Während der Coronakrise gibt es eine besondere Arbeitszeitverordnung, die Zwölf-Stunden-Schichten zulässt. Sie haben gemeinsam mit anderen Linke-Politiker*innen einen Antrag im Bundestag gestellt, in dem Sie für Pflegekräfte stattdessen einen Sechs-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich fordern. Was erhoffen Sie sich davon?
Im ersten Schritt fordern wir für diejenigen, die Covid-19-Patienten betreuen, einen Arbeitsschutz. Alle Kollegen und Kolleginnen, mit denen ich mich unterhalte, erzählen, dass die Arbeit in den Schutzanzügen extrem anstrengend und belastend ist. Es ist heiß, man schwitzt und ist total eingeschränkt. Es gibt Erfahrungsberichte aus dem chinesischen Wuhan, die belegen, dass in dem Moment, in dem die Arbeitszeit auf sechs Stunden pro Schicht reduziert wurde, die Sterblichkeit sowohl bei den Patienten zurückgegangen ist, aber auch die Infektionsrate bei den Pflegekräften.
Wir haben uns die Zahlen vom Robert-Koch-Institut angeguckt und festgestellt, dass - im Gegensatz zu dem allgemeinen Trend - die Infektionen bei Pflegekräften überproportional steigen. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, den Arbeitsschutz zu verbessern und die Arbeitszeit zu reduzieren. Das Zweite, was wir unbedingt bewirken wollen, ist eine Debatte um die Arbeit in der Pflege generell. Ich bin überzeugt, dass wir Pflegekräfte nur dann zurück in den Beruf gewinnen können, wenn es verbindlich gute Arbeitsbedingungen gibt. Im Moment sind weder die Arbeitsbedingungen noch die Bezahlung attraktiv.
Was wäre eine faire Bezahlung?
Ich kann da jetzt keine feste Zahl nennen. Aber wenn man vergleicht, was jemand in der Pflege und jemand in der Automobilindustrie verdient, dann muss sich was ändern. Insbesondere ist das ein Problem für Frauen, denn sie sind in der Pflege überdurchschnittlich häufig vertreten.
Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln könnten in Deutschland in der stationären Versorgung bis zum Jahr 2035 rund 307 000 Pflegekräfte fehlen. Wie sollen bei geringerer Arbeitszeit genügend Pflegekräfte gefunden werden?
Wie gesagt, die Arbeitsbedingungen müssen attraktiver werden, eine Arbeitszeitverkürzung alleine hilft nicht. Es muss auch verbindliche Personalbemessungen geben. In der Berliner Charité hat sich gezeigt, wenn diese vorhanden ist, dann bewerben sich mehr Menschen, weil sie dann wissen, dass die Arbeitsbelastung nicht so hoch ist. Auch verbindliche Arbeitszeiten sind dabei wichtig. Kein Tauschen der Schichten, keine Überstunden, kein Abruf aus der freien Zeit. Eine Studie der Gewerkschaft Verdi geht davon aus, dass 400 000 Pflegekräfte wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht mehr in dem Beruf arbeiten. Außerdem arbeiten in der Pflege überdurchschnittlich viele Menschen nur Teilzeit, weil die Belastung nicht zu schaffen ist.
Wie war die Reaktion der anderen Parteien, als Sie den Antrag vorgestellt haben?
Insbesondere Union und FDP waren der Meinung, dass die Forderung nicht realistisch sei. Das sehe ich nicht so, der Sechs-Stunden-Tag ist realistisch und ein vernünftiger Schritt, um damit anzufangen, Pflegeberufe attraktiver zu machen. Es gab in Schweden ein Modellprojekt im Pflegebereich, wo auch auf sechs Stunden runtergegangen wurde. Mit positiven Ergebnissen. So wie die Mehrheitsverhältnisse sind, wird sich da nicht groß was ändern, aber auch das Signal zu setzen, ist wichtig für uns. Der ganze Bundestag hat den Pflegekräften stehend applaudiert, aber man kann mehr erwarten! Ein Parlament ist schließlich dafür da, an den realen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen etwas zu verbessern.
Dieses Interview erschien am 4. Juni 2020 in der Tageszeitung neues deutschland.