Europa muss eine Antwort auf den "Inflation Reduction Act" und den amerikanischen Protektionismus finden und sein eigenes europäisches Förderprogramm schnüren, um international nicht ins Hintertreffen zu geraten. Gastbeitrag bei von Alexander Ulrich, Sprecher für europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE, auf euractiv.de.
Kommt es bald zu einem Handelskrieg unter Partnern? Die Sorgen sind berechtigt. Spätestens seit Donald Trump Europa und allen voran Deutschland mit Stahl- und anderen Zöllen drohte und das geplante Handelsabkommen TTIP scheitern ließ, sind die transatlantischen Beziehungen getrübt. Doch auch Trumps Nachfolger, Joseph Biden, setzt die protektionistische America-First-Politik fort. Sich von seiner Europa-freundlicheren Rhetorik täuschen zu lassen, wie es der EU-Kommission in Brüssel und der Bundesregierung passiert, ist fatal.
Der Inflation Reduction Act (IRA) ist ein „Wolf im Schafspelz“, wie das Institut für Makrofinanzen es bezeichnet. Er leitet „ein neues Zeitalter aggressiver Industriepolitik mit geopolitischen Ambitionen“ ein. Zwar beinhalten das 370 Milliarden Dollar schwere Subventionsprogramm und der schon vorher verabschiedete 1,2 Billionen Dollar „Infrastructure Investment and Jobs Act“ viele gute Ziele wie die Klimagasreduktion um 40 Prozent sowie Investitionen in Klimajobs. Mit dem Programm sollen sogar „Union Jobs“, also gewerkschaftlich repräsentierte Arbeitsplätze mit Tarifverträgen, geschaffen werden – ein deutlicher Fortschritt gegenüber der neoliberalen und gewerkschaftsfeindlichen Politik Trumps.
Doch die positiven Aspekte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die USA hier eine klare industriepolitische Mission der Reindustrialisierung auf Kosten Chinas und Europas verfolgen. Es geht vor allem um die Rückgewinnung der einst unangefochtenen wirtschaftlichen Dominanz, die zuletzt nur noch militärisch zu halten war. So gelten für die Förderung durch den IRA strenge Quoten, für die Produktion innerhalb der USA. Bei der Batteriezellenproduktion müssen sowohl die kritischen Rohstoffe wie auch die Komponenten aus den USA stammen. Für Stahlprodukte gelten ähnlich harte Bedingungen.
Von der Energiekrise in Europa profitieren die USA ohnehin schon auf zweierlei Arten: Erstens ist günstige Energie zu einem echten Standortvorteil geworden. Zweitens ist gefracktes Flüssiggas (LNG) aus den USA gerade in Europa und speziell in Deutschland sehr gefragt, um die Gasspeicher zu füllen.
Deutschland und die EU haben bislang keine adäquate Antwort auf dieses neue industriepolitische Engagement der USA gefunden. Eine Klage vor der WTO würde Jahre dauern und der Vorschlag von Macron, dem IRA mit einem „Buy European“-Programm zu begegnen, wurde bereits von der Bundesregierung abgebügelt. Aus dem Wirtschaftsministerium ist zu hören, dass man jetzt versuche, die Beihilfegenehmigungen und die IPCEI-Industrieprojekte zu beschleunigen. Angesichts ihres viel kleineren Umfangs und der unheilbaren Behäbigkeit der EU ist das aber eine ausgesprochen dürftige Antwort.
Anstatt sich jetzt zur Speerspitze der Freihandelsverfechter zu machen und ein TTIP 2.0, wie es das Kanzleramt vorschlägt, abzuschließen, sollten Deutschland und die EU einen eigenen Inflation Reduction Act auf den Weg bringen.
Im Gegensatz zu den USA, die fast zwei Billionen Dollar für den Industrieumbau in die Hand nehmen, beschließt Deutschland lediglich 200 Milliarden zur Abfederung der Energiekrise. Das ist jedoch nur Symptombekämpfung und geht keine der tatsächlichen Ursachen an. Grund für die Inflation sind teure Energie und fehlende Produktionskapazitäten in bestimmten Sektoren.
Es braucht auch hier jetzt massive staatlichen Investitionen in den Aufbau von erneuerbarer Energie und den ökologischen Umbau der Industrie. Sonderabschreibungen, Differenzverträge, Transformationsfonds sowie Beschaffungs- und Recyclingquoten sind sinnvolle industriepolitische Instrumente, die die LINKE fordert. Unsere Vorschläge dazu liegen auf dem Tisch.