Amira Mohamed Ali ist Spitzenkandidatin der Linken Niedersachsen für die Bundestagswahl und Co- Fraktionschefin im Bundestag. Ein Interview unter anderem über Wahlkampf, Rot-Rot-Grün im Bund, die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan und Corona.
Neue Osnabrücker Zeitung: Frau Mohamed Ali, die Unionsparteien warnen zu ihrem Wahlkampfauftakt vor einem Bündnis mit Ihnen, mit den Linken...
Amira Mohamed Ali: Ich finde das offen gesagt ziemlich albern. Die Unionsparteien arbeiten mit ganz alten Spukgespenstern, die mit der Realität noch nie etwas zu tun hatten. Dass die CDU sich dabei noch nicht einmal zu schade ist zu behaupten, dass die Linke nicht demokratisch sei, nehme ich ihr besonders übel. Das ist unter der Gürtellinie. Es scheint mir, als müsse die Union auf Biegen und Brechen versuchen, an Profil zu gewinnen. Es spricht für sich, dass ihr nur dieser Quatsch einfällt.
Gewarnt wird unter anderem vor Steuererhöhungen und negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft, sollten Sie an der Regierung beteiligt sein.
Mohamed Ali: Das stimmt ja nicht. Im Gegenteil. Wir wollen Steuerentlastung für die übergroße Mehrheit der Bevölkerung, nämlich für alle, die weniger als 6500 Euro brutto im Monat verdienen. Der Wirtschaft hilft es nicht, diejenigen, die jetzt schon wenig haben, weiter zu knechten und die, die am
meisten haben noch weiter zu entlasten, so wie es Union und FDP vorhaben. Nein, wir müssen die Kaufkraft derer, die wenig haben, stärken. Denn Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen konsumieren mehr von dem, was sie im Portemonnaie haben, als die reichen Haushalte. Und das ist gut für die Wirtschaft. Wir hatten jahrelang einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent, wie wir ihn fordern. Das war zu Zeiten von Bundeskanzler Helmut Kohl so, und der war nicht für seine sozialistischen Fantasien bekannt.
Fünf Wochen vor der Wahl ist die Linke von zweistelligen Werte, wie Sie sie anstreben, weit entfernt. Was ist noch drin?
Die Umfragen stellen uns nicht zufrieden. Ich bin aber überzeugt, dass wir noch einiges zulegen können.
Wird es am Ende für eine rot-rot-grüne Koalition im Bund reichen?
Ich halte das absolut für möglich. Aber damit ein solches Bündnis Realität werden kann, braucht es vor allem eine starke Linke. Voraussetzung ist auch, dass sich SPD und Grüne zu einem sozialen Politikwechsel bekennen. Was aktuell nicht der Fall ist, denn wer bereit ist, mit Union oder FDP zu koalieren, steht nicht für die Veränderungen, die wir in unserem Land dringend brauchen. SPD und Grüne müssen sich da ein Stück bewegen.
Gerade mit Blick auf Außenpolitik wird Ihnen immer wieder vorgeworfen, nicht regierungsfähig zu sein.
Das sehe ich grundlegend anders. Es braucht ein klares Bekenntnis zur Abrüstung und zu sinkenden Militärausgaben. Außerdem zeigt das Desaster jetzt in Afghanistan noch einmal eindringlich, wie falsch Interventionskriege sind. In der Außenpolitik muss auf friedliche Mittel gesetzt werden. 20 Jahre militärisches Engagement haben nichts gebracht. Davor haben wir als Linke schon damals gewarnt und wurden dafür beschimpft. Regierungsunfähigkeit sehe ich stattdessen auf der Regierungsbank. Die brachiale Fehleinschätzung der Lage vor Ort ist unglaublich und bis vor zwei Wochen hat Deutschland sogar noch Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Dass die Evakuierung trotz rechtzeitiger Hinweise so spät stattfindet, dafür fehlt mir das Verständnis.
Muss Deutschland sich aus Ihrer Sicht nun stärker für die Aufnahme von Flüchtlingen engagieren?
Es ist noch völlig offen, wie viele Menschen fliehen werden. Als Deutschland haben wir nach 20 Jahren Militäreinsatz im Land jedoch eine Verantwortung, der wir gerecht werden müssen. Aus meiner Sicht sind zwei Dinge dringend notwendig: Es muss vor Ort schnell Hilfe geleistet werden, denn die größten Fluchtbewegungen finden in die Nachbarländer statt. Hilfe bedeutet jedoch auch, dass man Menschen nach Deutschland kommen lässt. Mehrere Städte und Gemeinden haben bereits ihre Aufnahmebereitschaft erklärt. Was sich nicht wiederholen darf, ist, dass man dann die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer alleinlässt. 2015 ist vom Staat viel zu viel nur auf freiwillige Helfer gesetzt worden, die zu wenig Unterstützung bekamen.