Von Jörg Cezanne, Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE und Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags
Der Bundesfinanzhof hat am Dienst geurteilt, dass dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac die Gemeinnützigkeit abzuerkennen ist.
Das ist zunächst einmal ein derber Schlag ins Gerechtigkeitsempfinden sehr vieler Menschen. Formal geht es bei der Gemeinnützigkeit zwar nur um ein steuerrechtliches Privileg. Im Alltagsverstand der meisten Menschen ist die Gemeinnützigkeit aber zugleich ein Gütezeichen, dass zwischen gesellschaftlich wünschenswerten Aktivitäten einerseits und ausschließlich eigennützigen, kommerziellen oder sogar für die Gesellschaft schädlichen Aktivitäten andererseits unterscheidet.
Dieser Umstand ist auch den Richtern am Bundesfinanzhof bekannt und von daher ist es natürlich auch ein politisches Urteil, wenn aus Sicht des Gerichts ein breites politisches Engagement einer zivilgesellschaftlichen Organisation außerhalb von Regierung, Parlament und Parteien ausdrücklich als Argument gegen deren Anerkennung als gemeinnützig spricht.
Nun mag man argumentieren, dass das Gemeinnützigkeitsrecht als Teil des Steuerrechts aus einer Zeit stammt, als politische Willensbildung als das vornehme Geschäft von großen Parteien und einflussreichen Wirtschaftslobbyisten verstanden wurde. Diese Zeiten sind aber schon seit den späten 1960er Jahren vorbei. Soziale Bewegungen, breite öffentliche Diskussionen, Zivilgesellschaft, plurale Interessengruppen, und natürlich auch weiterhin die mächtigen Wirtschaftslobbies – das ist die Realität der politischen Willensbildung in einer entwickelten Demokratie von heute.
Ein gesellschaftspolitisch unerträglicher Eindruck entsteht
Es ist traurig, dass die Richter nicht auf dieses Missverhältnis hingewiesen oder sonstwie ein Gespür für gesellschaftliche Veränderungen und Missstände gezeigt haben. Der Bundesfinanzhof hätte auch – wie es das Bundesverfassungsgericht oftmals tut – den Gesetzgeber zu einer zeitgemäßeren Fassung des Gemeinnützigkeitsrechts ermuntern oder zu Präzisierungen auffordern können. Mehr als zehn Jahre nach Beginn der globalen Finanzkrise entsteht damit der gesellschaftspolitisch unerträgliche Eindruck, dass zwar die Banken den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern dreistellige Milliardenschäden zufügen dürfen, ohne dafür vor Gericht zu landen. Wenn aber ein Verein im Interesse des Gemeinwesens für mehr Finanzregulierung und gegen Steuerbetrug aktiv wird, dann straft der Bundesfinanzhof dies symbolträchtig mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit.
Es mag sein, dass das Gemeinnützigkeitsrecht als Steuerrecht mit der Auflösung dieses unerträglichen Widerspruchs überfordert ist. Gefordert ist nun aber der Gesetzgeber, ein modernes Demokratieverständnis beim Gemeinnützigkeitsrecht in Gesetzesform zu gießen. Wer das jetzt nicht tut, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, er freue sich klammheimlich über den höchstrichterlichen Maulkorb für politisch Andersdenkende – und steuert damit direkt auf ein autoritäre Demokratieverständnis eines Victor Orban, Donald Trump oder Wladimir Putin zu.