Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage "Anzahl der ausgestellten Entsendebescheinigungen für Entsendungen mit dem Zielland Deutschland" (Frage Nr. 41 im Monat Februar 2020) von Pascal Meiser, Gewerkschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Zusammenfassung:
Der vom Bundeskabinett Mitte Februar beschlossene Gesetzentwurf, mit dem die revidierte EU-Entsenderichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll, bleibt weit hinter dem Ziel einer Verbesserung der Entlohnung und einem Ende der Schlechterstellung entsandter Beschäftigter, zurück. So sollen entsandte Beschäftigte nach dem Willen der Bundesregierung auch weiterhin selbst vom Geltungsbereich allgemeinverbindlicher Tarifverträge weitestgehend ausgeschlossen bleiben.
Dies ist umso dramatischer angesichts der drastisch zunehmenden Anzahl von nach Deutschland entsandten Beschäftigten, wie sie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage (Schriftliche Frage Nr. 41 im Monat Februar 2020) von Pascal Meiser, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, hervorgeht. Demnach ist die Zahl der für das Zielland Deutschland ausgestellten A1 Bescheinigungen von 250.000 im Jahr 2010 in nur 8 Jahren auf 429.000 Bescheinigungen im Jahr 2018 in die Höhe geschossen. Das entspricht einem Anstieg von fast 72 Prozent (siehe Abbildung 1). Mit der A1 Bescheinigung wird nachgewiesen, dass der Arbeitnehmer während einer Entsendung weiterhin bei seinem bisherigen Sozialversicherungsträger versichert ist und dient als Voraussetzung um als Entsandter im Ausland arbeiten zu dürfen, sie stellt damit den besten Indikator für die Anzahl der Entsendungen dar.
Dem Gesetzentwurf aus dem Hause von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zufolge sollen jedoch selbst allgemeinverbindliche Tarifverträge nur in ausgewählten Fällen auch Beschäftigten, die aus anderen EU-Ländern nach Deutschland entsandt werden, zugutekommen. Die Erstreckung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auf entsandte Beschäftige soll in der Regel weiter nur für bundesweite Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, möglich sein. Nur für so genannte Langzeitentsandte, die über 12 bzw. 18 Monate nach Deutschland entsandt werden, sollen alle am Beschäftigungsort geltenden Regelungen greifen.
Faktisch bedeutet dies, dass mehr als 90 Prozent der Entsandten nicht den hiesigen Beschäftigten gleichgestellt sind, wie sich auf Nachfrage des LINKEN-Abgeordneten Meiser beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausstellte. Dessen eigenen Angaben zufolge ist nach derzeitigem Stand davon auszugehen ist, dass im Jahr 2019 lediglich 9,8 Prozent der nach Deutschland entsandten Beschäftigten für eine Dauer von über 12 Monate und sogar nur 8,8 Prozent über 18 Monate entsandt wurden.
Pascal Meiser, Gewerkschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, kommentiert:
“Den großmundigen Ankündigungen, grenzübergreifendes Lohndumping entschieden zurückzudrängen, will die Bundesregierung offenkundig keine Taten folgen lassen. Der rücksichtlosen Ausbeutung entsandter Beschäftigter blieben so Tür und Tor geöffnet. Die Bundesregierung muss dringend nachbessern: Für entsandte Beschäftigte müssen in Deutschland von Anfang an die gleichen Arbeitsbedingungen und allgemeinverbindlichen Tarifverträge gelten wie für einheimische Beschäftigte. Und das ganz gleich, ob es sich um regionale oder bundesweite Tarifverträge handelt. Alles andere ist Augenwischerei. Zudem müssen Tarifverträge endlich leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können. Nur so lässt sich wirkungsvoll gegen die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt vorgehen. Es ist einfach nur noch beschämend, wenn Vertreter der Großen Koalition in Sonntagsreden immer wieder ein soziales Europa beschwören, aber dort, wo es drauf ankommt, mal wieder kneifen.“
Hintergrund:
Die Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. L 173 vom 9.7.2018, S. 16, im Folgenden: Richtlinie) ist am 29. Juli 2018 in Kraft getreten. Artikel 3 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis zum 30. Juli 2020 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen und zu veröffentlichen, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen. Ab dem 30. Juli 2020 sind die Umsetzungsmaßnahmen anzuwenden.
Die Richtlinie verfolgt das Ziel, das Gleichgewicht zwischen der unionsrechtlich geschützten Dienstleistungsfreiheit und der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen einerseits und dem Schutz der im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit von ihrem Arbeitgeber grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmer andererseits neu auszutarieren. Die auf entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anwendbaren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Staates, in den die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsandt werden, kann deutlich erweitert werden. Gemäß dem Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Ort sollen die Mitgliedsstaaten entsandte Beschäftigte inländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Blick auf die Entlohnung und anderer Arbeitsbedingungen weitestgehend gleichstellen.
Auch die Bundesregierung hatte sich gegenüber der EU-Kommission öffentlich für die entsprechende Änderung der EU-Entsenderichtlinie stark gemacht und selbst im Eckpunktepapier des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem Sommer 2019 wurde noch angekündigt, man wolle die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Lohndumping verhindert werde.
Der jetzt von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf bleibt jedoch hinter dem europarechtlich Möglichen weit zurück. Die vorgeschlagenen Regelungen reichen nicht aus, um der Intention des europäischen Richtliniengebers nach einer deutlich erweiterten Anwendungsmöglichkeit von Tarifverträgen gerecht zu werden. So ist bei Entsendungen unter 12 bzw. 18 Monaten keine Anwendung von regionalen Tarifverträgen, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, auf entsandte Beschäftigte vorgesehen. Einzig bundesweite Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, sollen nach dem Willen der Bundesregierung und entgegen der Intention der neuen EU-Richtlinie Anwendung finden. Somit würde das Arbeitsortsprinzip in dieser Hinsicht weiterhin nicht gelten. Besonders deutlich wird dies, wenn man berücksichtigt, dass diese Langzeitentsendungen nur einen geringen Teil der entsandten Beschäftigten ausmachen, sodass für den weitaus überwiegenden Teil entsandter Beschäftigter allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Regel auch weiterhin nicht gelten würden.