Die Notwendigkeit einer echten Mobilitätswende
Den ersten Podiumsblock „Zukunft der Mobilität“, der sich mit der Notwendigkeit einer umfangreichen Verkehrswende und gerechten umweltfreundlichen Mobilitätsvisionen befasste, eröffnete Marion Tiemann von Greenpeace. Sie verdeutlichte die Dringlichkeit das Pariser 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, was nur mit einer vollständigen Dekarbonisierung des Verkehrssektors bis 2035 zu erreichen sei. Zudem erinnerte sie daran, dass schon viele europäische Staaten und Städte ein Verbot von Pkw mit Verbrennungsmotoren in den nächsten Jahrzehnten beschlossen haben. Energetisch seien Batterieelektrische Fahrzeuge zu bevorzugen, da diese den niedrigsten Energiebedarf hätten. Sie fügte hinzu: „Wir brauchen nicht nur E-Autos, sondern auch kleinere Autos“ und begrüßte damit die Forderung der beiden einladenden LINKEN-Abgeordneten nach konsequentem Downsizing in ihrem Positionspapier.
Anschließend führte Dr. Ingo Kucz der Mobilitätsberatungsfirma White Octopus den Elefanten durch den Raum: „Wir deutsche sind halt Autofahrer!“ Moderne Verkehrslösungen, wie sie in den Niederlanden oder in Kopenhagen existieren, seien in Deutschland bisher viel schwieriger durchzusetzen. Die deutsche Parkraumordnung, Dienstwagenbesteuerung und die mangelnde Attraktivität des ÖPNV hob er als Beispiele hervor, warum Deutschland noch Autoland sei. Die Besitzer von Neuwagen seien in Deutschland bereit etwa 500 Euro im Monat für ihr Auto auszugeben, deswegen dürfe Mobilität auch Geld kosten. Ein ÖPNV-Ausbau müsse auch mit festen Sozialstandards und guten Löhnen einhergehen. Der öffentliche Verkehr dürfe daher nicht nur nach dem Preis ausgeschrieben werden. Ingo Kucz plädierte eher für Funktionalausschreibungen, wo auch innovative Ideen berücksichtigt würden. Zum Thema der Transformation der Automobilindustrie stellte Kucz fest: „Wir sind nicht abhängig von den Autokonzernen, sondern von den Ingenieuren und Facharbeitern, von ihrem Wissen und ihrer Arbeit.“
Der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion Klaus Ernst betonte, dass es mittlerweile 47 Millionen zugelassene Autos in Deutschland gebe und stellte fest: „So lange es keine praktischen Alternativen gibt, werden sich die Menschen weiterhin für das Auto entscheiden.“ Die Menschen sollten durch bequeme und einfache andere Verkehrsangebote zum Umstieg bewogen werden.
In der folgenden Diskussion erinnerte Sabine Leidig, die Sprecherin für den sozial-ökologischen Umbau, an die Transformationsdebatten der IG Metall in den 90er Jahren. Damals wurden von den Gewerkschaftern schon die 30 Millionen zugelassenen Autos als zu viel wahrgenommen. Die extrem hohen externen Kosten durch den Autoverkehr und, dass nirgends mehr Kinder auf der Straße spielen könnten müsste zum Umdenken anregen.
Uwe Meinhardt, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik des IG Metall Vorstandes erwiderte auf Sabine Leidig, dass nach der großen Transformationskonferenz der IG Metall 1989 viel passiert sei. Die Industriegewerkschaft hätte in den 15 Jahren nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nur Abwehrkämpfe geführt. Doch jetzt sei es wieder Zeit das „Primat der Wirtschaft zu brechen“. Das gelinge jedoch nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie.
Ein Betriebsrat von VW Kassel ging noch einen Schritt weiter und griff die Forderung nach der Enteignung der Autokonzerne auf, die die LINKE wieder grundsätzlich stellen müsste um im besten Sinne „radikal zu sein, also die Probleme an der Wurzel anzupacken“.
Auch der Klima- und Energiepolitische Sprecher der Fraktion Lorenz Gösta Beutin ging auf die Debatte über Wirtschaftsdemokratie ein. Bei der Transformation der Autoindustrie sollten Unternehmen zwar unterstützt werden, dafür sollte man von ihnen allerdings auch etwas einfordern. Neben dem konsequenten Umbau auf eine ökologische Produktion sollte die Mitbestimmung und die Bindung von Tarifverträgen ausgeweitet werden.
Am Ende der Diskussion des ersten Blocks resümierte Marion Tiemann, dass eine reine Verzichtsdebatte natürlich nicht zielführend sei. Sie plädierte vielmehr dafür, die Vorteile einer Verkehrswende zu betonen: weniger Lärm und Verkehrstote, mehr Klimaschutz. Ingo Kucz fügte hinzu: „Natürlich müssen Alternativen auch Spaß machen!“
Umverteilung und Wirtschaftsdemokratie für eine sozial-ökologische Konversion
Nach der Mittagspause folgte das Podium über Transformation und Beschäftigung in der Autoindustrie. Der Betriebsratsvorsitzende von Bosch Homburg Oliver Simon eröffnete mit einem Videoclip über den Kampf für den Erhalt von mehreren tausend Arbeitsplätzen. Da das Werk ein 100-Prozentiger Diesel-Einspritzpumpen-Zulieferer sei und die Region Saarpfalz schon einmal eine Deindustrialisierung durchgemacht habe, bedeute „ein Verbot des Verbrennungsmotors, den Tod einer ganzen Region“. Sollte nicht bald durch ein Transformationstarifvertrag die Produktion umgestellt werden und die Arbeitsplätze erhalten bleiben, würde die AfD bei den nächsten Wahlen in seinem traditionell links-roten Wahlkreis als Sieger hervorgehen, warnte Oliver Simon.
Uwe Meinhardt von der IG Metall stieg in sein folgendes Referat ein mit der Feststellung, dass der Verbrennungsmotor eine „zu überwindende Technologie“ sei und beteuerte, dass die Pariser Klimaziele für die Metallgewerkschaft nicht zu verhandeln seien. Man brauche jedoch einen gesellschaftlichen Ort, an dem die Debatten über die Transformation geführt werden, denn die Gefahr sei real, dass die AfD die „tiefe Sehnsucht“ der Menschen, dass alles bleibt wie ist, erfolgreich aufgreifen könne. In den Betrieben müsse sich konkret die Frage gestellt werden, welche Alternativen zum Endprodukt Auto hergestellt werden könnten. Dafür bräuchten die betroffenen Betriebe Technologie- und Qualifizierungsberatung sowie eine Übergangsfinanzierung. Der Zwang zum kurzfristigen Profit führe eher dazu, dass ein Betrieb geschlossen und die Belegschaft heruntergefahren werde, anstatt dem Umbau die nötige Zeit zu gewähren. Dafür sei aber auch klar, dass man wieder mehr über Umverteilung sprechen müsse, denn „wer über Umverteilungspolitik nicht sprechen will, sollte über Klimapolitik schweigen“, so Meinhardt.
Janna Aljets vom Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung erweiterte die Debatte um die gebrauchswertorientierte Produktion in der Autoindustrie auch auf die Frage: Was ist eigentlich gesellschaftlich sinnvolle Arbeit? Sie forderte „mehr Kreativität in der Debatte“, dann könne die Transformation der Automobilindustrie gesamtgesellschaftlich auch eine große Chance sein. In jedem Fall müssten die Konversionsprojekte mit den Beschäftigten gemeinsam entwickelt werden.
In der anschließenden erfrischend zugespitzten Debatte wurde festgestellt, dass die demokratische Organisierung der Wirtschaft wieder auf der Tagesordnung stehe. Die Gewerkschaften müssten aber auch wieder zu ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch zurückkehren und staatliche Investitionslenkung und Konversion aktiver einfordern. Der Gewerkschaftsvertreter Uwe Meinhardt ergänzte, dass sie als Gewerkschaft, um ein wichtiges gesellschaftliches Subjekt der Veränderung zu werden, vor allem die Verteilungsfrage wieder auf die Agenda setzen müssten.
Die Aktivistin Janna Aljets schloss das Podium mit einem Appell an die LINKE („Wir brauchen einen sozial-ökologischen Wandel! Das hat höchste Priorität!“) und der Zuversicht, dass es in Zukunft einen engeren Dialog zwischen Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung geben wird.
Jetzt technologiespezifisch sein, um später technologieoffen zu sein zu können
Das Abschlusspodium mit hochkarätigen Vertretern aus Umweltverband, Gewerkschaften und Partei wurde von Christian Hochfeld, dem Direktor der Agora Verkehrswende, eröffnet. Er warnte einerseits die Beschäftigten und Gewerkschaften davor zu viel Zeit einzufordern. Andererseits gab er zu bedenken: „Der sozial ungerechteste Weg führt nicht zur Zielerreichung“ und forderte, dass die LINKE sich stärker Gehör verschaffen sollte, wenn es um die sozialen Auswirkungen von Klima-Politik geht.
Die Frage der Technologieoffenheit wurde auf dem Abschlusspodium einstimmig beantwortet. Ingrid Remmers konstatierte, dass die Technologieoffenheit, wie sie die Bundesregierung versteht, Lobbygetrieben sei und zu einer „Verzettelung der Transformation“ führe, da Gelder nach dem Gießkannenprinzip nach Lobbyinteressen verteilt werden. Hochfeld pflichtete ihr bei und sagte, der „Weg in Richtung Elektromobilität ist alternativlos“. Die jetzt getätigten Investitionen müssten zum Erfolg geführt werden – wenn die Elektrifizierung scheitert, würde die gesamte deutsche Autoindustrie verschwinden. Der Direktor der Agora Verkehrswende versicherte eindrücklich: „Wir müssen jetzt technologiespezifisch sein, um später technologieoffen sein zu können.“
Der Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg Roman Zitzelsberger schilderte süffisant, dass er aus Beschäftigungsperspektive am liebsten natürlich Autos bauen würde, die sowohl mit einem 6-zylindrigen Verbrennungsmotor, einem batterieelektrischen Antrieb und einer Brennstoffzelle ausgestattet sind. Das Ganze sei aber natürlich weder aus Klimagesichtspunkten, noch industriepolitisch sinnvoll. Roman Zitzelsberger unterstrich deshalb die Richtigkeit, sich jetzt auf die Produktion von batterieelektrischen Pkw festzulegen: „Technologieoffenheit ist zum Kampfbegriff des Nichtstuns geworden!“
Alarmierend stellte er weiter fest: „Nichts ist für die Ewigkeit!“ Und das gelte auch für die deutsche Autoindustrie, der er eine 50/50-Chance zu überleben gebe. Nur durch die industriepolitische Festlegung auf batterieelektrische Fahrzeuge und Infrastruktur könne die Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland gehalten werden.