Im Sommer ist es zu schweren Corona-Ausbrüchen in der Fleischindustrie gekommen. Seitdem stehen Fleischunternehmen mit ihren oft schlechten Arbeitsbedingungen unter verschärfter Beobachtung. Eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE, zeigt, dass es auch in anderen Branchen systematische Verletzungen von Arbeitnehmerschutzrechten gibt. Susanne Ferschl erklärt:
„Das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischbranche ist ein guter Anfang - aber eben nur ein Anfang. Die Regierung beginnt gerade erst, zaghaft hinzuschauen. Die jahrelange systematische Verletzung von Arbeitnehmerschutzrechten, aber auch die stillschweigende Tolerierung ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse durch politische Untätigkeit, ist heute und nicht morgen flächendeckend zu unterbinden. Dafür braucht es eine Regulierung bis hin zum Verbot der besonders missbrauchsanfälligen prekären Beschäftigungsverhältnisse wie Minijobs oder Leiharbeit. Gute und sichere Arbeitsverhältnisse nützen allen Beschäftigten.“
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hatte Ende Juli angekündigt „Wir werden uns Branche für Branche angucken und dann für die jeweilige Branche geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn es nötig ist“.
Für eine besondere Missbrauchsanfälligkeit bestimmter Branchen sprechen die überdurchschnittliche Bedeutung prekärer Beschäftigungsmodelle in de facto tariffreien Zonen des Arbeitsmarktes sowie eine sehr hohe Zahl an ausländischen Beschäftigten. Die Bundesregierung selbst schreibt, dass vor allem Menschen ohne Sprachkenntnissen oder fehlenden Kenntnissen der Arbeitnehmerrechte eine schwache Position auf dem Arbeitsmarkt haben.
Insbesondere in den Branchen Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe sowie Reinigung liegt die Zahl an mutmaßlich illegaler Arbeitnehmerüberlassung[1] (Pflege, Fleischwirtschaft, Arbeitnehmerüberlassung), an Minijobs (Gastronomie – 38,4%, Beherbergung – 23%, Reinigung – 31%), Befristung (Landwirtschaft – 61%, Reinigung – 58%, Heime und Sozialwesen – 45%), ausländischen Beschäftigten (Gastronomie – 32%, Beherbergung – 23%, Reinigung – 38%) sowie an Niedriglohnbeschäftigten (Gastronomie – 68%, Beherbergung – 56%, Reinigung – 52%) überdurchschnittlich hoch.
Erschwerend kommt hinzu, dass in prekären Beschäftigungsmodellen Arbeitsschutzstandards und Mindestlöhne oft nicht eingehalten werden, deshalb sind Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden sowie der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) besonders wichtig. Und wo kontrolliert wird, finden sich auch Verstöße. Besonders gravierend zeigt sich das in der Pflege: 2019 wurden bei 406 Prüfungen insgesamt 1.925 Strafverfahren und 683 Bußgeldverfahren eingeleitet. In den Branchen Landwirtschaft sowie Spedition-, Transport- und Logistikgewerbe halten sich Kontrollen und Verstöße in etwa die Waage, wobei höhere Kontrollquoten zu sinkenden Beanstandungen führen. Das zeigt, dass mehr Kontrollen abschrecken und somit präventive Wirkungen entfalten, andersherum aber gilt: Je unwahrscheinlicher Kontrollen sind, desto höher scheint der Anreiz, Gesetze nicht einzuhalten.
In den Branchen Pflege, Gastronomie, Beherbergung und Gebäudereinigung ist die Zahl der Beanstandungen sowohl durch die FKS als auch die Berufsgenossenschaften auffällig hoch. Da die Anzahl der Prüfungen aber eher gering ist, sind diese in einem ersten Schritt auszuweiten. Sollte sich aber zeigen, dass die Strukturen in den Branchen ähnlich wie in der Fleischindustrie besonders missbrauchsanfällig sind und effektive Kontrollen verhindern oder auch vermehrte Kontrollen keine abschreckende Wirkung zeigen, müssen diese Branchen zwingend gesetzlich reguliert werden.
Ergebnisse im Einzelnen (PDF)
Antwort der Bundesregierung (PDF)
[1] Die Angaben beruhen laut Bundesregierung auf Erkenntnissen aus den Prüfungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit und den Verdachtsfällen auf illegale AÜ (Vgl. Antwort auf Frage 6; S. 5)