Auswertung der Beantwortung der Großen Anfrage zur Umsetzung der Empfehlungen des NSU-PUA aus der 17. WP
Generelle Einschätzung
In der Großen Anfrage wurden von der Fraktion DIE LINKE die Umsetzung aller 47 Empfehlungen des ersten NSU-PUA Bund abgefragt, soweit sie in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Insgesamt wird aus der Antwort der Bundesregierung deutlich, dass der NSU und das Versagen der Sicherheitsbehörden seitens der Politik als einschneidend bewertet werden, weshalb es eine relative Sorgfalt im Umgang mit den Empfehlungen des PUA-NSU gibt. Von Seiten der Bundesregierung wird dabei für sich in Anspruch genommen, dass mehr oder weniger alle Empfehlungen umgesetzt wurden. Mehr als auf die formale Umsetzung kommt es jedoch auf eine inhaltliche Umsetzung der Vorgaben an, und hier bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich zu einem Mentalitätswechsel der Sicherheitsbehörden kommt.
An zentralen Punkte, wie der Frage der V-Leute, hat es keine Änderungen gegeben, die die dokumentierten Mängel dieses Systems tatsächlich ändern. Ganz im Gegenteil hat der dazu verabschiedete Gesetzentwurf der Bundesregierung dieses skandalöse System an vielen Punkten erst legitimiert. Aufbau und Finanzierung der Szene liefen in vielen Fällen über diese V-Leute, und daran wird sich nichts ändern. Schwere Straftaten sollen zwar einen Einsatz als V-Person verhindern, aber auch hier wurden Ausnahmen eingebaut. Bis heute ist nicht geklärt, ob V-Personen der Dienste Wissen über und Kontakt zum abgetauchten Trio hatten; dennoch belässt die Bundesregierung dieses Instrument in den Händen des Innlandsgeheimdienstes.
Ohne Zweifel ist es dem Druck der Gemeinsamkeit aller Fraktionen des ersten PUA-NSU zu verdanken, dass die Bundesregierung die Empfehlungen des Gremiums tatsächlich ernst nehmen musste. Viele neue Instrumente polizeilicher Erfassung rechtsextremer Bestrebungen (z.B. die Clearingstelle zur Erfassung von Angriffen auf Asylunterkünfte beim BKA) sind jedoch auch Ergebnis unserer regelmäßigen und seit Jahren gestellten Anfragen als Fraktion DIE LINKE, weil wir die Bundesregierung systematisch zur Erfassung solcher Taten gezwungen haben.
Es ist eine deutliche Differenz in der Qualität der Umsetzung zwischen den Bereichen Polizei, Justiz und Verfassungsschutz zu erkennen. Während die Antworten der Bundesregierung zur Polizei detailliert und umfangreich sind, sind sie in den Bereichen Justiz und Verfassungsschutz sehr allgemein. Dennoch lässt sich für alle Bereiche eine deutlich erhöhte Sensibilität für rechte Gewalt ausmachen. Das sieht man in der regelmäßigen Präsentation aktueller Zahlen zu rechten Gewalttaten durch das BKA (Clearingstelle), den Verboten von Nazigruppen wie der OSS oder der Bamberger Gruppe und der Prüfung zahlreicher Fälle durch den Generalbundesanwalt wegen eventueller Übernahme (zumeist mit negativem Ergebnis). Auch das ist Folge des NSU generell, aber vor allem auch der Arbeit der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse und des Drucks durch Medien, Öffentlichkeit und nicht zuletzt der LINKEN, die hier den Druck aus der Gesellschaft weitergetragen haben.
Politisch wurden mit der Umsetzung zahlreicher Empfehlungen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „NSU“ (PUA-NSU) nur notwendige Vorgaben gemacht, um Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus stärker in den Fokus der Behörden zu rücken. Ob und wie diese Vorgaben in der täglichen Arbeit umgesetzt werden, bleibt abzuwarten und hängt auch von einem kritischen Blick von außen ab. DIE LINKE wird sich nicht mit einer formalen Umsetzung der Vorgaben begnügen, sondern mit Fachleuten und Praktikern und Praktikerinnen prüfen, wie weit hieraus tatsächlich ein veränderter Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt erfolgt.
Ob die Umsetzung eines großen Teils der Empfehlungen des PUA-NSU tatsächlich zu einer größeren Sensibilität beim Umgang mit rechter und rassistischer Gewalt führt, bleibt abzuwarten. Die Reaktionen auf die Tat des Todesschützen von München am fünften Jahrestag der Breivik-Morde waren ernüchternd: Rassistische Einstellungen des Täters, Menschen mit Migrationshintergrund als Opfer und Tatausführung am Jahrestag eines der schlimmsten rechtsextremen Massaker – und dennoch war das Wort „Rechtsextremismus“ als Element der Tatmotivation weder von der Bundeskanzlerin noch vom Bundespräsidenten zu hören. Es scheint so, als fiele die Bundesregierung hinter den selbstformulierten Anspruch beim Thema Rechtsterrorismus sehr schnell zurück.
Zu einzelnen Aspekten/Antworten
Zentraler Punkt für den Bereich der strukturell rassistischen Ermittlungen ist aus unserer Sicht die Empfehlung Nr. 1, bei der es um verpflichtende und zu dokumentierende Ermittlungen zum Motiv Rassismus geht (Fragen 1-4). Die Umsetzung über die RiStBV (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren) hat lange gedauert und ist umständlich, aber es scheint, dass tatsächlich etwas passiert ist. So wird über die Nr. 15 RiStBV geregelt, dass auf „rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Beweggründe zu achten ist.“ Das war hoffentlich schon immer der Fall, wird aber jetzt durch eine Aktenübersendungspflicht ans Bundeskriminalamt bei solchen Fällen ergänzt. Weiter sollen mögliche solche Tatmotivationen im GTAZ-R (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum), in der Task Force Gewaltdelikte des BKA und in der Clearingstelle des BKA behandelt werden. Verankert worden ist die Überprüfung „aller tatbestandsmäßigen Sachverhalte“ auch in den bundesweit verbindlichen Polizeivorschriften (PDV) 100. Ergänzt wurde diese Vorschrift durch einen Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK), in dem es heißt, „Grundsätzlich sind in Fällen von Gewaltkriminalität rassistische und anderweitig politisch motivierte Hintergründe zu prüfen. Die Ergebnisse sind zu dokumentieren.“ Das entspricht der Empfehlung. Für die Dokumentation sind die Länderpolizeien zuständig, eine Überprüfung der Umsetzung muss also dort erfolgen. Die Voraussetzungen für eine sensiblere Erfassung rassistischer Straftaten sind also gegeben – ob sie aber von der Polizei auch entsprechend umgesetzt werden, muss sich erst erweisen.
Zahlreiche Beispiele werden aufgeführt, wie das Thema NSU Eingang in die Ausbildung und Studiengänge für BKA und Bundespolizei gefunden hat (Fragen 5-7, 34-36). Welche Rolle es dort tatsächlich spielt und wie es thematisiert wird, müssen wir über Fachleute selbst herausbekommen.
Die Überprüfung ungeklärter Straftaten auf Bezüge zum Rechtsterrorismus (Fragen 8-10) ist nur in der Phase 1a (ungeklärte Tötungsdelikte zwischen 1990 und 2011) abgeschlossen. Nicht klar ist, ob die Überprüfung auf weitere Deliktsbereiche ausgedehnt wird, die IMK berate noch darüber. Ergebnisse der bisherigen Überprüfung wurden über diverse Kleine Anfragen verbreitet. Kritisiert wird auch von uns, dass nur in wenigen Bundesländern (Brandenburg, Berlin) die Überprüfung durch externe Fachleute durchgeführt wurde. Immerhin wurden allein durch Brandenburg (externe Fachleute) neun Fälle nachträglich als politisch rechts motivierte Tötungsdelikte gewertet.
Die Überarbeitung des Kriterienkatalogs „PMK“ („Politisch motivierte Kriminalität“) (Fragen 11-12) wurde durch eine Expertengruppe mit externen Fachleuten (auch diverse Kolleg_innen, mit denen wir eng zusammenarbeiten) im Januar 2016 abgeschlossen, liegt jedoch aufgrund der politischen Abstimmungen noch nicht vor. Sie kann laut Antwort zur Großen Anfrage als Ergänzung zur Beantwortung der Großen Anfrage nachgereicht werden, was wir auf jeden Fall wollen.
Keine Fortschritte gibt es beim Thema zentrale Ermittlungsführung (Fragen 15-16). Offenbar wird das von den Ländern weiterhin als Eingriff des Bundes in Länderangelegenheiten gewertet, obgleich in der Empfehlung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) ja benannt wird, dass es sich dabei keineswegs immer um Führung durch das BKA handeln muss.
Die Überprüfung offener Haftbefehle (Frage 21) gegen Nazis wird aufgrund der Ergebnisse des PUA (und unserer regelmäßigen Anfragen) jetzt halbjährlich durchgeführt. Offen bleibt, welche Maßnahmen dann eingeleitet werden. Über Festnahmen aufgrund dieser regelmäßigen Überprüfung ist nichts bekannt. Mit Marschner haben wir ja aktuell einen prominenten Fall, in dem sich ein Nazi dem Haftbefehl entzieht.
Zum Bereich Interkulturelle Öffnung der Behörde (Frage 24) werden vom BKA relativ viele Aktivitäten angeführt, wohingegen sich beim Verfassungsschutz nur Sprechblasen finden. Beispielsweise hat das BKA ein Ausbildungsmodul zusammen mit dem Fritz-Bauer-Instituts entwickelt. Auch das Thema Umgang mit Opfern/Zeugen mit Migrationshintergrund (Frage 28) und die Problematik der sekundären Viktimisierung werden breiter ausgeführt. Zu kritisieren ist, dass es beim Thema Opferschutz (Frage 30) keine gezielten Hinweise auf zivilgesellschaftliche Angebote gibt. Begründet wird das mit der Neutralität gegenüber zivilen Trägern. Da der Bund aber die Opferberatungsstellen fördert, sollte auf diese auch verwiesen werden.
Anders als bei der Polizei scheint es im Rahmen der Justiz (Frage 43) wenig konkrete Reaktionen auf den NSU gegeben zu haben, was den Bereich der Aus- und Fortbildung angeht. Erst im März 2016 wurde vom BMJV die Entwicklung eines Fortbildungsmoduls angekündigt, mit dem auf den „starken Anstieg fremdenfeindlicher und hassmotivierter Straftaten angemessen reagiert“ (S. 58) werden soll. Angesichts der Tatsache, dass es häufig vor allem die Justiz ist, die zur Entpolitisierung rechter und rassistischer Angriffe beiträgt und es ja auch im NSU-Zusammenhang (Generalbundesanwalt, Staatsanwaltschaft Gera) diverse Probleme im Rahmen der Justiz gab, ist diese schleppende Annäherung an das Thema problematisch.
Die von uns in mehreren Fragen angeführte Kritik der Bundesbeauftragten für den Datenschutz (BfDI) an der Informationszusammenführung im Verfassungsschutzverbund (Frage 46) wird von der Bundesregierung nicht kommentiert. Allerdings wurde der von der BfDI kritisierte Austausch in den Empfehlungen (und damit auch von uns) angemahnt. An anderer Stelle (Frage 47 und 52) wird die Kritik der BfDI klar zurückgewiesen und als unbegründet bewertet.
Zur Daten- und Aktenpflege im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wird auf entsprechende Erlasse im BfV verwiesen. Kein Wort wird über den Umgang mit z.B. Datenträgern von Corelli verloren. Der nach wie vor offenbar vorhandene Wildwuchs im BfV wird von der Bundesregierung nicht erwähnt oder als Anlass genommen, auf Nachbesserungsbedarf zu verweise, nach dem wir immer fragen. Generell sind die Ausführungen zum BfV sehr viel weniger klar und umfangreich als beim BKA, insbesondere auch für den Bereich der Aus- und Fortbildung. Als Beleg für Transparenz und Offenheit (Frage 53 f.) werden die zahlreichen Medienauftritte des Präsidenten angeführt, die für die „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Erkenntnisquelle für die aktuelle Positionierung des Hauses“ dienen. Wenn der Präsident die PUAs als Feinde stempelt, müssen wir uns über das Aussageverhalten von BfV-Zeugen nicht wundern.
Eine besondere Parodie ist folgender Satz: „Im Rahmen der Aus- und Fortbildung fördert die Akademie für Verfassungsschutz (AfV) als Bund-Länder-Einrichtung eine Kultur der Offenheit und des Austausches. Es entspricht ihrem Selbstverständnis, Austausch sowohl behördenübergreifend als auch intern zu fördern und Abschottung entgegenzuwirken.“ Da kann man nur sagen: Diese Akademie scheint die Mitarbeiter und Führungskräfte nicht zu erreichen. Später (S. 66) heißt es, das Bundesministerium des Inneren (BMI) vermittele dem BfV „Impulse, die innerhalb der neuen, an Transparenz orientierten Öffentlichkeitsarbeit Berücksichtigung finden.“ Auch das kann nur als Parodie auf die Wirklichkeit verstanden werden.
Auch bezogen auf den Militärischen Abschirmdienst MAD gibt es nichts Konkretes zu Aus- und Fortbildung zum Thema. Hier heißt es: „Fallweise werden Gastdozenten mit Migrationshintergrund in den Unterricht eingebunden.“ (S. 68).
Zur Reform des Verfassungsschutzes wird die Änderung im Verfassungsschutzgesetz als Umsetzung der Empfehlungen des PUA gesehen. Aus unserer Sicht reicht das natürlich nicht aus, zumal selbst der Ausschluss von Schwerkriminellen mit einer Hintertür versehen ist. Zur Quellenführung und ihrer Dauer heißt es allgemein: „Die Dauer der Führung von Quellen wird im Bundesamt für Verfassungsschutz kontinuierlich überprüft.“ (S. 72) Bei Corelli war das ganz offensichtlich nicht der Fall bzw. wurde von der Leitung bewusst so belassen. Generell hält die Bundesregierung eine Befristung von fünf Jahren für sinnvoll (Frage 64).
linksfraktion.de, 9. August 2016