Arbeitsschutzkontrollgesetz für die Fleischbranche ist ein Anfang
Szabolcs Sepsi, Koordinator für die Fleischbranche im DGB-Projekt „Faire Mobilität“ betonte, dass die Probleme in der Fleischwirtschaft systemisch seien: falsche Zeitabrechnungen, Lohnbetrug, Umgehung gesetzlicher Regelungen zur Lohnfortzahlung bei Krankheit und Urlaub sowie ein Unterdrückungs-System des „hire and fire“. Möglich sei dies durch die Auslagerung von Verantwortung von der Unternehmensspitze an Werkvertragsunternehmen. Das geplante Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit sei deshalb ein substantieller Schritt zur Verbesserung der Situation. Auch Frederic Hüttenhoff, Mitarbeiter am Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, bewertete das Arbeitsschutzkontrollgesetz als „Paradigmenwechsel“, da es an den Ursachen ansetze und nicht länger nur an den Symptomen herumdoktere. Er betonte, dass vor allem seit den 2000er Jahren ein starker Konzentrationsprozess in der Fleischindustrie stattgefunden habe, der vormals kleinbetriebliche Strukturen mit einem hohen Anteil an Facharbeitern zugunsten industrieller Fleisch-verarbeitung abgelöst habe. Ausschlaggebend für diesen Prozess sei vor allem die Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes gewesen. Mit der deutschen Lohnkonkurrenz konnten andere europäische Länder schlicht nicht mehr mithalten. Das bestätigte auch Thomas Bernhard, Referatsleiter für Fleisch bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Er berichtete, dass die Fleischwirtschaft einst die Branche war, die die höchsten Tariflöhne zahlte. Seit etwa 30 Jahren herrscht in der Branche jedoch Tarifflucht, und die gesetzlichen Deregulierungs-Maßnahmen erschweren die Organisation der Beschäftigten. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz werde nun endlich die Möglichkeit geschaffen, gewerkschaftliche Organisation wieder zu stärken. Einig waren sich alle darin, dass dafür auch das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung zwingend ist, denn „schon jetzt herrscht in der Fleischwirtschaft de facto illegale Arbeitnehmerüberlassung“. Das wissen auch die Lobbyverbände, die aktuell darauf drängen, das Verbot zu lockern. Trotz einiger Schwächen im Gesetzentwurf, wie die Kopplung der Mietverträge an den Arbeitsvertrag und fehlende Mietobergrenzen, waren sich die Sachverständigen einig, dass damit die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre zurückgedrängt werden können und gute Arbeit in der Branche möglich ist.
Branchenübergreifende Regulierungen notwendig
In vielen anderen Branchen herrschen jedoch weiterhin missbräuchliche Arbeitsbedingungen. So berichtete ein polnischer Beschäftigter eindringlich von seinen Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Mehrmals wurde er hier um seinen Lohn betrogen. Auch er wies darauf hin, dass nicht nur in der Fleischbranche durch Leiharbeit enormes Lohndumping betrieben werde. Justyna Oblacewicz, Referentin des Projekts Faire Mobilität, bestätigte, dass Arbeitsausbeutung von Wander-arbeiter*innen branchenübergreifend weit verbreitet ist. Neben mehr Kontrollen müsse deshalb vor allem die Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden, denn Betriebsräte sind die beste Kontrollinstanz. Susanne Ferschl nahm den Faden auf und betonte, dass es Auftrag der Politik sei, die Rahmenbedingungen so zu ändern, dass gewerkschaftliche Organisationsmacht in den Betrieben aufgebaut werden könne. Dazu bedarf es einer Regulierung des Arbeitsmarktes, einer missbrauchssicheren und branchenübergreifenden Arbeitszeitdokumentation sowie der Abschaffung besonders missbrauchsanfälliger und mitbestimmungsfeindlicher Beschäftigungsformen wie Minijobs, Leiharbeit und Befristungen. Nicht nur in der Fleischindustrie, sondern flächendeckend!