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Dietmar Bartsch im Interview © Picture alliance/photothek|Florian GaertnerFoto: Picture alliance/photothek|Florian Gaertner

»Es wird eine Zeit nach Putin geben, Gott sei Dank!«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, web.de,

Interview: Fabian Busch

Herr Bartsch, es gibt Hinweise auf eine mögliche neue Offensive Russlands in der Ukraine. Kiew erwartet in den nächsten Wochen oder Monaten die schlimmsten Kämpfe seit Beginn der Invasion. Warum will die Linke die Ukraine nicht militärisch unterstützen?

Dietmar Bartsch: Niemand in meiner Partei spricht der Ukraine das Selbstverteidigungsrecht ab. Immer mehr und immer schwerere Waffen stehen aber für mehr Opfer und mehr Zerstörung. Russland hat weiterhin diverse Möglichkeiten, die Eskalationsschraube anzuziehen. Dem begegnet man nicht erfolgreich, in dem man mit Waffen mehr Öl ins Feuer gießt. Wir dürfen nie vergessen: Der Krieg, das Leid wird auf dem Rücken der Menschen in der Ukraine ausgetragen. Dieser Wahnsinn muss schnellstmöglich enden.

Zumindest hat die Ukraine sich bisher mit Waffen einigermaßen verteidigt.

Sie hat sich vielfach erfolgreicher verteidigt, als zu Kriegsbeginn von vielen Experten erwartet. Wir hören in Deutschland regelmäßig, dass die Ukraine Gebiete zurückgewinnt. Das stimmt aber schon seit Wochen nicht mehr. Es werden vor allem verheerende Zerstörungen durch Russland angerichtet. Erst hieß es: mehr Waffen, dann schwerere Waffen, jetzt Panzer. Und was kommt danach? Kampfjets, Eurofighter, Bodentruppen? Die Logik erschließt sich mir nicht. Mehr Waffen werden die Zerstörungen und das Sterben weiter anheizen.

Aber die Ukrainer wären ohne Waffen aus dem Westen doch nicht besser dran. Ohne diese Waffen hätte die russische Armee das Land womöglich schon in Schutt und Asche gelegt.

Ohne die ukrainische Armee und die überwältigende Hilfsbereitschaft aus den Nachbarländern würde die Ukraine nicht mehr existieren. Die humanitären und finanziellen Hilfsleistungen haben den Fortbestand der Ukraine gesichert. Ich sage aber: Wir müssen raus aus der militärischen Logik. Waffen konnten kurzfristig das Überleben sichern, aber immer mehr Waffen beenden den Krieg nicht. Genau das muss aber das Ziel sein.

Wahrscheinlich hat die Ukraine auch wegen der Waffenlieferungen überlebt. Ohne westliche Flugabwehr oder Panzer würden Kiew und Odessa jetzt vielleicht aussehen wie Mariupol und Cherson.

Den Vormarsch auf Kiew zu Beginn des Krieges konnte die ukrainische Armee zurückgeschlagen. Da wurden noch keine Waffen geliefert, da war in Deutschland noch von Helmen die Rede. Man muss doch die Frage beantworten: Was ist das strategische Ziel, das die Bundesregierung mit Waffenlieferungen verfolgt? Darauf gibt es keine tragfähige Antwort. Manche Menschen hier sagen, dass dieser Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden werden muss. Das ist illusorisch und inhuman. Da lobe ich mir die – bis zur Leopard-Entscheidung – Zurückhaltung des Bundeskanzlers.

Inwiefern?

In Russland wird gesagt, dass die Nato Kriegspartei ist. Olaf Scholz sagt das nicht – und dafür bin ich dankbar. Die Außenministerin macht dagegen vor allem mit unüberlegter und unprofessioneller Rhetorik auf sich aufmerksam. Das ist brandgefährlich.

Was erwarten Sie von der Bundesregierung?

Energische, ernsthafte Versuche, diesen Krieg diplomatisch zu lösen. Zunächst einen Waffenstillstand zu erreichen. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat gerade eine Friedenslösung gefordert und sich gemeinsam mit China als Vermittler angeboten, Israel sagt Ähnliches. Ich glaube, das ist dringend notwendig.

Hat Deutschland überhaupt Möglichkeiten, auf Verhandlungen hinzuwirken? Dazu hat sich das Land doch zu stark positioniert.

Den Weg zu Verhandlungen wird man nur gemeinsam in Europa gehen können. Deutschland sollte seine Stärke nutzen, um Druck zu machen und eine europäische, abgestimmte Friedensinitiative zu erreichen.

Es gab schon Ende März 2022 Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul. Die haben aber kein Ergebnis gebracht – weil kurz danach das Massaker von Butscha bekannt wurde.

Verhandlungen haben Erfolge gebracht. Russland und die Ukraine haben sich auf Getreide-Exporte geeinigt, auf Gefangenenaustausche geeinigt. Wir tun immer so, als ob es keine Gespräche gab und gibt. Das ist Unsinn. Frankreichs Präsident Macron hat deutlich gesagt, dass er regelmäßig mit Putin telefoniert. Bundeskanzler Scholz macht das zurecht auch. Hier in Deutschland heißt es jetzt: Wir wollen bis Anfang April 14 Leopard 2 liefern. Na, Donnerwetter! Ich würde mir wünschen, dass man sagt: Wir versuchen alles, bis April einen Waffenstillstand zu befördern.

Der würde aber nur mit beiden Seiten funktionieren. Wie kommen Sie darauf, dass Russland daran überhaupt interessiert ist?

Bevor festgestellt wird, was angeblich unmöglich ist, muss es versucht werden. Putin hat gesagt, dass er zu Gesprächen bereit ist. Ein Waffenstillstand wäre doch ein Segen. Ein Segen für die Zivilisten, die in Kellern ausharren und jeden Tag Angehörige verlieren. Ich will klar sagen: Die territoriale Integrität der Ukraine ist völlig unbestritten. Wir brauchen aber perspektivisch eine europäische Sicherheitsarchitektur, in die Russland eingeschlossen ist – es wird eine Zeit nach Putin geben. Gott sei Dank!

Putin scheint aber im eigenen Land ein Getriebener zu sein. Es gibt dort Kreise, die ihn auffordern, den Krieg noch zu verstärken oder auszudehnen. Es wäre fraglich, ob er Verhandlungen überhaupt innenpolitisch durchsetzen könnte.

Zumindest muss man es versuchen. Schon ein ernsthafter Versuch würde helfen – er würde in Russland vermutlich nicht ohne Resonanz bleiben. Wir als Linke vertreten mit dieser Position übrigens einen erheblichen Teil der Bevölkerung. Sehr viele Menschen in Deutschland haben schlicht Angst davor, dass dieser Krieg weiter eskaliert und wir Kriegspartei werden.

Viele Menschen hierzulande verfolgen den Kurs der Bundesregierung in der Tat mit Unbehagen oder Angst. 38 Prozent lehnen die Lieferung von Kampfpanzern laut ZDF-Politbarometer ab. Trotzdem kommt die Linke in Umfragen nur wenig vom Fleck. Warum?

Ehrlich gesagt ist mir das in dieser Frage egal. Es werden täglich brutal Menschen getötet. Es werden Landstriche verwüstet, Städte und Dörfer in Schutt und Asche gelegt. Niemand sollte davon hierzulande politisch profitieren wollen.

Aber wundert Sie das nicht?

Es ist bitter, dass die Linke nicht besser dasteht, das wird sich mittelfristig ändern. Ich denke aber, unser Tief hat mit anderen Fragen zu tun. Was die Umfragen angeht: Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Ost und West. Im Osten unterstützt nicht einmal ein Drittel der Menschen die geplanten Waffenlieferungen. Das muss die Bundesregierung ernst nehmen.

Es gibt immer wieder Mutmaßungen, dass eine Gruppe um Ihre Parteifreundin Sahra Wagenknecht die Gründung einer eigenen Partei vorantreibt. Droht die Linke zu zerbrechen?

Ach, wissen Sie, diese Diskussion ist langweilig geworden. Seit Monaten ist davon kaum etwas zu hören. Sahra Wagenknecht ist Mitglied meiner Fraktion, wie 38 andere Abgeordnete auch. Ich gehe nicht davon aus, dass irgendwer davon eine Parteigründung anstrebt. Wo das endet, zeigt der Blick nach Italien: Da gibt es vier linke Parteien, die alle bedeutungslos sind. Sahra Wagenknecht hat eine große Bekanntheit. Ich wünsche mir, dass sie diese konsequent in den Dienst einer erfolgreichen Linken stellt. Wenn man sich anschaut, wie die Ampel-Koalition agiert, wird klar: Es braucht eine starke soziale und friedliche Opposition.

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