Herr Troost, Sie sind beileibe kein Neuling im Bundestag. Von 2005 bis 2017 hatten Sie bereits ein Mandat inne. Jetzt rücken Sie für den Haushaltspolitiker Michael Leutert nach. Welche politischen Themen liegen Ihnen besonders am Herzen?
Axel Troost: Mir lag immer die Finanzpolitik am Herzen. Zwölf Jahre war ich finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. Das waren aufregende Zeiten im Finanzausschuss des Bundestags. Es ging um die Folgen der großen Finanzkrise 2008/2009 oder zum Beispiel die Einführung der Schuldenbremse. Aber natürlich habe ich mich auch mit wirtschaftspolitischen Fragen beschäftigt.
Die kommende Bundestagswahl im September steht im Zeichen der Corona-Pandemie. Wie dramatisch sind die wirtschafts- und fiskalpolitischen Verwerfungen durch Corona im Vergleich zur Finanzkrise 2008?
Die Verwerfungen sind viel, viel tiefer. Das gilt auch für die Kosten der Krise. Damals war es im Prinzip eine Krise des Bankensystems, also eine Vertrauenskrise, die aber die Produktion nur bedingt betroffen hat. Durch staatliche Bürgschaften ließ sich das überwinden. Jetzt braucht es enorme Ausgaben, um die Wirtschaft und Unternehmen und Konzerne am Laufen zu halten, um Beschäftigte mit Kurzarbeitergeld zu versorgen oder Selbstständigen den Ausfall zu ersetzen. Diese Krise ist also viel, viel teurer.
Die meisten Menschen treibt die Frage um, wie die Kosten der Krise bezahlt werden können. Viele befürchten Sozialabbau, getrieben durch "Schwarze Null" und Schuldenbremse. Wie sehen Sie es?
Ich befürchte, dass Sozialabbau droht, sollten die Arbeitslosenzahlen deutlich steigen, wenn die Kurzarbeit ausläuft. Oder wenn die Betriebe so hohe Verluste vortragen, dass die Steuereinnahmen über Jahre niedrig ausfallen. Darüber wird im Wahlkampf aber nicht geredet werden. Wenn die Schuldenbremse und die damit verbundenen Tilgungspläne dafür sorgen, dass Kredite zurückbezahlt werden müssen, dann wird es nicht mehr nur reichen, keine Investitionen zu tätigen, sondern dann befürchte ich, dass an das Personal und den Sozialstaat herangegangen wird und wir wieder einen Sozialabbau erleben werden.
Wie lässt sich das aus LINKER Sicht verhindern?
Die Kredite, die jetzt aufgenommen worden sind, sind überhaupt kein Problem. Die Kredite können refinanziert werden. Aber dieser Weg ist durch die Schuldenbremse verbaut. Wir brauchen deshalb eine einmalige Vermögensabgabe. Wir wollen die Vermögensabgabe aber nicht, weil wir sagen, die Schulden sind zu hoch. Da würden wir uns auch lächerlich machen, denn andere EU-Länder haben einen viel höheren Schuldenstand. Es muss aber klar gesagt werden: Wir wollen, dass die Reichen, die wirklich sehr sehr Reichen, das obere ein Prozent der Vermögensbesitzenden, dass die mit einer Vermögensabgabe und eine Vermögensteuer zur Finanzierung herangezogen werden. Die einmalige Vermögensabgabe darf man laut Grundgesetz nur für einen ganz bestimmten Zweck verwenden. Sie fließt ausschließlich an den Bund. Wir als LINKE wollen damit einen Corona-Lastenausgleichsfonds finanzieren, in den auch die coronabedingte Kreditaufnahme der Bundesländer und der Kommunen mit einfließt. Denn Länder und Kommunen haben wie der Bund außerordentliche Kredite aufgenommen und sind zur Tilgung gezwungen.
Der Grund dafür ist die Schuldenbremse des Grundgesetzes?
So ist es. Das Grundgesetz erlaubt zwar, dass der Bundestag eine außergewöhnliche Situation feststellt, die sich der normalen Finanzlage entzieht, und könnte das auch 2022 tun, um höhere Kredite aufzunehmen. Aber wenn man das Grundgesetz nicht ändert, müssen diese Kredite dann später mit einem Tilgungsplan zurückbezahlt werden. Würde auf die Schuldenbremse verzichtet, bräuchten wir die Vermögensabgabe nicht unbedingt. Dann sollte allerdings mit der Erhebung einer Vermögensteuer begonnen werden.
Die Linksfraktion hat die Schuldenbremse immer bekämpft. Gibt es eigentlich gute und schlechte Schulden? Oder anders gefragt: Wofür lohnt es, Schulden aufzunehmen?
Die Schuldenbremse hat viele negative Folgen. Öffentliche Investitionen in die Zukunft bleiben aus oder werden gekürzt – also Umbau der Wirtschaft und Ausbau der Infrastruktur wie Straßen, Schulen oder Universitäten, alles Dinge, die für einen langen Zeitraum und als Rahmenbedingung der nächsten Generationen gedacht sind. Deswegen sollten sie nicht von vornherein aus den Steuermitteln der jetzigen Generation bezahlt werden. Viel spricht dafür, immer mit öffentlichen Krediten auch öffentliche Investitionen in die Zukunft zu bedienen, wohlgemerkt keine Personal- und keine Sozialausgaben. In diesem Sinne ist die Schuldenbremse fürchterlich. Und das muss geändert werden. Schulden müssen aufgenommen werden dürfen für langfristige Investitionen.
Die Finanzierungsbedingungen für den Staat sind historisch günstig. Sollte der Staat diese Situation nicht nutzen?
Es ist richtig, dass es in der gegenwärtigen Situation völlig verrückt ist, wenn ich nicht mit öffentlichen Krediten dringend erforderliche Investitionen in den ökologischen Umbau, aber auch in die staatliche Infrastruktur bezahle. Denn gegenwärtig bekommt der deutsche Staat Geld geschenkt, also nicht nur Nullzins, sondern Minuszinsen, und muss damit weniger zurückzahlen, als er aufgenommen hat. Deswegen ist die Schuldenbremse im Augenblick so widersinnig wie nur irgendwie denkbar.