind, die sie nur schwer gegenüber dem Zugriff durch internationale Konzerne schützen können. Wenn man die Weltregionen miteinander vergleicht, fällt auf, dass der afrikanische Kontinent mit über 750 Land Deals die attraktivste Region ist. Das Gros der Investitionen ist auf elf Länder weltweit konzentriert, davon sieben in Afrika – Sudan, Äthiopien, Mosambik, Tansania, Madagaskar, Sambia und Demokrat. Rep. Kongo – und drei in Südostasien – Philippinen, Indonesien, Laos.
Wie sieht die Situation in Europa und Deutschland aus?
Auch in Europa und Ostdeutschland vollzieht sich der Aufkauf und Pacht von Agrarflächen durch internationale Konzerne. Weil die Bodenmärkte innerhalb der EU ungleichmäßig und die Bodenpreise noch nicht angeglichen sind, gibt es ein starkes Gefälle zwischen West- und Osteuropa. Die Ukraine ist am stärksten von Landraub betroffen, aber auch in Rumänien, Litauen, Bulgarien oder Ostdeutschland lässt sich Land Grabbing feststellen. Die sozialistisch geprägten Agrarstrukturen Osteuropas bieten eine Voraussetzung, um über Kauf oder Kapitalbeteiligung an Großbetrieben den Einstieg in die Pacht beziehungsweise in den Kauf von Agrarflächen zu bekommen. Dazu kommen in Ostdeutschland die öffentlichen Ausschreibungen landwirtschaftlicher Flächen durch die bundeseigene BVVG (BodenVerwaltungs- und VerwertungsGesellschaft), die die in staatlichen Besitz übergegangenen Bodenreformflächen privatisiert. Durch die Ausschreibungen der BVVG wurde die Aufmerksamkeit auf den Boden- und Pachtmarkt in Ostdeutschland international gesteigert.
Wer betreibt den Landraub und wer finanziert ihn?
Die wichtigsten Akteure sind Agrarunternehmen, Finanzinvestoren und die Regierungen. Häufig werden in direkten Gesprächen zwischen internationalen Konzernen oder ihren Tochterunternehmen mit den Regierungen in den entsprechenden Ländern die Land Deals verhandelt. Um überhaupt ausländische Investitionen anzuziehen, verhökern viele Regierungen ihr Land geradezu: Pachtpreise von ein US-Dollar pro Hektar und Jahr sind keine Seltenheit. Ein Beispiel aus Deutschland liefert der Fall der Kaffeegruppe Neumann, deren Tochterfirma Kaweri Coffee Plantation in Uganda Land für den Anbau von Kaffee gepachtet hat und in deren Folge 2000 Menschen gewaltsam von der ugandischen Armee von ihrem Land vertrieben wurden. Obwohl die Vertriebenen bereits im Sommer 2002 eine Klage eingereicht haben, hat sich die Neumann Gruppe bisher geweigert, als Mutterkonzern Entschädigungen für die Vertreibung zu zahlen. Das über zehn Jahre verschleppte Verfahren wurde in April 2013 vom Obersten Gerichtshof in Uganda aufgenommen und die Investoren zu elf Millionen Entschädigungszahlungen verurteilt.
Die zehn Länder, aus denen die meisten Investoren kommen, sind die USA, Malaysia, das Vereinigte Königreich, China, die Vereinigte Arabische Emirate, Südkorea, Indien, Australien und Kanada.
Doch auch die Finanzwelt hat die Landwirtschaft entdeckt. So hat die Investmentgesellschaft der Deutschen Bank, DSW, beispielsweise mehrere Agrarinvestitionsfonds aufgelegt, mit denen sie sich über Beteiligungen an Agrarunternehmen am Landraub beteiligt.
Welche Folgen hat Landraub für die lokale Bevölkerung?
Bei den direkten Verhandlungen bleibt die lokale Bevölkerung außen vor. Ungefragt und rücksichtslos werden Menschen schlimmstenfalls sogar gewalttätig von ihrem angestammten Land vertrieben. Entschädigungszahlungen gibt es höchst selten. Den Menschen bleibt dann nur, sich als SaisonarbeiterInnen auf ihrem ehemals eigenen Land einen Hungerlohn zu verdienen oder in die nächstgrößere Stadt zu ziehen – meistens ohne Aussicht auf eine Arbeit und ein neues Zuhause. Landraub führt deshalb zu Hunger und Armut.
Was haben die politisch Verantwortlichen bislang dagegen unternommen?
Durch die mediale Berichterstattung und die zahlreichen Berichte von Nichtregierungsorganisationen ist das Phänomen auf die politische Tagesordnung gekommen. Auch der Bundesregierung ist durch Anträge und Anfragen der Opposition das Problem inzwischen bekannt. Doch bleiben die Gegenmaßnahmen sehr verhalten. Lediglich zur Mitarbeit an freiwilligen internationalen Richtlinien war die Bundesregierung bisher bereits. Diese so genannten "Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern" sind zwar inzwischen von den Vereinten Nationen beschlossen, doch fehlt es ihnen an politischer Schlagkraft. So können Unternehmen und Staaten freiwillig entscheiden, ob und inwiefern sie diesen Leitlinien folgen wollen.
Was unternimmt DIE LINKE gegen Land Grabbing?
DIE LINKE setzt sich für die vollständige Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung ein und eine der wichtigsten Voraussetzungen hierfür stellt der gesicherte Zugang zu Land und Wasser dar. DIE LINKE hat Landraub wiederholt zum Thema gemacht und bereits im Oktober 2010 im Bundestag einen eigenen Antrag zur Verhinderung von Landraub gestellt. Eine der zentralen Forderungen ist, dass der menschenrechtlichen Prüfung und der Ernährungssouveränität Priorität vor Konzerninteressen eingeräumt werden muss. Daneben hat die DIE LINKE im September 2012 auch ein Importverbot von Biomasse für die Kraft- und Brennstoffproduktion gefordert, weil die Beimischungsquoten der EU zu einem enormen Anstieg des Energiepflanzenanbaus in den Ländern des Südens geführt hat und damit E10 in Deutschland zu Landraub anderswo führt.
In Deutschland setzt sich die LINKE für einen Stopp der BVVG-Verkäufe von landwirtschaftlichen Flächen ein, um für eine Entspannung am Bodenmarkt zu sorgen. Noch immer finden die umfangreichsten Landverkäufe und Betriebsübernahmen in Ostdeutschland statt.
linksfraktion.de, 28. Mai 2013