Von Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Der Digitale Wandel in der Arbeitswelt geht für die Beschäftigten häufig mit einem höheren Belastungsgrad einher. Das zeigt der aktuelle "DGB-Index Gute Arbeit". Nahezu jede und jeder zweite Beschäftigte beurteilt den digitalen Wandel am Arbeitsplatz als negativ. Denn für sie bedeutet die Entwicklung vor allem, mehr Arbeit – häufig mehrere Aufgaben gleichzeitig – in immer weniger Zeit erledigen zu müssen. 46 Prozent der vom DGB befragten Beschäftigten gaben an, dass ihre Arbeitsbelastung durch die Digitalisierung eher zugenommen habe. Nur neun Prozent fühlten sich entlastet. Noch eindeutiger ist das Ergebnis bei der Arbeitsmenge: Über 50 Prozent der Beschäftigten berichteten über eine Zunahme der Arbeitsmenge, die gleichfalls einher ginge mit einer Zunahme der Arbeitshetze und erhöhten Multitasking-Anforderungen. Gerade Multitasking, warnt der DGB, stelle ein Quelle für außerordentlich hohe Beanspruchung und Belastung der Beschäftigten dar. Für die Beschäftigten bedeutet die Digitalisierung im Arbeitsalltag vor allem eines: mehr Stress.
Dass Stress krank macht, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Die oben genannte Entwicklung schlägt sich daher auch in den Krankentagen nieder. Seit dem Jahr 2001 haben sich die Krankentage aufgrund psychischer Belastungen nahezu verdoppelt. Waren es 2001 noch 33,6 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage (PDF), die auf psychische Belastungen zurückzuführen waren, so waren es 2012 bereits 61,5 Millionen (PDF). Auch die Bundesregierung nennt als Ursache dafür den Wandel von Arbeit, der sich unter anderem abzeichne durch:
- Ständige Erreichbarkeit
- Informationsflut
- Überlange Arbeitszeiten
- Beschleunigung von Arbeitsprozessen
- Erhöhter Wettbewerbsdruck
- Räumliche und zeitliche Flexibilisierung von Arbeit ("Arbeiten von überall, zu jeder Zeit")
- Zunahme der Eigenverantwortung mit erhöhter Anforderung an die Selbstorganisation
- Atypische Beschäftigung
Angesichts dieser Entwicklung ist es geradezu infam, dass die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA) eine weitere Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeitswelt fordert. Ihre Stellungnahme "Chancen der Digitalisierung nutzen" zeigt, wie der Arbeitgeberverband das Thema "Digitalisierung" und "Industrie 4.0" als neuen Hebel anzusetzen versucht, um ein altes Interesse am Abbau von Arbeitnehmerrechten durchzusetzen. So fordert die BDA nicht nur die Ausweitung von Wochenend- und Feiertagsarbeit, sondern auch die Abschaffung der gesetzlich geregelten Höchstarbeitszeit und Ruhezeiten. Den Bedarf einer Anti-Stress-Verordnung oder die Notwendigkeit des Schutz der Beschäftigten vor dauernder Erreichbarkeit sehen die Arbeitgeber nicht. Beschäftigte sind für sie beliebig einsetzbare Bausteine innerhalb eines globalen, hocheffizienten Produktionsprozesses. Und da zählt für die Arbeitgeber allein der Profit. Es erstaunt daher wenig, dass auch gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung abgelehnt werden. Denn nur dokumentierte Arbeitszeiten können auch kontrolliert und korrekt vergütet werden. Daran haben die Arbeitgeber wenig Interesse, denn Sie profitieren von der unbezahlten Mehrleistung in Millionenhöhe. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung werden jährlich rund 1,8 Milliarden Überstunden geleistet, eine Milliarde davon unbezahlt. Allein im Jahr 2014 entgingen den Beschäftigten so fast 17 Milliarden Euro, wenn man der Rechnung das mittlere Bruttostundengehalt aller Beschäftigten im Jahr 2014 zu Grunde legt.
Nun ist Flexibilisierung per se nicht schlechtes. Der "DGB Index Gute Arbeit" zeigt, dass die Digitalisierung auch Chancen bietet. Zum Beispiel kann die Digitalisierung mehr Entscheidungsspielraum für die Beschäftigten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen. Zwingend notwendig dafür sind jedoch gute Arbeitsbedingungen. Auch wir als Fraktion DIE LINKE sind dafür, dass Arbeitnehmer flexibel arbeiten dürfen, wenn sie das wollen. Dazu brauchen wir allerdings gesetzliche Regelungen, die den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, die von ihm gewünschte Zeitsouveränität durchzusetzen und über Fragen der Zeitsouveränität und des Arbeitsvolumen mitzubestimmen. Wir brauchen eine Ausweitung des Mitbestimmungsrechts der Betriebsräte. Ein weiterer Schlüssel zur Reduzierung der Arbeitsbelastung ist das Arbeitszeitgesetz. Dieses beschränkt die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden. Bei sechs Tagen in der Woche sind das 48 Arbeitsstunden. Das ist eindeutig zu viel. Daher fordern wir eine Reduzierung der Wochenhöchstarbeitszeit. Um Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu schützen, braucht es auch ein Recht auf Nichterreichbarkeit während der Freizeit: eine Anti-Stress-Verordnung. Es ist oberstes Gebot einer sozialen Politik, sich schützend vor die Beschäftigten zu stellen und dem Trend, dass Arbeit zunehmend krank macht, entgegenzuwirken. Die Gesundheit der Beschäftigten muss auch in Zeiten der Digitalisierung zwingend Vorrang vor den Gewinninteressen der Unternehmen haben.