In der Corona-Krise zeigt sich die Bundesregierung überraschend handlungsfähig. Im Eilverfahren wird das „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“, kurz „Arbeit-von-morgen-Gesetz“, durchs Parlament gebracht und soll im April in Kraft treten. Die Angst vor wirtschaftlichen Einbrüchen ist groß. Unternehmen sollen deshalb Kurzarbeit schneller in Anspruch nehmen können.
Es ist gut, dass die Regierung schnell reagiert. Es besteht aber die Gefahr, dass die Allgemeinheit am Ende die Rechnung für den Aktionismus zahlt – ohne nachhaltige Verbesserungen für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft insgesamt. Diese sind aber zwingend notwendig, um zu gewähr-leisten, dass die „Arbeit-von-morgen“ gute Arbeit ist.
So wird der Zugang zum Kurzarbeitergeld zwar mit Vorgaben an die Arbeitgeber zur Weiterbildung verknüpft, aber es fehlt ein tatsächlicher Rechtsanspruch für Beschäftigte. Sie bleiben Verhandlungsmasse, denn Betriebsräte erhalten weiterhin kein Mitbestimmungsrecht darüber, ob im Betrieb überhaupt berufliche Weiterbildung stattfindet.
Auch wird die Absenkung der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Kurzarbeit nicht mit einer Beschäftigungsgarantie verknüpft. Das würde betriebsbedingte Kündigungen im Anschluss wenigstens temporär ausschließen. Für Beschäftigte bedeutet Kurzarbeit, dass sie zwar vorerst nicht arbeitslos werden, aber Lohneinbußen haben. Mit negativen Folgen für den privaten Konsum und damit auch für die Konjunktur. Wer aber Unterstützung der Allgemeinheit erhält, muss mit einer Beschäftigungsgarantie auch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und im Notfall dazu gezwungen werden.
Der Gesetzentwurf macht das Gegenteil und entlastet Unternehmen doppelt. Diese können ihre Beschäftigten leichter und trotz Überstunden in Kurzarbeit schicken, erhalten kaum Auflagen und bekommen obendrein die Sozialbeiträge erstattet. Seit Jahren arbeiten Unternehmensverbände und die CDU an einer Demontage der Sozialversicherungssysteme. Mit Erfolg, wie die Senkungen des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung zeigen.
Trotzdem fordert Wirtschaftsminister Peter Altmaier, eine „Sozialabgabenbremse“ im Grundgesetz zu verankern. Das senkt die Lohnkosten auf Arbeitgeberseite, hat aber fatale Auswirkungen auf die Schutzfunktion der Sicherungssysteme. Immer weniger Arbeitslose haben überhaupt noch Anspruch auf die Versicherungsleistung ALG I.
Auch gesamtwirtschaftlich macht die Schwächung der Arbeitslosenversicherung keinen Sinn. Wenn Einnahmeüberschüsse in stabilen Zeiten für Beitragssenkungen benutzt werden – von denen Beschäftigte im Übrigen nur minimal profitieren –, ist die Arbeitslosenversicherung auch in Krisenzeiten schlechter imstande, konjunkturstabilisierend zu wirken. Gerade deshalb ist denkbar, dass das Geld, das jetzt aus den Rücklagen der Arbeitslosenversicherung für Kurzarbeit zur Verfügung gestellt wird, von den Unternehmen später zurückgezahlt wird, wenn sich die wirtschaftliche Lage entspannt hat.
Kaum nachvollziehbar ist, weshalb Arbeitgebern die Sozialbeiträge für ausgefallene Stunden zu 100 Prozent erstattet, den Beschäftigten aber Lohneinbußen zugemutet werden. Statt einseitig Unternehmen aus den Sozialkassen zu subventionieren, ist das Geld in die finanzielle Besserstel-lung von Arbeitslosen sowie in gute Weiterbildung zu investieren – es sind schließlich auch ihre Beiträge.
Wirtschaftsminister Altmaier sollte seine Mühe darauf konzentrieren, kleinen und mittelständi-schen Unternehmen Überbrückungskredite zu gewähren. Die dadurch gesicherte Liquidität sichert die Lohnfortzahlung für die dort Beschäftigten, auch wenn die Produktion einbricht und Aufträge ausbleiben. Wie auch das Kurzarbeitergeld sind diese Kredite ebenfalls an Beschäftigungsgarantien zu knüpfen und zurückzuzahlen.
Politische Handlungsfähigkeit besteht nicht nur darin zu reagieren, wenn die Hütte brennt. Politik muss präventiv handeln und soziale Investitionen sowie gute Arbeit auch zukünftig garantieren und absichern. Überfällig ist hierzu, die schwarze Null aufzugeben, damit notwendige Investitionen in Soziales, Infrastruktur, Umwelt und Bildung fließen.
Dazu gehört auch, den Arbeitsmarkt zu regulieren, damit Arbeit in Zukunft wieder regulär mitbestimmt und tarifgebunden ist. Denn gute Löhne stabilisieren die Einnahmen der Arbeitslosenversicherung, bieten Beschäftigten soziale Sicherheit im Fall des Beschäftigtenrisikos Arbeitslosigkeit und stärken nicht zuletzt die Binnenkonjunktur.
Der Artikel erschien am 12. März 2020 als Gastkommentar von Susanne Ferschl in der Frankfurter Rundschau.