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Dietmar Bartsch © Britta Pedersen/dpaFoto: Britta Pedersen/dpa

»Grundfragen strategischer Ausrichtung stellen«

Im Wortlaut, Deutschlandfunk,

Bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg ist „Die Linke“ auf jeweils gut zehn Prozentpunkte abgesackt. Nach so einem Desaster müsse sich die Partei Grundfragen der strategischen wie inhaltlichen Ausrichtung stellen, sagte Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, im Deutschlandfunk.

 

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Philipp May

 

Philipp May: Wieder lassen die etablierten Parteien Federn bei einer Landtagswahl. Die Linken stürzen ausgerechnet im Osten ab, die FDP schafft es gar nicht erst in die Landtage von Brandenburg und Sachsen und auch der Höhenflug der Grünen fällt deutlich kleiner aus als erwartet. Nur die AfD hat Grund zum Jubeln. In beiden Bundesländern ist sie zweitstärkste Kraft, liegt deutlich über 20 Prozent und kratzt an der Vormachtstellung von Union und SPD.

Jetzt vertiefen wir die Wahlergebnisse der Linkspartei und dazu ist der Fraktionschef der Linken im Bundestag am Telefon. Guten Morgen, Dietmar Bartsch!

Dietmar Bartsch: Guten Morgen! – Ich grüße Sie.

May: Ist Rechts das neue Links im Osten?

Bartsch: Selbstverständlich nicht! Es sind ja fundamentale Unterschiede zwischen den Ansätzen der Politik der Linken und denen der AfD. Es ist sicherlich ein riesen Problem, dass die AfD der zentrale Bezugspunkt aller Politik gewesen ist. Herr Detjen hat völlig zurecht eben gesagt, es gibt ja Wählerwanderungen von der Linken zur CDU in Sachsen, die viel größer sind als die zur AfD, und genauso ist es von der Linken zur SPD in Brandenburg. Das heißt, viele, die potenzielle Wähler der Linken sind, haben gesagt, wir wollen die AfD nicht als stärkste Partei sehen. Das ist völlig in Ordnung, wer will das schon.

Aber was ganz klar ist: Das ist ein Teil der Wahrheit. Der andere hat damit zu tun, dass wir nicht mehr als die Interessenvertretung im Osten angesehen werden. Wir sind zu viel oder werden zu viel als Bestandteil angesehen. Das hat damit zu tun, dass wir in drei von sechs Ländern Regierungsverantwortung im Osten tragen. Und wir müssen selbstverständlich nach so einem Desaster Grundfragen unserer strategischen Ausrichtung stellen. Es kann nicht darüber hinwegtäuschen: Ja, wir sind jetzt in den alten Ländern erfolgreich. Ja, wir haben einmal Regierungsverantwortung jetzt auch in Bremen erreicht. Aber so wie diese Wahl am Sonntag ist völlig klar, dass wir Grundfragen stellen müssen.

May: Also wollen Sie wieder Protestpartei und keine Regierungspartei sein? Ist das die Grundfrage, die Sie stellen wollen?

Bartsch: Selbstverständlich nicht. Wir sind Regierungspartei. Und wissen Sie, wir haben in wenigen Wochen eine Wahl in Thüringen und dort stellen wir den Ministerpräsidenten. Wir werden eine ganz andere wahlpolitische Aufstellung haben und natürlich geht es in Thüringen für uns ums Ganze. Aber ich bin zuversichtlich, dass mit der Politik von Bodo Ramelow, die er fünf Jahre gemacht hat, wir dort ernsthafte Chancen haben. Die Frage, Regieren ja oder nein, die stellt sich nicht.

Es ist völlig klar: In allen Ländern sagt die Linke ganz klar, wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen, wenn es denn wirklich Veränderung gibt. Wir brauchen doch dringend einen sozialen Aufbruch. Es ist doch richtig, dass wir uns gegen den Mietenwucher stellen, dass wir obszönen Reichtum bekämpfen wollen, und auch die gleichwertigen Lebensverhältnisse bleiben auf der Tagesordnung. Da brauchen wir keine Debatte, dort ist alles gesagt, dort gibt es eine klare Beschlusslage. Aber die Orientierung, welche Rolle spielt die Linke im Parteiensystem, was sind unsere zentralen Zielgruppen, das ist nicht trivial, aber das muss angesichts der Veränderungen, die wir in der Gesellschaft haben, neu justiert werden.

May: Haben Sie möglicherweise doch auf die falschen Themen gesetzt? Denn die Themen, die Sie gerade genannt haben, die scheinen ja bei den Menschen im Osten nicht wirklich angekommen zu sein, zumindest nicht für die Linkspartei.

 

Bartsch: Ich glaube, dass diese Themen nur eine geringe Rolle gespielt haben – allesamt. Es war zum Schluss die Frage, bleiben die Ministerpräsidenten, oder wird die AfD stärkste Partei – die Ministerpräsidenten wären vermutlich sowieso geblieben – die zentrale. Und Themen haben nur begrenzt eine Rolle gespielt. Nur interessant ist doch, wenn man sich anschaut, was wahlausschlaggebend war: Da war das Thema soziale Sicherheit ausschlaggebend. Und trotzdem sind wir bei diesen desaströsen Ergebnissen gelandet.

Das muss aufgearbeitet werden, und ich bin nicht einer derjenigen, die zehn Stunden nach der Wahl alles genau wissen. Dann hätte ich das ja auch vorher meiner Partei mitgeteilt, damit wir erfolgreicher sind. Da gibt es ein gehöriges Stück an Arbeit zu leisten. Aber eines ist klar: Ein „weiter so“ und dieses „wir krempeln jetzt die Ärmel hoch“, das kann es nicht geben. Dafür haben wir eine viel zu große Verantwortung, was die politische Linke in Deutschland und darüber hinaus betrifft.

May: Wo Sie gerade das Stichwort soziale Sicherheit gesagt haben. Das habe ich mir direkt aufgeschrieben. Hat Ihre ehemalige Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Sahra Wagenknecht, möglicherweise doch recht, dass sie genau dieses Thema soziale Sicherheit doch mit der Migrationspolitik verknüpfen wollte? Die Linkspartei verfolgt ja bisher im Prinzip die liberalste Migrationspolitik von allen Parteien. War das ein Fehler?

Bartsch: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass Sahra Wagenknecht und ich gemeinsam die Fraktion führen und nicht ehemalige Fraktions-Mitvorsitzende. Aber das ist ein kleiner Punkt. Ich bin überhaupt nicht der Auffassung, dass wir jetzt eine fundamentale Veränderung dort vornehmen müssen. Das wäre falsch. Aber dass wir suggerieren, möglichst viele Menschen sollen nach Deutschland kommen, das ist doch keine linke Position. Eine linke Position ist, dass jedes Kind da, wo es geboren wird, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln kann. Deswegen muss es um Fluchtursachenbekämpfung gehen und selbstverständlich ist die Migrationsfrage eine, die die Menschen im Osten bewegt hat.

Ich war sehr viel in Sachsen und Brandenburg auch unterwegs und natürlich steht diese Frage. Aber da sage ich auch ganz klar: Die Linke wird dort immer Haltung bewahren, ohne Wenn und Aber. Sahra Wagenknecht und ich, wir haben gemeinsam im Bundestag bei jeder Abstimmung klare Positionen bezogen. Aber ernst nehmen der Sorgen der Menschen heißt auch, darüber zu diskutieren und selbstverständlich auch Positionen weiterzuentwickeln. Ich habe immer gesagt: Ja, ein Einwanderungsgesetz, ein linkes Einwanderungsgesetz wäre enorm wichtig gewesen. Das ist aber eine ausgesprochen schwierige Debatte in der politischen Linken.

May: Warum ist das so?

Bartsch: Weil dort viele Positionen miteinander konkurrieren. Es gibt natürlich diejenigen, die sagen, jedes Einwanderungsgesetz ist eine Begrenzung und damit schon nicht mehr links. Und es gibt andere, die sagen, wir brauchen selbstverständlich Ordnung und Rechtssicherheit in den Verhältnissen, wir müssen darum kämpfen, dass wirklich Asylrecht erhalten bleibt. Diese Debatte ist sehr weit. Aber ich sage auch ganz klar: Wir kommen dort ja immer mehr in eine Situation, dass die Auswirkungen des Ganzen – und das bleibt dann wiederum die soziale Frage –, dass diese behandelt werden.

Schauen Sie: Die verheerendsten Ergebnisse hat es dort gegeben, wo die Abwanderung am größten ist, wo die Menschen, die geblieben sind, einfach vielfach nur noch gefrustet sind. Da ist doch unser Job als Linke, hier auch Hoffnung, Zukunft und Ähnliches zu geben, und deswegen muss es um diese zentralen sozialen Fragen gehen. Es ist nicht so, dass dieser Protest, die da in Berlin, die da in Brüssel, was die AfD gemacht hat, das ist natürlich keine Zukunft. Und eines werden die Menschen schnell merken: Diese Wahl wird für den Standort nicht unbedingt zielführend sein. Denn es gibt viele Unternehmen, die sagen, bei so hohen AfD-Ergebnissen, dort werde ich nicht hingehen.

May: Herr Bartsch, ich höre jetzt aus Ihren Worten raus: Sie sagen, Die Linke muss realistischer werden in einigen Punkten?

 

Bartsch: Ich glaube, dass wir eine sehr realistische Politik machen. Aber klar ist auch: Ich sage das – ich habe nicht am Tag danach alle Antworten. Aber wir müssen diese Fragen, die Sie gestellt haben, auch bei uns debattieren. Wir müssen dort, wenn die Thüringen-Wahl vorbei ist, im nächsten Jahr Grundfragen stellen, wie unsere Aufstellung zu den Bundestagswahlen sein wird, sowohl strategisch als auch inhaltlich. Es hat so rasante Entwicklungen auf der Welt gegeben und da müssen wir immer auch als Programmpartei programmatische Fragen stellen. Ich glaube, wir haben von den Wählerinnen und Wählern mitgeteilt, dass wir einiges zu leisten haben, aber ich sehe selbstverständlich auch die Möglichkeiten, das hinzubekommen, denn es gibt ja wie gesagt auch deutlich andere Ergebnisse. Gestern war ein schlimmer Tag für uns.

Deutschlandfunk,