Von Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin, Rosemarie Hein, Sprecherin für allgemeine Bildung, und Ralph Lenkert, forschungs- und technologiepolitischer Sprecher der Fraktion
Die letzte Große Koalition hat mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) von 2007 ein Instrument zur Sonderbefristung an öffentlichen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen geschaffen. Das führte dazu, dass in dieser großen Branche mit fast 800.000 Beschäftigten nicht nur für das wissenschaftliche Personal, sondern auch für die Beschäftigten in Technik und Verwaltung prekäre Arbeitsverträge zum Standard wurden:
Fast 90 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Hochschulen sind befristet beschäftigt, 50 Prozent der Verträge laufen bestenfalls ein Jahr, viele deutlich kürzer, und Teilzeitstellen – teilweise sogar Viertel- und Achtel-Stellen – sind zur Regel geworden. Junge Menschen laufen Gefahr, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, wenn sie ein Kind bekommen. Und ganz ähnlich wird bei den Beschäftigten in Verwaltung, Technik und Bibliothek verfahren, wie das Beispiel der TU München zeigt: Eine Erhebung des Personalrats brachte ans Licht, dass auch hier sage und schreibe 92 Prozent der Neueinstellungen nur einen befristeten Vertrag bekommen haben.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich gezeigt, dass politische Appelle, Selbstverpflichtungen oder Leitsätze alleine keine ausreichende Wirkung entfalten: Die Arbeitgeber halten in weiten Teilen an der Praxis der prekären Beschäftigung fest, die der erste Evaluationsbericht der Bundesregierung zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz im Jahr 2011 enthüllte und der den großen Handlungsbedarf in puncto prekärer Beschäftigung und unsicherer Karrierewege aufzeigte.
Erst die Aktiven an den Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen sowie bei GEW und ver.di haben es durch ihre Arbeit der letzten Jahre geschafft, diese Missstände in der Wissenschaft gesellschaftlich sichtbar zu machen und den notwendigen Druck für Verbesserung zu erzeugen. Dass wir heute überhaupt über eine Novellierung des Gesetzes diskutieren und abstimmen, verdanken wir ihnen.
So begrüßenswert die Tatsache an sich ist, das die Große Koalition sich des Themas heute endlich annimmt – in den Augen der LINKEN ist der von der Regierung vorgelegte Entwurf zur Novellierung des WissZeitVG (auch in der nochmals veränderten Form) gekennzeichnet von unverbindlichen und damit nicht-rechtssicheren Formulierungen und lässt viele der Missstände gänzlich unberücksichtigt.
So wird es zum Beispiel auch weiterhin keinen Rechtsanspruch auf ein Weiterbestehen ihres Arbeitsvertrages und eine Rückkehr an den Arbeitsplatz nach dem Mutterschutz oder der Elternzeit für diejenigen geben, die auf einer durch Drittmittel finanzierten Stelle arbeiten. Nach wie vor werden sachgrundlose und Kettenbefristungen möglich sein, und weiterhin gilt die Tarifsperre, die es Gewerkschaften und Arbeitgebern untersagt, vom Gesetz abweichende Regeln zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen auszuhandeln.
Wir haben deshalb in fünf Änderungsanträgen LINKE Kernforderungen an ein WissZeitVG formuliert:
- Eine Mindestlaufzeit von drei Jahren bei Verträgen zur Qualifizierung (i.d.R. Promotion), mit vertraglichen Vereinbarungen über das Qualifizierungsziel und die dafür zur Verfügung stehende Arbeitszeit. Eine Mindestvertragslaufzeit von zwei Jahren bzw. bei länger laufenden Projekten eine entsprechend längere Vertragslaufzeit bei drittmittelfinanzierten Stellen.
- Nach der Promotion ist nur noch eine Beschäftigung mit einem echter Tenure Track mit der Perspektive auf eine unbefristete Stellen oder eine Beschäftigung auf einer drittmittelfinanzierten Stelle möglich, um Kettenbefristung so rechtssicher auszuschließen
- Studierende und „überwiegend mit Lehraufgaben Betraute“ sollen wie das Personal in Technik und Verwaltung aus dem Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen werden.
- Die familien- bzw. behindertenpolitische Komponente in WissZeitVG muss rechtssicher sein, sowohl Eltern auf Qualifizierungsstellen als auch auf Drittmittelstellen müssen einen Rechtsanspruch auf Vertragsverlängerung um zwei Jahre haben.
- Die Tarifsperre soll aus dem WissZeitVG gestrichen werden: Gewerkschaften sollen wie in jeder anderen Branche die Möglichkeit haben, günstigere tarifvertragliche Regelungen mit den Arbeitgebern auszuhandeln.
Darüber hinaus haben wir in unserem Antrag vom Mai 2015 (Bundestagsdrucksache 18/4804) dargestellt, welche Maßnahmen neben den gesetzlichen Voraussetzungen das Arbeitsrecht betreffend außerdem nötig sind, sollen gute Beschäftigungsbedingungen genauso wie eine qualitativ hochwertige Wissenschaft und gute Lernbedingungen für die Studierenden in der Breite endlich wieder zum Standard werden.
Neben der zu verbessernden Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist das vor allem eine verlässliche und nachhaltige öffentliche Grundfinanzierung des Wissenschaftssystems, insbesondere der Hochschulen. Befristete Pakte und Programme – wie beispielsweise der Hochschulpakt 2020 oder die Exzellenzinitiative – und ein immer größerer Umfang an Drittmitteln zur Sicherung des Lehr- und Forschungsbetriebs geben keine Planungssicherheit und öffnen damit einer ausufernden Befristungspraxis Tür und Tor.
DIE LINKE ist der Überzeugung, dass nicht Flexibilisierung und Deregulierung, sondern im Gegenteil hervorragende Arbeitsbedingungen wissenschaftliches Arbeiten auf hohem Niveau ermöglichen. Ein Wissenschaftszeitvertragsgesetz als Sonderrecht in der Wissenschaft macht aus unserer Sicht nur dann Sinn, wenn daraus ein Wissenschaftsqualifizierungsgesetz wird, es also echte Mindeststandards für gute Arbeit in der Wissenschaft setzt.
In den kommenden Jahren werden wir an diesem Vorhaben weiterarbeiten und weiterhin entsprechende Initiativen in den Bundestag einbringen.
linksfraktion.de, 17. Dezember 2015