SPIEGEL: Herr Liebich, wie sollte sich die Bundesregierung angesichts der bevorstehenden US-Wahl verhalten?
Liebich: Deutschland muss seine Neutralität aufgeben und sich für den Herausforderer des amerikanischen Präsidenten Donald Trump aussprechen, für den Demokraten Joe Biden! Das ist kein normaler Wahlkampf. Es handelt sich nicht um den Wettstreit zweier Parteien, sondern es geht um den Fortbestand der Demokratie. Das bedeutet auch für uns eine Gefahr.
Würde denn ein Sieg des Präsidenten tatsächlich das Ende der US-Demokratie bedeuten?
Trump lügt laut "Washington Post" 16-mal am Tag. Er zweifelt an, dass Biden ohne Wahlbetrug gewinnen kann. Er sichert keine friedliche Amtsübergabe zu. Er zeigt immer mehr Anzeichen eines Diktators. Also: Ja.
Ein Statement der deutschen Regierung würde allerdings kaum etwas am Wahlergebnis ändern...
... es würde aber denen in den USA, die sich Sorgen um die Demokratie machen, zeigen, dass ein wichtiger Verbündeter an ihrer Seite steht.
Wären das nicht bloß warme Worte?
Nein. Es zeigt Solidarität. Haltung. Es wäre das Richtige. Als Frankreichs heutiger Präsident Emmanuel Macron vor drei Jahren gegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen antrat, hat der deutsche Regierungssprecher ihm alles Gute gewünscht. Außenminister und Kanzleramtschef haben sich geäußert. Das Mindeste wäre, dass Deutschland sich jetzt so verhält wie damals. Das traut sich aber niemand.
Vielleicht ja aus gutem Grund. Könnte eine Einmischung Deutschlands in den USA Trump nicht sogar die Wähler in die Arme treiben?
Davor wurde auch gewarnt, als es um Frankreich ging. Damals hat man sich davon nicht abhalten lassen, das Richtige zu tun. Jetzt sollte man das auch nicht tun.
Ist es nicht im Interesse aller Nato-Bündnismitglieder, dass Deutschland und die USA gesprächsfähig bleiben?
Auch Auseinandersetzungen mit China oder Russland kosten etwas und erschweren die internationale Zusammenarbeit. Sie werden trotzdem geführt, wenn sie geboten sind.
Sie sagen, es mangle der Bundesregierung an Mut. Was hält denn aus Ihrer Sicht den deutschen Außenminister davon ab, im US-Wahlkampf Farbe zu bekennen?
Dann wird es noch ungemütlicher, keine Frage. Aber Außenpolitik muss Werte auch dann verteidigen, wenn es etwas kostet. Deutschland muss sich für Trumps Abwahl einsetzen.