Seit Februar 2011 besteht eine vertragliche Beziehung zwischen einer Unabhängigen Historikerkommission (UHK) zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) und seiner Vorläuferorganisation „Organisation Gehlen“ und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den BND. Ein Forschungsschwerpunkt in den Arbeiten der UHK besteht in der Aufklärung des Umgangs mit der NS-Vergangenheit durch den BND, sei es in Form eigener personeller „Altlasten“, sei es in Bezug auf den Umgang der frühen Bundesrepublik Deutschland mit diesem Thema generell.
Bisher sind 14 umfangreiche Studien aus diesem Forschungsverbund hervorgegangen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten der BND-Geschichte und der „Organisation Gehlen“ beschäftigen. Die neueste von Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke verantwortete Veröffentlichung mit dem Titel „Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage des BND in der Ära Adenauer“ behandelt neben der systematischen Ausspähung der SPD durch den BND, die nach dem Ergebnis der Studie auf Anweisung des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer erfolgte, auch den Umgang der damaligen Bundesregierung mit dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961/62.
Laut Darstellung im Band von Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke bestand aus Sicht des damaligen Bundeskanzleramtes die Gefahr, dass im Prozess die historische Rolle des damaligen Leiters des Bundeskanzleramtes, Dr. Hans Josef Maria Globke, im Prozess zur Sprache kommen könnte, was man in Bonn unbedingt verhindern wollte. Als Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, auf deren Grundlage u. a. die Verdrängung der deutschen Juden aus dem Staatsdienst legitimiert wurde, galt und gilt Dr. Hans Josef Maria Globke, der vom 27. Oktober 1953 bis zum 15. Oktober 1963 unter dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer Chef des Bundeskanzleramts und in dieser Funktion auch für den BND und seine Vorläuferorganisation, die „Organisation Gehlen“, zuständig war, als in höchstem Maße NS-belastete Person.
Professor Dr. Klaus-Dietmar Henke beschreibt im aktuellen Band der UHK das Agieren des BND und die Versuche, Einfluss auf die Prozessführung zu nehmen. Laut eines Artikels von Willi Winkler in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 20. April 2022 („Das letzte Geheimnis“, SZ vom 20. April 2022) sind im Band vor allem Stellen im Zusammenhang mit dem Agieren des BND im Umfeld des Eichmann-Prozesses geschwärzt worden.
Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE, beobachtet die Arbeit der Historikerkommission von Anfang an. Er hat die Bundesregierung nach den Schwärzungen in der Veröffentlichung der Unabhängigen Historikerkommission zur Inlandsspionage des BND gefragt (das nd berichtete). Er kommentiert die Antwort auf seine Anfrage:
"Ganz offensichtlich werden die Interessen von NS-Tätern bis heute von der Bundesregierung höher gewichtet als die vollständige historische Aufklärung des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik. Nur so kann ich zumindest die (Nicht-)Antwort der Bundesregierung zu meiner Anfrage verstehen. Die Schwärzungen der Bundesregierung beziehen sich auf die Versuche des BND, den Eichmann-Prozess so zu beeinflussen, dass die Rolle des Kanzleramtsministers Hans Globke, der selbst schwer NS-belastet war, im Prozess möglichst nicht zur Sprache kommen zu lassen.
Bei der Abwägung Geheimschutz oder Aufklärung entscheidet sich nun auch die neue SPD-geführte Bundesregierung klar gegen die Aufklärung des Umgangs des Adenauer-Staates mit der NS-Vergangenheit. Vor dem Hintergrund der ebenfalls von der UHK ans Licht gebrachten damaligen Bespitzelung der SPD durch den BND ist das schon eine besondere Form der Staatsraison durch das Kanzleramt. Hatte man sich früher häufig hinter den Interessen 'befreundeter Dienste' (sprich: ausländischer Geheimdienste) versteckt, so geht es jetzt ausschließlich um die Geheimhaltungsinteressen des BND. Die unbedingte Aufklärung der NS-Vergangenheit bleibt somit ein Lippenbekenntnis für Sonntagsreden."