Das Erdogan-Netzwerk ist hierzulande dicht gespannt und gefährlich. Deutschland ist laut Bundesamt für Verfassungsschutz für die türkischen Geheimdienste „eines der vorrangigen Ausforschungsziele außerhalb der Türkei“. Die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe hat in den vergangenen zwei Jahren zehn Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Agenten des türkischen Geheimdienstes eingeleitet. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage „Die Verfolgung von Gegnern des Erdogan-Regimes in Deutschland“ [Drs. 20/266, PDF] hervor. Das heißt, beinahe jedes dritte Verfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit hatte Bezug zur Türkei. In keinem der Fälle ist bislang Anklage erhoben worden, entsprechend gibt es auch keine Verurteilungen.
Das ist bemerkenswert: Es scheint, um es vorsichtig zu sagen, als würde hier nicht mit dem nötigen Nachdruck vorgegangen. Die Bundesregierung hat offenbar aus geopolitischen Gründen kein Interesse hat, das Erdogan-Netzwerk in Deutschland zu zerschlagen. Der Autokrat Erdogan soll nicht verärgert und die Türkei in der NATO gehalten werden, koste es was es wolle. Dafür ist die Bundesregierung offenbar bereit, viel in Kauf zu nehmen.
Das ist fahrlässig und ein Spiel mit der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Nur zur Erinnerung: Im Oktober 2021 in einem Düsseldorfer Luxushotel ein Erdogan-Agent festgenommen wurde, der Munition und eine Namensliste mutmaßlicher Zielpersonen bei sich hatte. Politisch ist das folgenlos geblieben, was allein schon ein handfester Skandal ist.
Fahndungsersuche über Interpol
Aus der Antwort der Bundesregierung wird deutlich, dass die Türkei weiter Interpol-Fahndungsersuche zur Jagd auf politische Gegner im Ausland missbraucht. Dem Bundesamt für Justiz und dem Auswärtigen Amt wurden 2021 insgesamt 3.458 eingegangene Fahndungsersuchen vorgelegt, davon 280 bezogen auf die Türkei (2020: 3.482, 278).
Politisches Asyl in Deutschland
Gleichzeitig ist die Zahl der Asylsuchenden mit türkischer Staatsangehörigkeit wieder gestiegen. Bis Ende November 2021 gab es 6.699 entsprechende Registrierungen, im Vorjahr waren es 5.782. Seit der massenhaften Verfolgung und Inhaftierung von Erdogan-Kritikern, Oppositionellen und Journalisten nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 haben in Deutschland 46.690 türkische Staatsbürger politisches Asyl beantragt.
Politik der Geiselnahme
Erdogan führt seine Politik der Geiselnahmen fort: Den Angaben der Bundesregierung sind derzeit 54 deutsche Staatsbürger in der Türkei inhaftiert, gegen 13 von ihnen werden hanebüchene Terrorvorwürfe erhoben wie sie aus der Zeit der Verfolgung des Menschenrechtlers Peter Steudtner oder des Welt-Journalisten Deniz Yücel bekannt sind. Insgesamt könnten laut Bundesregierung aktuell zudem 67 deutsche Staatsangehörige die Türkei aufgrund von Ausreisesperren nicht verlassen. Elf weiteren deutschen Staatsbürgern wurde 2020/2021 die Einreise in die Türkei verweigert.
Stopp der Rüstungsexporte
Notwendig sind jetzt klare politische Konsequenzen. Die anhaltende Verfolgung von Kritikern des Erdogan-Regimes wie auch die Freiheitsberaubung deutscher Staatsbürger in der Türkei aufgrund hanebüchener Terrorvorwürfe sollten seitens der Ampel-Regierung nicht folgenlos bleiben wie wir es aus den Jahren der Großen Koalition kennen. Wie im Fall Saudi-Arabiens verbietet sich auch bei der Türkei die Lieferung von Rüstungsgütern. Das wäre ein deutliches und starkes Signal – zumal auch gegen die völkerrechtswidrige Besatzung der türkischen Armee und der Unterstützung islamistischer Mörderbanden im Norden Syriens.
Verbot der Grauen Wölfe
Was ist sonst zu tun? Die neue Bundesregierung muss jetzt zügig den Prüfauftrag des Bundestages zum Verbot der Grauen Wölfe von Ende 2020 umsetzen. Horst Seehofer als zuständiger Innenminister hat das fahrlässig verschleppt. Die Vereine der Grauen Wölfe sind die fünfte Kolonne Erdogans. Dass man im Innenministerium nach einem Jahr Prüfung nicht zu einer Entscheidung kommt, ist eine dreiste Verweigerung der alten Bundesregierung und das muss sich jetzt schnell ändern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist nachdrücklich gefordert, das Verbot nicht wie ihr Amtsvorgänger weiter zu hintertreiben.
Das Verbot wäre auch ein wichtiges Signal an die Zivilgesellschaft, Rechtsextremismus gleich welcher Couleur nicht weiter zu tolerieren und genau hinzuschauen. Und zugleich ein wichtiges Zeichen an all diejenigen, die von diesen Rechtsextremisten in Deutschland bedroht werden. Wir brauchen hier einen Aufstand der Zuständigen und kein professionelles Wegschauen.