Klimakrise und Corona-Pandemie: Lorenz Gösta Beutin spricht im Interview mit linksfraktion.de über Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden globalen Krisen. "Die lebensbedrohliche Gefährlichkeit der Klimakrise muss endlich voll und ganz anerkannt werden", sagt der Klima- und Energiepolitiker der Linksfraktion und Co-Autor des "Aktionsplans Klimagerechtigkeit". Und er erklärt, was das mit Markt, Staat und Gesellschaft zu tun hat.
Die Pandemie hat das Thema Klima in der öffentlichen Wahrnehmung in diesem Jahr in den Hintergrund treten lassen. Corona-Krise und Klimakrise – was haben sie gemeinsam und was unterscheidet sie?
Lorenz Gösta Beutin: Beides sind Naturkatastrophen mit Menschen als Opfer. Das Virus ist nicht menschengemacht, aber unsere Art zu Wirtschaften beschleunigt die Ausbreitung. Die Klimakrise hingegen ist Ergebnis der Industrialisierung, die bis heute vom Verbrennen von Öl, Kohle und Gas angetrieben ist. Ob bei Hurrikans, Dürren oder eben Krankheiten, in beiden Krisen sind es die Ärmsten der Armen, die ihre Häuser verlieren, die verhungern, nicht zum Arzt können. Der Unterschied zwischen Corona und Klimakrise: die unterschiedliche Geschwindigkeit der Bedrohung. Das Virus wirkt schnell, wenige Tage nach Ansteckung kann man auf der Intensivstation liegen. Die Politik muss sofort reagieren. Der Klimawandel aber kommt schleichend, langsam. Wie bei unentdeckter Diabetes kann einfach weitergemacht werden wie immer. Bis der Körper eines Tages kollabiert, der Patient überraschend zusammenbricht. In der Klimawissenschaft nennt man diesen Moment dann Kipppunkt. Das Gefährliche daran, niemand weiß genau, wann dieser erreicht ist.
Was lässt sich aus der Corona-Krise für den Umgang mit dem Klimawandel lernen?
Die lebensbedrohliche Gefährlichkeit der Klimakrise muss endlich voll und ganz anerkannt werden. Die Linksfraktion hat 2019 im Bundestag beantragt, einen nationalen Klimanotstand zu beschließen. Wir wollten damit ein lautes Ausrufezeichen setzen. Vergeblich! Wir können als Gesellschaft nicht mehr business as usual machen. Die Bundesregierung hat auf die Corona-Pandemie trotz Warnungen aus der Wissenschaft anfangs zu spät reagiert. Das gilt auch für den zweiten Lockdown. Wirtschaft und öffentliche Meinung waren wichtiger als Menschenleben. Bei der Klimakrise dürfen sich solche fatalen Fehler nicht wiederholen, weil die Folgen viel schwerer sind.
Fünf Jahre ist das Pariser Klimaabkommen her. Es wurde als Durchbruch gefeiert, weil sich Industrie- und Schwellenländer erstmals darauf einigten, die Erwärmung der Erde auf unter zwei Grad Celsius, idealerweise auf 1,5 Grad, zu begrenzen. Der globale Co2-Ausstoß ist seither nicht zurückgegangen, für eine kleine Delle sorgte lediglich die Pandemie. War der Pariser Vertrag also nur ein Papiertiger?
Papier ist geduldig. Das Parisabkommen ist Ergebnis jahrzehntelanger Diplomatie. Ja, es ist historisch. Aber eben auch ein globaler Minimalkonsens, in dem sich die Machtverhältnisse unserer Zeit widerspiegeln. So wurden im Pariser Abkommen keine Sanktionsmechanismen verankert. Wenn also Unterzeichnerstaaten gegen den Vertrag verstoßen, bleibt das folgenlos. Die Industrieländer, auch Deutschland, haben dafür gesorgt, dass nationale CO2-Minderungsziele nicht konkret in den Vertrag geschrieben wurden.
Die EU hat im Dezember ihr Klimaziel für 2030 auf 55 Prozent weniger CO2 angehoben. Bis Mitte des Jahrhunderts soll der Kontinent klimaneutral sein. Ist das denn kein Erfolg des Parisabkommens?
Die Klimafrage ist auch eine Frage der globalen Gerechtigkeit. Deutschland liegt auf Platz vier der Länder, die das Klima seit Beginn der Industrialisierung am meisten zerstört haben! Unser Klimaschutzbeitrag muss darum deutlich größer sein. Unser fossiler Wohlstand geht auf Kosten von Millionen anderer Menschen im globalen Süden. Trotzdem sieht der Paris-Vertrag keine Regeln vor, wie diese historische Klimaschuld abgegolten wird. Jeder kann also selbst bestimmen, was sein fairer Beitrag zur Klimarettung ist. Die Staaten müssen melden, wie ihr Klimaschutz zu Hause aussieht. Und da sieht es bisher so aus, dass, wenn man alle Klimaziele zusammenrechnet, dass die Welt in 80 Jahren drei bis vier Grad heißer ist. Für Länder in Afrika sind das Temperaturen über 50 Grad Celsius!
Sie haben anlässlich des fünften Jahrestags des Abkommens getwittert, es müsse an dem 1,5 Prozent festgehalten werden. Ist das realistisch oder sollte nicht lieber damit begonnen werden, sich auf einen höheren Anstieg der Temperaturen bis Ende des Jahrhunderts vorzubereiten?
Natürlich müssen wir beides tun! Das ist wie bei der Corona-Krise. Es müssen alle Maßnahmen eingeleitet werden, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Sozial gerecht, Gratis-Impfungen für alle Menschen weltweit, die Kosten der Krise müssen solidarisch geschultert werden. Gleichzeitig muss mehr Geld in die Hand genommen werden für Ärzt*innen, Pflegepersonal, Intensivbetten, Nachsorge für Covid-Erkrankte. In der Klimapolitik muss es jetzt heißen: Flatten the curve beim Klimaschutz! Wir müssen die Fieberkurve runterkriegen und klimaschädliche Emissionen senken, und zwar massiv. Runter auch vom extremen Energieverbrauch, raus aus den fossilen, mehr erneuerbare Energien, weniger Autos auf den Straßen. Gleichzeitig müssen wir uns auf mehr Hitze in den Städten, auf die Aufnahme von Klimageflüchteten, auf die Abfederung von Ernteausfällen und Unwetterschäden vorbereiten.
Sprechen wir über die Ökonomie des Klimawandels. Welche Mechanismen wirken auf wirtschaftliche Interessen, seien es eine Co2-Bepreisung, Mineralölsteuern oder Strompreise, damit es Anreize für Klimaschutz gibt?
Stellen wir uns mal vor, die Regierung führt im Kampf gegen das Coronavirus marktwirtschaftliche Regeln ein. Statt Ausgehverboten und Personenbegrenzung wird Bewegung und sozialer Kontakt in einem Handelssystem ein Preis gegeben. Besuche bei Verwandten werden besteuert. Dann können sich nur die Wohlhabenden soziale Kontakte leisten. Die einfachen Leute zahlen viel zu viel drauf oder können sich gar aus finanziellen Gründen gar nicht mehr treffen. Jeder würde hier sagen, das ist verrückt und ungerecht.
Was also ist die Alternative?
Auch im Klimaschutz sagen wir LINKE, dass sich der ganze Rahmen ändern soll. Der Staat, demokratisch legitimiert, muss der Wirtschaft sagen: Bis 2030 dürft ihr noch Autos mit Verbrennungsmotor bauen, dann ist Schluss. Das gilt dann für alle. Bis 2030 darf noch Geld verdient werden mit Kohlekraftwerken, dann ist Schluss. Die Ingenieur*innen und Planungsabteilungen sind schlau genug, um klimafreundliche Alternativen zu entwickeln. Ohne Vorgaben aber wird "der Markt" weiter viel Geld mit Klimazerstörung machen, einfach aus dem Grund, weil er es kann.
Wie kann Klimapolitik so gestaltet werden, dass sie die Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung nicht erhöht?
Eine neoliberale Politik, die dem Markt zu viel Macht über die Gesellschaft gibt, wird immer neue Ungerechtigkeiten schaffen. Wir müssen also das Profit-Prinzip als beherrschendes Lenkungsmittel der Gesellschaft zurückdrängen und die Demokratie stärken. Wer sich heute mit Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit beschäftigt, der landet zwangsläufig bei der alten Eigentumsfrage. Wir LINKE wollen die Energieproduktion, die Energienetze, genauso wie Gesundheit, Wohnen, Mobilität und Ernährung wieder stärker unter demokratische und öffentliche Kontrolle bringen. Nur so sind soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit möglich.
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