Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage “Minderjährige in der Bundeswehr”
Die Bundeswehr greift auf immer mehr Kindersoldaten zurück. Die Anzahl der zum Diensteintritt minderjährigen Soldaten hat sich von 689 im Jahr 2011 auf 1.515 im Jahr 2015 mehr als verdoppelt. Damit sind 7,4 Prozent der neu rekrutierten Soldatinnen und Soldaten unter 18 Jahren. Dies geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE hervor. Minderjährige nehmen an der regulären Ausbildung von Soldaten inklusive dem Training an der Waffe teil. Der Unterschied zu volljährigen Soldaten besteht darin, dass sie den Dienst nur mit Zustimmung der Eltern antreten dürfen und nicht im direkten Waffeneinsatz eingesetzt werden dürfen.
Die Antwort der Bundesregierung verdeutlicht, dass die Bundeswehr kein normaler Arbeitgeber ist wie jeder andere. Das betrifft nicht nur das Betätigungsfeld wie z.B. die Ausbildung an der Waffe. Das Jugendarbeitsschutzgesetz gilt für minderjährige Soldatinnen und Soldaten nicht. Dürfen Jugendliche unter 18 Jahren maximal 40 Stunden die Woche arbeiten gilt für die Kindersoldaten eine regelmäßige Arbeitszeit von 41 Stunden. Kindersoldaten haben auch keine eigene Interessensvertretung in der Bundeswehr – in normalen Betrieben gibt es dafür eine Jugendauszubildendenvertretung.
Aber auch in der Unterbringung gibt es Defizite. Es kann nicht ausgeschlossen werden, so die Antwort der Bundesregierung, „dass es nicht immer zu einer Unterbringungstrennung kommt.“ Damit wird verklausuliert zu verstehen gegeben, dass minderjährige und volljährige Soldaten mitunter auch in einer Schlafstube untergebracht sind – Ein Problem auf das auch das Bündnis Kindersoldaten immer wieder hinweist. Es stellt sich die Frage nach Schutzkonzepten für Minderjährigen, wie sie bspw. der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs für alle Einrichtungen fordert, an denen sich Minderjährige aufhalten. Zu diesen Orten zählt auch die Bundeswehr, wie sie selbst zugibt.
Im Jahr 2015 haben insgesamt 800 Wehrdienstleistende, die als Minderjährige in der Bundeswehr den Dienst angetreten haben, der Kaserne den Rücken zugewandt. Wer sich dazu entscheidet, den so genannten freiwilligen Wehrdienst beenden zu wollen, kann dies nur innerhalb der ersten sechs Monate, die Probezeit genannt werden, problemlos – dies waren im Jahr 2015 281 der minderjährig zum Dienst angetretenen. Der überwiegende Teil - nämlich 519 - hat sich erst nach Ablauf der Probezeit zu diesem Schritt entschlossen. Wer aber nach Ablauf der Probezeit den Wehrdienst beenden möchte, ist auf das Entgegenkommen der Bundeswehr angewiesen. „Eigenmächtige Abwesenheit“ vom Dienst ist nach dem Wehrstrafgesetz unter Strafe gestellt. Gegen wie viele der zum Dienstantritt minderjährigen Rekruten deswegen Verfahren eingeleitet wurden, kann die Bundesregierung nicht sagen.
Dies ruft wiederum den UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes auf den Plan. Bei Minderjährigen sei somit die Freiwilligkeit des Wehrdienstes in Frage gestellt, womit ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention vorliege. Dies mahnte der UN-Ausschuss zuletzt im Januar 2014 an und fordert die Bundesregierung wiederholt auf das Rekrutierungsalter auf 18 Jahre anzuheben sowie die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung zu unterbinden.
“Die steigende Anzahl an Kindersoldaten in der Bundeswehr ist ein Skandal. Junge Menschen werden mit falschen Erwartungen geködert und verlassen sie scharenweise. Die LINKE fordert den sofortigen Rekrutierungsstopp Minderjähriger inkl. Der Einstellung sämtlicher an Jugendliche gerichteter Werbemaßnahmen. Für die Bundeswehrabbrecher brauchen wir statt Strafverfahren ein Integrationsprogramm, damit sie nach dem Kasernenleben leichter in die Gesellschaft und eine zivile Ausbildung finden”, kommentiert Norbert Müller, kinder- und jugendpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, die Antwort der Bundesregierung.
Details- „Minderjährige Soldatinnen und Soldaten nehmen grundsätzlich an allen ihrer Laufbahn und Tätigkeit entsprechenden militärischen Ausbildungen teil.“ (Antwort auf Frage 4)
- Die Bundesregierung räumt ein, dass eine altersgetrennte Unterbringung zwar angestrebt aber nicht gewährleistet werden kann (Antwort auf Frage 3). Fachverbände wie das Bündnis Kindersoldaten berichten von regelmäßiger altersgemischten Unterbringung. Eine altersgemischte Unterbringung erhöht die Gefahren vom Missbrauch Minderjähriger. Im Rahmen der Gorch Fock berichtet das Bündnis Kindersoldaten gar von gemischtgeschlechtlicher Unterbringung. Diese schließt die Bundesregierung aber aus (Antwort auf Frage 5). Die Bundesregierung räumt ein, dass auch Standorte der Bundeswehr zu den Orten gehören, für die nach Auffassung des unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauch Schutzkonzepte entwickelt werden müssen (Antwort auf Frage 6)
- Das Jugendarbeitsschutzgesetz gilt nicht für minderjährige Rekrut/-innen. Dennoch würden die Regelungen in „übertragener Weise“ angewandt (Antwort auf Frage 8). Gleichzeitig räumt die Bundesregierung Differenzen ein bei der Arbeitszeit: Nach Jugendarbeitsschutzgesetz § 8 beträgt die Höchstarbeitszeit 40 Stunden wöchentlich – Abweichend gilt für minderjährige Rekrut/-innen eine grundsätzliche Arbeitszeit von 41 Stunden (Siehe § 8 Jugendarbeitsschutzgesetz sowie Antwort auf Frage 10)
- Es gibt keine adäquaten Stellen für die Vertretungen der Interessen der Minderjährigen wie bspw. Jugendauszubildendenvertretungen (Antwort Frage 12)
- Wehrdienstabbrecher, die zum Diensteintritt minderjährig waren. Hier ist ein massiver Anstieg zu verorten (Antwort auf Frage 14, 16 und 17 sowie eigene Berechnungen).
- Es bleibt unbeantwortet, wie viele Verfahren bei einem Dienstabbruch nach Ablauf der Probezeit auf Grundlage des Wehrstrafgesetzes eingeleitet wurden. Die Bundesregierung führt an, dass hierzu keine Daten erhoben oder vorgehalten werden (Antwort Frage 16).
- 1.515 zum Diensteintritt minderjähriger Rekrut/-innen standen im Jahr 2015 insgesamt 800 Wehrdienstabrecher/-innen gegenüber, die zum Zeitpunkt ihres Dienstantrittes minderjährig waren.