Kopftücher an Berliner Schulen? Die gibt es häufig – allerdings nur bei den Schülerinnen. Daran wird sich nach dem Urteil des Berliner Arbeitsgerichts auch so schnell nichts ändern. Das Gericht hat in erster Instanz die Klage einer jungen Muslima abgewiesen, die mit Kopftuch unterrichten wollte. Das Berliner Neutralitätsgesetz verbiete das Tragen von religiös geprägten Kleidungsstücken im öffentlichen Dienst. Das Arbeitsgericht sieht das Berliner Neutralitätsgesetz nicht als verfassungswidrig an – im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht, das 2015 urteilte, dass ein pauschales Kopftuchverbot nicht mit dem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vereinbar sei. Christine Buchholz und Cornelia Möhring kritisieren das Urteil und treten in einem Artikel in der Wochenzeitung Der Freitag für eine Abschaffung des Kopftuchverbots ein. "Was im Kopf ist, zählt – nicht, wie er bedeckt wird", meinen sie.
Von Christine Buchholz, Sprecherin für Religionspolitik, und Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin
Gehört das Kopftuch nun in die Schule oder nicht? Für-und-Wider-Positionen stehen sich in dieser Frage kompromisslos gegenüber. Deshalb hat jetzt ein Berliner Gericht entschieden, ob eine Lehrerin während der Arbeit ein Kopftuch tragen darf oder nicht. Eine Muslima hatte gegen das Land Berlin geklagt, weil sie in der Grundschule, in der sie arbeitet, das Kopftuch tragen will. Das verweigerte der Senat mit Blick auf das Neutralitätsgesetz. Das Problem ist aber grundsätzlich.
Um das zu verstehen, ist sowohl ein Blick in die Vergangenheit als auch einer in die „Kopftuch-Debatte“ vonnöten. Mit dem Neutralitätsgesetz hat das Land Berlin 2006 erlassen, dass Beschäftigte in der Justiz, der Polizei und an allgemeinbildenden Schulen keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole zeigen dürfen. Darüber gibt es immer wieder Streit, denn in der Praxis wirkt das Kopftuchverbot wie ein Berufsverbot für muslimische Frauen.
In der Praxis ein Berufsverbot
Kippatragende Männer können zwar ebenfalls betroffen sein, in der Realität kommt das allerdings selten vor. Der Jurist und ehemalige Berliner Senator Ehrhart Körting (SPD) stellt fest, dass das Neutralitätsgesetz auch anderswo im öffentlichen Lebens wirkt: So würden sich selbst manche Supermärkte weigern, Kassiererinnen mit Kopftuch einzustellen. Die Berliner Linkspartei sieht darin eine Diskriminierung, seit 2016 findet sich im Wahlprogramm der Partei dieser Passus: „Kopftuchtragende Muslimas sind, zusätzlich zur geschlechterbedingten Benachteiligung, rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ist das Neutralitätsgesetz zu überprüfen. Die Linke setzt sich dafür ein, aus dem Gesetz entstehende Diskriminierungen kopftuchtragender muslimischer Frauen abzuschaffen. Konflikten, die aus der Wahrnehmung der Glaubens- und Gewissensfreiheit resultieren, muss mit anderen Maßnahmen begegnet werden.“
Frauen tragen aus verschiedenen Gründen ein Kopftuch: kulturell, ästhetisch, traditionell, religiös. Einige setzen es nur in der Moschee auf. Wiederum andere fühlen sich ohne Kopftuch „nackt“ und freier und emanzipierter, wenn sie es tragen. Frauen danach zu beurteilen, wie religiös sie sind oder ob sie gezwungen werden, das Kopftuch zu tragen, ist anmaßend.
Wie immer, wenn Fakten fehlen, rücken Vermutungen und Annahmen in den Vordergrund und werden meinungsbestimmend. Etwa, ob eine kopftuchtragende Lehrerin einem Kind schaden oder Druck auf es ausüben könne. Die Initiative „Contra Neutralitätsgesetz“ argumentiert dagegen: „Die Behauptung, dass die Kleidung ‚subtilen Druck‘ ausübe, wird durch keine empirische Studie unterstützt und allein auf das Kopftuch projiziert. Wenn wir diese Art von Argument konsequent zu Ende denken, dann müssten wir für alle Lehrerinnen und Lehrer Uniformen einführen.“
Zu einer multikulturellen Schülerinnen- und Schülerschaft gehören ebenso multikulturelle Lehrende. Wer muslimische Lehrerinnen mit Kopftuch zum Problem für den Schulfrieden macht, verkennt die vielseitigen sozialen und strukturellen Ursachen für kulturell und religiös aufgeladene Konflikte.
Konflikte, die zwischen Lernenden und Lehrenden entstehen, müssen immer anlassbezogen geklärt werden. Das gilt unabhängig davon, ob daran ein christlicher Lehrer, eine atheistische Schülerin, eine muslimische Lehrerin oder ein jüdischer Schüler beteiligt ist.
Werden Frauen durch das Kopftuchtragen unterdrückt?
Patriarchale Unterdrückung ist Jahrtausende Jahre alt. Auf der gesamten Welt werden Frauen und Mädchen aller Hautfarben, sexueller Orientierungen und Religionen auf allen Ebenen der Gesellschaft unterdrückt. In westlichen Ländern wie auch in mehrheitlich muslimischen Ländern gilt: Es gibt verschiedene Ausprägungen. Und je nach sozialer Schicht und gesellschaftlichem Umfeld haben Frauen mehr oder weniger Möglichkeiten, sich zu entfalten. Oben und unten gibt es auch in muslimisch geprägten Ländern, arm und reich, mächtig und machtlos.
Die Befürworterinnen und Befürworter des Neutralitätsgesetzes sehen im Kopftuch „eine bejahende Haltung zu einer bestimmten Auslegung des Korans“. Der Glaube, dass es vor allem konservative Frauen seien, die ein Kopftuch tragen, ist ein Vorurteil. Der Soziologe Albert Scherr kommt in einer Diskriminierungsstudie zu dem Schluss: „Es ist keineswegs klar, in welchem Sinn das Tragen des Kopftuchs Ausdruck der Akzeptanz eines traditionellen Geschlechterverständnisses ist, oder aber gerade Ausdruck einer selbstbewussten und selbstbestimmten Haltung muslimischer Mädchen und Frauen in der Einwanderungsgesellschaft.“ Auch die vor drei Jahren verstorbene Psychologin Birgit Rommelspacher kritisierte, dass das Kopftuch im Westen schon frühzeitig durch die koloniale Brille betrachtet wurde und als Zeichen der Rückständigkeit und Unterdrückung galt.
Verletzung von Grundrechten
Frauen mit Kopftuch werden mehrfach diskriminiert. So müssen sie sich deutlich häufiger für eine Stelle bewerben. Während Frauen mit deutsch klingendem Namen einer Studie zufolge in 18,8 Prozent der Fälle eine positive Rückmeldung erhalten, geschieht das bei Frauen mit türkischem Namen in 13,5 Prozent und bei Bewerberinnen mit Kopftuch sogar nur in 4,2 Prozent der Fälle – trotz gleicher Qualifikation. Bewerberinnen mit Kopftuch müssen also für eine Jobzusage 4,5-mal mehr Bewerbungen schreiben. Bei hoch qualifizierten Stellen steigt diese Zahl sogar auf 7,6-mal mehr an.
Kopftuchverbote sind Ausdruck dieser Diskriminierungen und verstärken sie. Ebenso das Neutralitätsgesetz. Markus Hanisch, Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, meint: Da das Kopftuchverbot ausschließlich Frauen betreffe, sei es als Benachteiligung von Frauen bei ihrer Berufsausübung zu werten. Auch sei die Schulverwaltung „inkonsequent“, wenn sie versuche, Menschen mit Migrationshintergrund als Lehrkräfte zu gewinnen, aber nicht alle die gleichen Chancen hätten. Die Folgen sind für Kopftuchträgerinnen verheerend, und das nicht nur für den öffentlichen Dienst, sondern für den gesamten Arbeitsmarkt. Damit stellt sich das Kopftuchverbot als eine Art Berufsverbot dar.
2015 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein pauschales Kopftuchverbot – und damit auch das Berliner Neutralitätsgesetz – nicht mit dem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit vereinbar sei. Heiner Bielefeldt, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit, weist auf die Neutralitätspflicht des Staates hin, der „sich nicht mit einer bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Tradition auf Kosten der Angehörigen anderer Überzeugungen identifizieren darf“. Der Experte betont, dass Religions- und Weltanschauungsfreiheit zugleich „Ausdruck des Respekts vor der Freiheit der Menschen, sich in Fragen von Religion und Weltanschauung selbst zu orientieren“ sei.
Während der Staat und seine Institutionen einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichtet sind und daher das Kreuz nicht an die Wand des Klassenzimmers gehört, kann das für die einzelne Beschäftigte im öffentlichen Dienst nicht gelten. Die Initiative „Contra Neutralitätsgesetz“ von muslimischen Frauen und anderen bringt es auf den Punkt: „Die ursozialdemokratischen Werte soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit gelten nicht für Kopftuchträgerinnen. Im Schreiben der Bildungsverwaltung an die Schulen heißt es, dass ‚Symbole, die als Schmuckstücke getragen werden und auch als solche von einem objektiven Betrachter erkennbar sind‘, getragen werden dürfen. Zeichen anderer Religionen sind also erlaubt, nur die des Islams und Judentums nicht. Diese Privilegierung ist verfassungswidrig.“
Für die Frage, wer in Schulen unterrichten darf, müssen Ausbildung sowie Lehrqualität der Lehrenden entscheidend sein und nicht deren Religion. Der Berliner Tagesspiegel schreibt: „Die angehenden Lehrerinnen wollen nicht als Expertinnen für den Islam oder Deutsch als Zweitsprache angesehen werden, sondern als gut ausgebildete und engagierte Pädagoginnen.“
Was folgt aus all dem? Der Zwang, ein Kopftuch zu tragen, ist ebenso abzulehnen wie der Zwang, es abzusetzen. Selbstbestimmte Entscheidungen werden durch Verbote und auch durch Zwang verhindert. Alle Frauen, die freiwillig Kopftuch tragen, werden so in ihrer Selbstbestimmung massiv eingeschränkt. Frauen, die unfreiwillig ein Kopftuch tragen, hilft ein Verbot am allerwenigsten. Ihnen wird die Teilhabe am öffentlichen Leben durch Ausgrenzung nur noch mehr erschwert. Gesetze, die das Kopftuch verbieten, erhöhen die Abhängigkeit von demjenigen, der sie zwingt.
Der Text erschien zuerst in der Wochenzeitung Der Freitag, Ausgabe 19/2018