Der Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz bringt immer neue Ungereimtheiten zutage. Wenn der Ausschuss Zeugen befragt, dürfen andere potenzielle Zeugen natürlich nicht zuhören. Schon im März, unmittelbar nach der Konstituierung hatte die Obfrau der LINKEN, Martina Renner, deshalb die Bundesregierung aufgefordert, unverzüglich mitzuteilen, ob von ihr für die verschiedenen Ministerien entsandte Vertreter auch als Zeugen in Betracht kommen. Anschließend hatte dies der Ausschuss nochmals einstimmig von der Regierung eingefordert.
Mehr als sechs Monate später hat das Seehofer-Ministerium nun mitgeteilt, dass ausgerechnet seine Vertreterin in einer früheren Verwendung im Verfassungsschutz selbst enge Kontaktpersonen von Anis Amri bearbeitet hat. Die Vertreter der Regierung wachen unter anderem darüber, welche Fragen die Zeugen öffentlich beantworten müssen und welche nicht. In den vergangenen Sitzungen hatte nun eben jene Vertreterin des Innenministeriums versucht, Fragen zu diesen und anderen Kontaktpersonen einzuschränken.
Dies ist nicht das erste Mal, dass die Regierung die parlamentarische Aufklärung behindert. Kurz nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hatte der bisherige BfV-Präsident Maaßen noch behauptet, der Verfassungsschutz habe sich gar nicht mit ihm beschäftigt und keine V-Leute im Umfeld von Amri eingesetzt. Inzwischen ist klar, dass dies gelogen war. Das Seehofer-Ministerium hat nun erneut versucht, die Arbeit des Parlamentes zu behindern, indem eine potenzielle Zeugin andere Zeugen bei deren Aussage überwacht.
Das ruft böse Erinnerungen wach: Unmittelbar nach der Selbstenttarnung des NSU warfen Mitarbeiter im Bundesamt für Verfassungsschutz die Aktenschredder an und vernichteten vermutlich eine Vielzahl von Beweisen zu den Rechtsterroristen und ihrem Umfeld. Erneut wird deutlich, dass der Verfassungsschutz die Aufklärung sabotiert. Es wird sich zeigen, ob die Vertreter*innen der Großen Koalition ausreichend Rückgrat besitzen, dem Auftrag der Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlages und des gesamten Parlamentes gerecht zu werden, oder ob sie erneut lieber den Geheimdienst vor demokratischer Transparenz beschützen.
Martina Renner hat jetzt in einem Brief (PDF) an Innenminister Seehofer deutlich dessen Versäumnisse und fehlende Aufklärungsbereitschaft kritisiert. Sie fordert, dass der Minister mit seinem Ministerium und dessen nachgeordneten Behörden die Arbeit des Parlaments und dessen Untersuchungsausschusses uneingeschränkt unterstützt.